Zauber des Anfangs?

 

Passend zur pathetischen Tonlage des Koalitionsvertrags (KV) zitierte SPD-Chefin Esken: “Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“ (Hermann Hesse). Alsbald schien dieser Anfang ein fauler Zauber zu sein.

1. Kein zauberhafter Beginn des Ampel-“Aufbruchs“.

Warum legt ausgerechnet eine “Fortschrittskoalition“, die ein “Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen“ prägen will, die von dem amtierenden Finanzminister Olaf Scholz geführt wird, einen “unsolide“ kalkulierten Finanzrahmen vor?

Der Bundesrechnungshof und der Präsident des DIW, Marcel Fratzscher, kritisierten die Ampelpläne für die Finanzierung ihrer Vorhaben: „Der Koalitionsvertrag löst den Widerspruch von Steuersenkungen, Einhaltung der Schuldenbremse ab 2023 und höheren Staatsausgaben nicht nur nicht auf, sondern verschärft ihn“ (Fratzscher). *1)

Zugleich leisteten sich die GRÜNEN in aller Öffentlichkeit ein desaströses  Gezänk um Ministerposten.

„ES GEHT UNS … UM EINE POLITIK DER GROSSEN WIRKUNG. WIR WOLLEN MEHR FORTSCHRITT WAGEN“ (Olaf Scholz):

Wohnt diesem Anfang fauler Zauber inne? Die Antwort auf diese Frage sei aufgeschoben. Denn die Defizite des Beginns lassen sich korrigieren. Und dafür ist der “Fortschrittskoalition“, wie jeder Regierung, zumindest die 100-Tage-Frist einzuräumen. Ende März 2022 sehen wir weiter; dann hat sich auch der mutmaßliche Oppositionsführer Merz (mit “e“, betont er gern) eingearbeitet.

Doch zwei Probleme seien hier benannt, zu denen die kommende Arbeit der “Fortschrittskoalition“ genau beobachtet werden wird.

2. Respekt vor unabhängigen Institutionen unserer Demokratie. 

Olaf Scholz hat sich als SPD-Kanzlerkandidat seit Monaten als Protagonist einer “GESELLSCHAFT DES RESPEKTS“ dargestellt. Im KV findet sich dazu die Banalität, dass „der Staat den Bürgerinnen und Bürgern auf Augenhöhe … den Menschen mit Respekt begegnet“.

Politiker und Politikerinnen haben seit Beginn ihrer Karriere trainiert, Mehrheiten zu organisieren. Dabei dürften sie weitgehend dem Grundsatz gefolgt sein: “Sag` ihnen, was sie hören wollen“. Welcher Politiker hätte denn je mit Erfolg versucht, Wählern den Respekt zu verweigern?

Entscheidend ist vielmehr der Respekt der Parteien gegenüber den Institutionen unserer liberalen, pluralistisch organisierten Demokratie.

Wird die Ampelkoalition die Unabhängigkeit wichtiger Institutionen unserer demokratischen Ordnung respektieren?

Diese Frage bedarf durch das Verhalten der SPD-Führung dringend der Klarstellung:

  • Vizekanzler Olaf Scholz hat aus parteipolitischem Interesse die Unabhängigkeit des Rates der Sachverständigen für Wirtschaft (SVR, “Wirtschaftsweise“) verletzt, indem er die vom SVR gewünschte Verlängerung des Mandats des SVR-Vorsitzenden Lars Feld verweigerte.
  • Aus dem gleichen Parteiinteresse hat Scholz, wie 2015 die damalige Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) befürchtet hatte, durch einen politischen Mindestlohn von € 12 “Willkür und Populismus Tür und Tor geöffnet“. Damit verletzte er die Zuständigkeit der “unabhängigen, eigenständigen Mindestlohn-Kommission“ von Arbeitgebern und Gewerkschaftern für die Festlegung des Mindestlohns, die von Nahles 2015 maßgeblich eingerichtet wurde.
  • Im Wahlkampf hat Olaf Scholz noch am 08.09.2021 mit Aussagen wie “Corona ist bald vorbei“ nicht nur die öffentlichen Feststellungen des Robert-Koch-Instituts (RKI), sondern der auf Pandemien spezialisierten Wissenschaft insgesamt missachtet. Der Wahlkampf mit Wohlfühl-Botschaften schien wichtiger, als die wachsende Corona-Krise zu bekämpfen. Damit hat Scholz zu der dramatischen Corona-Lage beigetragen, wie die Fachwelt ihm und anderen Politikern vorwirft.
  • Schließlich habe die Bundesministerin der Justiz, Christine Lambrecht (SPD), mit parteipolitisch motivierten Interventionen die Unabhängigkeit des höchsten deutschen Finanzgerichts, des Bundesfinanzhofs, verletzt. Lambrecht habe “politisch genehme Kandidatinnen und Kandidaten auf Führungsposten hieven“ wollen, „die fachlich das 2016 vom Bundesjustizministerium mit den Präsidenten der Bundesgerichte vereinbarte ´Anforderungsprofil` nicht erfüllten … Die Präsidenten der Bundesgerichte, der Deutsche Richterbund und der Richterverein am Bundesfinanzhof hatten das Prozedere bei der Neubesetzung des BFH-Präsidiums scharf kritisiert.“ *2) Seit anderthalb Jahren dauere dieser Streit an.

