23. Februar 2014.

In Sotschi enden die olympischen Winterspiele mit einer abendlichen Abschlusszeremonie.

Die russländische Föderation als Gastgeber hat den Dank der Sportwelt verdient. Zur politischen Dimension des Ereignisses hier ein strategischer Gedanke aus den USA.

Simon Shuster sieht in dem „informellen Boykott“ *1) westlicher Spitzenpolitiker einen Fehler.

Zwar sind olympische Winterspiele nach Gepflogenheiten internationaler Diplomatie keine Pflichtveranstaltung. Deshalb hat Bundespräsident Gauck seine Absage für Sotschi nicht begründen müssen. Doch was heißt das in einer Gegenwart, in der sich Krisen häufen?

Shuster schreibt, Putin habe niemals in seiner Laufbahn mehr Offenheit gegenüber westlichem Einfluss gezeigt als während der Vorbereitung auf die Winterspiele in Sotschi. Er habe die meisten bekannten politischen Gefangenen entlassen – Umweltaktivisten, die Pussy Riot Künstlerinnen, Oligarchen, Demonstranten. Seine Partei habe in der Staatsduma eine Gesetzesänderung zur Aufhebung diskriminierender Regelungen gegen Homosexuelle eingebracht.

Was möge Putin denken – so Simon Shuster – wenn er bei der Abschlussfeier am 23. Februar auf seine Staatsgäste blicke – aus China, Nordkorea, Belarus, Kasachstan. Wenn er sich eingestehen müsse, dass vor allem diese Länder seine einzigen verlässlichen Partner sind. Dass alle seine Gesten – „all his good faith gestures“ – im Westen kaum Resonanz gezeitigt hätten. Dass der Westen „has turned its back on him again.“

In diesem Zusammenhang sind strategische Überlegungen von Herrn Botschafter Wolfgang Ischinger bedeutsam. *2) Ischinger betont, wie notwendig strategisches Denken aus seiner „eigenen Erfahrung als deutscher diplomatischer Verhandlungsführer in Ost-West-Krisen“ ist. Er befürchtet, „zu Beginn des Jahres 2014 .. , dass Mentalitätsmuster und Klischees aus der Zeit des Kalten Kriegs noch immer nicht ganz überwunden sind – hüben wie drüben.“

Der sicherheitspolitische Fachmann Ischinger warnt uns vor noch immer drohenden Risiken: Strategischen und taktischen Nuklearwaffen mit kurzen Vorwarnzeiten; Gewalt und Chaos in der Ukraine; der Tragödie in Syrien, die Frieden und Stabilität im Mittleren Osten gefährdet.

Ischinger fragt weiterhin: „Warum wohl erleben wir all diese Erstarrungen, Krisen und Rückfälle – in Bosnien, in Georgien, in Transnistrien? In Nagorny-Karabach?“

Ischinger identifiziert die gemeinsame Ursache all dieser Dauerkonflikte: „nämlich das Nichtvorhandensein eines zwischen West und Ost, zwischen Europa, USA und Russland abgestimmten gemeinsamen strategischen Ansatzes. Und das Nichtvorhandensein eines gegenseitigen Grundvertrauens.“

Die Quintessenz aus Ischingers Analysen und Erfahrungen: „Ohne Russland geht es nicht.“ Und es „ist keineswegs unmöglich, gemeinsame strategische Ansätze mit Russland zu entwickeln“. Als Beleg für langjährige Zusammenarbeit mit Russland nennt er die Stichworte: Iran, Afghanistan, den USA-Russland-Vertrag zur Verringerung der strategischen Nuklearwaffen von 2010 („New Start“), das Ende der Balkankriege.

Simon Shuster denkt ebenso strategisch und appelliert an Präsident Obama, die Gelegenheit des 23. Februar in Sotschi zu nutzen und eine hochrangige Persönlichkeit zu bitten, auf deren Präsenz Gastgeber Putin mit Stolz blicken könne. Eine Persönlichkeit mit dem Rang und der Kapazität, politischen Dialog mit Wladimir Putin zu führen: Vizepräsident Joe Biden oder Außenminister John Kerry.

Ist der Appell Simon Shusters, ist die Analyse Botschafter Ischingers nicht wert, in Deutschland Aufmerksamkeit an höchster Stelle zu finden? Herr Bundespräsident, Herr Bundestagspräsident, Frau Bundeskanzlerin, Herr Vizekanzler?

*1) Simon Shuster, The West’s Backfiring Boycott, Russian President Vladimir Putin will not forget which leaders spurned his hospitality at Sochi. TIME, February 24, 2014, S. 36.

*2) Ohne Russland geht es nicht, 19. Februar 2014, von Wolfgang Ischinger; https://www.securityconference.de.