Auf Wiedersehen, Sotschi!

Es gelingt leider nicht immer, Olympia als reines Fest des Sportes zu feiern.

Ein rabiater Philosoph, Bernard-Henri Lévy, rief unter Bezug auf den zeitlich geschickt platzierten Euromaidan dazu auf, die Spiele in Sotschi umgehend zu verlassen.

Und eine Reihe westlicher Politiker hatte die Spiele von vornherein boykottiert. Den Politikern kann man sicher Heuchelei vorwerfen. Weil sie einen Boykott bei der – nach ungezählten Medienberichten – nun wirklich als korrupt wahrgenommenen FIFA und ihren Fußballmeisterschaften niemals wagen würden.

Wir Olympiaenthusiasten haben uns dadurch nicht weiter stören lassen. Die Winterspiele in Sotschi boten uns begeisternde Wettkämpfe. Eingerahmt von künstlerisch gestaltetem Zeremoniell, das keiner Beschreibung bedarf.

Die Eröffnungsfeier schuf Konstantin Lvovich Ernst (geb. 1961), einer der bedeutendsten russischen Regisseure und Choreographen.

Für die heutige Abschlussfeier hatte Konstantin Ernst eine kluge Idee: „Um ein möglichst unparteiisches Bild von unserer Kultur zu vermitteln, haben wir beschlossen, diese mit den Augen eines Europäers zu betrachten. Eines gebürtigen Mitteleuropäers – des hervorragenden Theaterregisseurs Daniele Finzi Pasca“. *1)

Dem Schweizer Daniele Pasca (geb. 1964) ist für eine unvergessliche Abschlusszeremonie „Sotschi 2014″ zu danken. Seine kreative Überlegung: Die Abschlussfeier sollte die Werke „herausragender russischer Schriftsteller, Musiker und Künstler durch das Prisma ihrer ´besten Romane, unvergesslichen Melodien und Kunstwerke` widerspiegeln. Ihre bewundernswerten und für die damalige Zeit revolutionären Werke haben die Kunst der Länder in der ganzen Welt beeinflusst. ´Russland in Reflexionen` ist eine Liebeserklärung an die russische Kultur“. *1)

Dieser Gedanke Pascas kam in der TV-Übertragung überzeugend zur Geltung.

Dabei war der TV-Reporterin Ina Ruck wohl die undankbare Rolle einer Politkommissarin zugewiesen worden. Vielleicht, weil sonst niemand den Boykott einer solch glänzenden olympischen Feier durch unsere Politiker verstanden hätte. Seien wir daher großzügig, schenken wir nach der Freude an der Abschlussfeier Frau Ruck und ihrer Kommentatorenpflicht ein wenig Aufmerksamkeit!

Als 350 Tanzpaare die olympischen Ringe formten, und der obere rechte Ring zunächst klein blieb, biss Frau Ruck sofort zu: Schon wieder! Aber wegen Pannenkorrekturen werde die Sendung in Russland ja zeitversetzt ausgestrahlt. Es dauerte etwas, bis sie Pascas selbstironische Anspielung auf die Eröffnungfeier verstanden hatte.

Bei den Szenen zu großen Dichtern Russlands kam ihr der Einfall, dass sie keinen Russen kenne, der nicht „irgendwelche Verse von Puschkin auswendig kennt“ – irgendwelche! Ihr Kollege: „Wie schön die Seiten davonfliegen“, als Pasca zeigte, wie die große russische Literatur die Leser der Welt in den Bann schlägt – bis heute.

1000 Kinder aus allen Teilen Russlands sangen ihre Nationalhymne; Frau Ruck mochte uns nicht den Hinweis vorenthalten, dass die Melodie seit Stalin (1944) gespielt wird. Aber wer mit der Melodie des Deutschlandliedes – Gott erhalte Franz, den Kaiser – im Glashaus sitzt …

Als lachende Soldaten eine musikalisch schwungvolle Einlage tanzten, bemerkte Frau Ruck nur Trainigsfleiß – beim Lachen!

Auch bei den Bildern zum weltberühmten „Großen Russischen Staatszirkus“ fand Frau Ruck das Haar in der Suppe: „Die guten Artisten gehen natürlich ins Ausland, das muss man auch sagen“. Stimmt fast: die besten gehen auf Welttournee – mit ihrem Staatszirkus.

Kaum bewunderten wir das Bolschoi-Ballet, schon bemängelte Frau Ruck: „Sehr, sehr konservativ die Inszenierung, nie sind sie modern … sehr, sehr traditionsbewusst das Publikum, vorsichtig ausgedrückt …“. Aber, verehrte Frau Ruck, wieso denn „vorsichtig ausgedrückt“? Vorsicht haben Sie gar nicht nötig! Sie sind doch voll im Einklang mit der NOlympia-Mentalität der Deutschen.

Eine atemberaubende Choreographie durch Russlands Geschichte und die Winterspiele von Sotschi endete, als ein kleiner Junge – tief versunken in das Erinnerungsbuch „Sotschi 2014″ – aufblickte und den Band behutsam schloss.

IOC-Präsident Thomas Bach fand angemessene Worte: „Danke Sotschi, danke Russland! Wir hatten großartige 17 Tage, die Sportler haben in Wettkämpfen geglänzt, gemeinsam unter einem Dach gelebt. Das ist eine Botschaft an die Welt, die von einer Gesellschaft des Friedens, der Toleranz, des Respekts handelt.“

Dann dankte der IOC-Präsident den freiwilligen Helfern: „Euer Engagement wird das Vermächtnis einer starken Zivilgesellschaft in Russland schaffen. Durch Euch konnte jeder, der unbefangen ist, das Gesicht eines neuen Russland sehen: patriotisch und weltoffen!“

Da schnappte Frau Ruck noch einmal zu: „ ´weltoffen` ist sicher nicht das geeignete Wort.“ Aber wir genossen bereits das Klavierkonzert Nr. 1 von Peter Tschaikowski.

*1) Schweizer Regisseur veranstaltet Olympia-Abschlussfeier: gewidmet der russischen Kultur. Von Vitaliy Belousov. Ria Novosti, 20.02.2014.