Staatskrise oder Posse?

Ein neues Lehrstück für politische Bildung zeichnet sich ab, während sich düstere Prognosen zur GroKo häufen.

So referierte die angesehene Journalistin Nicole Massion im TV ein Gespräch mit einem „ehemaligen Innenminister“: Der Skandal habe eine größere Dimension als wir bisher alle ahnen. Was kommt nun noch auf uns Bürger zu? Drei renommierte Parteienforscher beantworten diese Frage. Sie „halten für möglich“, d.h. sie unken, dass es zu „unabsehbaren Folgen“ komme. Da halten wir uns an den geschätzten Politikwissenschaftler Professor Tilman Mayer: Die „Geschwätzkaskade“ könne zur „Staatskrise“ führen. Könnte schon sein …

Doch auch ein alternatives Szenario ist denkbar. Versuchen wir eine alternative Aussage zur künftigen Entwicklung. Nun will dieser Politiklaie nicht in die Glaskugel der weisen Alten schauen. Vielmehr versucht er – amateurhaft, aber bemüht – politikwissenschaftlich vorzugehen. Das heißt, sich an solche Vorgänge der letzten Tage zu halten, in denen sich Ausstrahlungseffekte auf die Zukunft vermuten lassen.

So für die Spekulation des enthusiastischen Politiklaien gerüstet, können die folgenden Elemente mit prognostischer Ausstrahlung festgestellt werden.

1. Der Leitende Staatsanwalt Fröhlich aus Hannover bekommt es nicht fertig, einen für seine Ermittlungen zentral wichtigen Brief sicher an den Bundestagspräsidenten Lammert zu befördern: z. B. per Boten und persönlich zu übergeben. Statt dessen erreicht Herrn Lammert über den Postweg nach mehr als einer Woche ein geöffneter Umschlag.

2. Bei den Ermittlern in Hannover wird geglaubt, das Büro Herrn Edathys im Berliner Abgeordnetenhaus sei versiegelt und für die Durchsuchung vorbereitet. Statt dessen macht es sich Edathys Nachrückerin als MdB darin gemütlich.

3. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil: „Innenminister und Justizminister haben sich ganz exakt richtig verhalten.“ (dpa, 17.02.2014).

4. Die GroKo-Politiker sind sicher, dass sie alles richtig gemacht haben. Vizekanzler Sigmar Gabriel „attestiert Oppermann absolut korrektes Verhalten.“ (zeit.de, 17.02.2014). Sein Stellvertreter Ralf Stegner bescheinigt: „Die SPD-Spitze hat sich korrekt verhalten.“ (focus, 17.02.2014). Horst Seehofer sieht in Ex-Minister Friedrich einen Ehrenmann auf dem Opfergang und stellt der SPD ein Ultimatum. Die CSU fordert Rache. Das Ultimatum lief gestern ab. Für morgen Abend ist ein Essen zu dritt in vertrauter Runde vereinbart: Merkel, Gabriel, Seehofer. Die Bundeskanzlerin ist sich bereits mit Herrn Stegner einig. Sie „hat volles Vertrauen in ihren Stellvertreter und den Wirtschaftsminister“ (Sprecher Steffen Seibert, focus, 17.02.2014).

5. Daher sollen die Damen das letzte Wort haben und natürlich die Wissenschaft. Damit sind wir bei der renommierten Kriminologin „aus feministischer Sicht“: Frau Professor Dr. Monika Frommel (www.hna.de/,14.02.2014). Die obigen Punkte 1 und 2 zeigten bereits, dass Staatsanwalt Fröhlich aus Gründen, die er persönlich nicht zu vertreten hat, nicht viel geregelt bekommt. Frau Professor Frommel geht jedoch weit über diese Vermutung hinaus. Frau Professor zensiert den Staatsanwalt Fröhlich als „sehr fahrlässig“. Ohne Prüfung des „Verdachts der Verfolgung Unschuldiger“ habe er „den Verdacht hinausposaunt“, und „das finde ich unglaublich.“ Der Staatsanwalt Fröhlich müsse „Hellseher“ sein, weil er auf Fotos das Alter von Jungen bestimmen könne. Seine Ermittlung beruhe auf „Spekulation“. Da der Vorgang Edathy in Deutschland eher „straflos“ sei, ermittle Fröhlich „dilettantisch und ohne Grund.“ Als Staatsanwalt habe er „seinen Beruf verfehlt.“ (Heute im TV).