In den genannten Fällen hat die SPD-Führung, partei- und machtpolitisch motiviert, unserer Demokratie Schaden zugefügt. Denn schon 1992 hatte Bundespräsident Richard von Weizsäcker vor machtpolitischer Übergriffigkeit der Parteien gegenüber unabhängigen Institutionen gewarnt und festgestellt: „Die sachverständige, uneigennützige, parteiunabhängige, konzeptionelle Arbeit und öffentliche Diskussion ist notwendiger Bestandteil unserer Demokratie.“ *3)

3. Wahlrechtsreform mit Verlängerung der Legislaturperiode auf 5 Jahre.

Beim Blick in den KV fällt auf, wie oft das “Jahrzehnt“ der Investitionen, der Modernisierung, das Jahr 2030 beschworen wird. Olaf Scholz begründete dies mit dem Hinweis, man wolle ja wiedergewählt werden. Eine Wiederwahl bis zum Jahr 2030 ist jedoch nur möglich, wenn spätestens ab der Bundestagswahl 2025 die Legislaturperiode des Deutschen Bundestages auf fünf Jahre ausgedehnt wird.

Dies Vorhaben wird schon seit einer Reihe von Jahren propagiert. *4) Der aus der CDU-Bundestagsfraktion als Präsident ins Bundesverfassungsgericht gewechselte, Dr. Stephan Harbarth, hat bereits Zustimmung signalisiert.

Die Bürgerinnen und Bürger müssen nun als Wähler die politische Enteignung befürchten, obwohl die schwersten Zeiten der Nachkriegszeit, des Wiederaufbaus, der Wiedervereinigung, der Wirtschafts- und Finanzkrisen in Wahlperioden von vier Jahren bewältigt werden konnten.

Heißt die Parole der Ampelkoalition “Mehr Fortschritt wagen“ insgeheim “Weniger Demokratie wagen“?

Gerade zu Lasten der von den Ampelparteien FDP und GRÜNE umworbenen Jungwähler, deren Zukunft gesichert werden solle? Denn diese würden politisch besonders hart enteignet, könnten sie doch in einem 60-jährigen Wählerleben nur noch 12-mal, statt 15-mal ihren Deutschen Bundestag wählen.

4. Fazit

Wenn die SPD-geführte Ampelkoalition versucht,

  • die “sachverständige, uneigennützige, parteiunabhängige“ (Richard von Weizsäcker) Arbeit von wissenschaftlichen und rechtsprechenden Einrichtungen unserer Demokratie parteipolitisch zu instrumentalisieren, sowie
  • die Legislaturperiode des Deutschen Bundestags auf fünf Jahre auszudehnen und damit die Wählerschaft politisch zu enteignen,

dann wird diesem “Aufbruch“ ein fauler Zauber innegewohnt haben.

*1) Der Bundesrechnungshof kritisiert die Schuldenpolitik der Ampel und auch, dass sie die Schuldentilgung verschiebe: „Belastungen werden weiter in die Zukunft und auf die nächste Generation verschoben“. Siehe: Bundesrechnungshof kritisiert Haushaltspläne der Ampel. Meldung der dts Nachrichtenagentur vom 25.11.2021. Siehe ferner: Ökonom sieht große Widersprüche. Fratzscher: Finanzpläne der Ampel nicht solide; 26.11.2021; https://www.n-tv.de/wirtschaft/Fratzscher-Finanzplaene-der-Ampel-nicht-solide-article22957326.html.

*2) Streit um BFH-Spitze: Ernen­nung eines neuen Prä­si­denten rückt näher. 09.11.2021; https://www.lto.de/recht/justiz/j/bfh-ernennung-thesling-vgh-muenchen-weist-konkurrentenklage-ab/. RS Anmerkung: Lambrecht stelle im Falle des Bundesfinanzhofes ihre SPD-Personalpolitik gegen die Vereinbarung von 2016 zwischen Bundesjustizministerium mit den Präsidenten der Bundesgerichte über die fachlichen Anforderungen an deren Richter, so der Vorwurf seitens sämtlicher Bundesgerichte. Dessen Tragweite für unseren Rechtsstaat ist für jeden Demokraten beunruhigend. Denn es geht um die fachlichen „Anforderungsprofile“, die folgende unabhängig urteilenden Bundesgerichte vor dem Machtanspruch von Parteien schützen sollen: Bundesarbeitsgericht, Bundesfinanzhof, Bundesgerichtshof, Bundespatentgericht, Bundessozialgericht, Bundesverfassungsgericht, Bundesverwaltungsgericht. 

*3) Die liberale Demokratie braucht die Parteien. Aber der Machtanspruch der Parteien gefährdet die Demokratie. Bundespräsident Richard von Weizsäcker im Gespräch mit Gunter Hofmann und Werner A. Perger. „Wo bleibt der politische Wille des Volkes?“ 19. Juni 1992;  https://www.zeit.de/1992/26/wo-bleibt-der-politische-wille-des-volkes/komplettansicht.

*4) 5 JAHRE. Alle Parteien im Bundestag wollen Wahlperiode verlängern. Veröffentlicht am 14.09.2017; https://www.welt.de/politik/deutschland/article168632891/Alle-Parteien-im-Bundestag-wollen-Wahlperiode-verlaengern.html