1. Mai 2013.

„Dieser Tag gehört uns“, rief Michael Sommer, Vorsitzender des DGB, in leidenschaftlicher Rede vor einer Menschenmenge in München, aus der nicht wenige üble Parolen brüllten oder auf Schildern reckten.

„Dieser Tag ist unser Tag – da haben Nazis nichts verloren, nirgendwo in Deutschland“, rief der DGB-Vorsitzende und „Wir wollen das Verbot der NPD! Es geht nicht um das Verbot von Dummheit, Herr Rösler!“

Wohl wahr! Denn „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Anschlag auf unsere Freiheit, ein Verbrechen,“ betonte Berthold Huber, Vorsitzender der IG-Metall in Stuttgart.

Berthold Huber erinnerte an den 1. Mai 1933 – von den Nazis als gesetzlicher Feiertag zum „Tag der Nationalen Arbeit verfälscht.“ Deshalb waren die Reden der beiden Gewerkschaftsvorsitzenden, Michael Sommer und Berthold Huber, gerade heute geschichtsträchtig. Sie erinnerten uns, warum der 1. Mai gesetzlicher Feiertag ist, „als Tag des Bekenntnisses zu Freiheit und Frieden, sozialer Gerechtigkeit, Völkerversöhnung und Menschenwürde“ (recht.nrw.de).

Und Berthold Huber erinnerte an den 1. Mai 1933 „als schwärzesten Tag in der Geschichte der Arbeiterbewegung – gespalten, zerstritten, gegenseitig verfeindet, nicht in der Lage, Demokratie und Freiheit zu verteidigen.“

Daraus haben Gewerkschaftler in der Gründungszeit der Bundesrepublik die Konsequenz gezogen: Seit seiner Gründung 1949 ist der DGB „dem Prinzip der Einheitsgewerkschaft verpflichtet. Er ist – wie seine Mitgliedsgewerkschaften – pluralistisch und unabhängig, aber keineswegs politisch neutral. Er bezieht Position im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.“ (dgb.de).

An diese Verpflichtung hielt sich der IGM-Vorsitzende Berthold Huber, ohne seine durchaus kritischen Positionen zur „neoliberalen Sparpolitik“ und zur Spaltung des deutschen Arbeitsmarktes zu verbergen.

Im Münchener Kontrastprogramm jedoch raste Michael Sommer gegen „Merkel & Co.“, die Europa „kaputt“ sparen, „mit IWF und EU-Kommission den sozialen Frieden aufkündigen“, und „Europa eine neue Agenda 2010 aufzwingen“ wollen.

Und dann war natürlich die Steuerpolitik dran – auch da das volle Programm von Rot-Rot-Grün. Sommers „Unabhängigkeit“ bestand darin, dass er den Eindruck erweckte, dazu könne die Opposition ruhig noch etwas drauflegen.

Da mich das Thema Steuerpolitik beschäftigt, nehme ich meine nunmehr 40-jährige Mitgliedschaft in Verdi zum Anlass und zum Recht einer abschließenden Bemerkung zu den steuerpolitischen Ausführungen des verehrten DGB-Vorsitzenden Michael Sommer.

Keineswegs rede ich pro domo; die Steuerkeule der Opposition wird mich vorerst nicht treffen. Aber ich denke an Künstler oder Sportler, die mal für ein paar Jahre richtig Geld machen und dann – wie auch viele (Solo-)Selbständige – auf Ersparnis, Vermögen oder Erbschaften für ihren Lebensunterhalt angewiesen sind. An diese Menschen, die wir bewundern und die Millionen unterhalten, denken natürlich die Rot-Rot-Grünen nicht.

Und ich möchte auch an diesem „unseren Tag“ kommentieren – gerade weil Michael Sommer so wütete gegen Hinterziehen, Verkürzen, Vermeiden und auch manches Gestalten im Rahmen der Steuerpflicht „für unser Gemeinwesen und seinen aktiven Staat, der das Geld dringend braucht“.

Gerade weil Michael Sommer angesichts dieser unbestreitbaren Lage noch nie jene sozialdemokratischen Finanzwissenschaftler unterstützt hat, die mit angesehenen Fachkollegen seit Jahrzehnten vergeblich ein einfaches, gerechtes Steuersystem ohne politische Manipulation und Ausnahmen fordern und konkret darlegen. Wohlgemerkt, ein Flat-Tax-Steuersystem, das problemlos aufkommensneutral und progressiv gestaltet werden kann.

„Die Reaktion in Deutschland ist angeschlagen. Glaubt nicht, dass ich Alzheimer hätte“, rief Michael Sommer der Menge zu, wohl mitgerissen von Vorfreude auf baldigen Regierungswechsel.

Auch ich möchte derzeit die Freiheit von Alzheimer-Symptomen gelegentlich in Anspruch nehmen dürfen. Vor 30 Jahren schrieb der große Journalist Gerhard Mauz im SPIEGEL „dass es Dinge gibt, die man nicht tut, obwohl sie nicht mit Strafe bedroht sind. Und ein Gefühl dafür, dass mancher, in seiner Rolle jedenfalls, sogar einiges auslassen sollte, was ausdrücklich gestattet ist, gibt es schon gar nicht mehr.“ (SPIEGEL, 24.01.1983).

Sein hartes Urteil erscheint auch heute berechtigt, sieht man die Fälle, über die Herr Mauz berichtete. Eines seiner Beispiele sei hier zitiert: „Und so schauen Gewerkschaftsfunktionäre verdattert drein, die ´völlig legal` von den Möglichkeiten zur Steuerentlastung Gebrauch gemacht haben, bis sie praktisch keine Steuern mehr zahlen mussten, wenn die Empörung der Gewerkschaftsmitglieder sie hinwegfegt.“