Fazit: Diese fünf Elemente haben den Politik- und Strafrechtslaien so beeindruckt, dass er diesen fünf Elementen prognostische Ausstrahlung zuschreiben möchte. Bis auf den irregeleiteten Staatsanwalt haben alle genannten Persönlichkeiten „alles ganz exakt richtig gemacht.“ (Stephan Weil). In der Politik, in der GroKo wird also gar nichts passieren.

Außerdem wird es kein Strafverfahren gegen Edathy geben, nur moralische Missbilligung, und ein Parteiordnungsverfahren wird erörtert werden. Aber dafür wird uns vielleicht künftig ein gutes Dutzend strafrechtlicher Ermittlungen oder Strafverfahren wegen „Geheimnisverrats“ beschäftigen – gegen Exminister Friedrich, Herrn BKA-Präsident Ziercke und eine Reihe von Leitern der Polizei- und der Landeskriminalämter.

Das ist Politik in Deutschland – zwischen Staatskrise und Posse.

Nachtrag 19.02.2014: Erneut nimmt SPD-Fraktionsvorsitzender Thomas Oppermann das große Wort und seine Partei sowie den Fraktionsvorsitzenden der Union Volker Kauder in die Pflicht: „Ich bin … ein Stabilitätsanker dieser  Koalition.“ Sicher schon wieder „im Interesse der Öffentlichkeit.“ Und schon wieder missverständlich. Denn nicht wenige Bürger „missverstehen“ diese Aussage als Anspruch auf Unantastbarkeit. Als ungeschminkt brutale Erpressung.

Soeben um 13.00 Uhr habe ich die Erklärung von Herrn Ziercke, BKA-Präsident, zum ihn „überraschenden“ Telefonanruf von Oppermann im Oktober 2013 gehört. „Überraschend“, weil er, Ziercke, vorher lange – vier bis fünf Jahre – keinen Kontakt mit Oppermann gehabt habe. Deshalb sei es beiderseits bei einem kurzen, belanglosen Gespräch geblieben; Oppermann habe ihn, Ziercke, ausdrücklich nicht „in Schwierigkeiten“ bringen wollen. 

Also „alles korrekt“, so anschließend Frau Dr. Eva Högl, MdB, für die Öffentlichkeit. So steht es im focus (Mittwoch, 19.02.2014, 12:48 Uhr), so hat es anschließend auch Prof. Kronenberg im Phönix-TV wiedergegeben, so hat es die Qualitätspresse übernommen.

Dieser Eindruck in der Öffentlichkeit sollte unverzüglich korrigiert werden. „Vier bis fünf lange Jahre keinerlei Kontakt zwischen Herrn Ziercke und Herrn Oppermann“ vor dem Telefonat im Oktober 2013? Hier der letzte nachweisbare Kontakt. November 2012 in Berlin: Ein Jahr nach Entdeckung des NSU-Terrors. Öffentliches Fachgespräch der SPD-Bundestagsfraktion.

Einführung: Thomas Oppermann, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. Bericht aus der Untersuchungskommission: Dr. Eva Högl, MdB. Input: Jörg Ziercke, Präsident des BKA. Schlusswort: Sebastian Edathy, MdB, Vorsitzender des 2. Untersuchungsausschusses (Terrorgruppe NSU): „Ich bedanke mich bei Ihnen allen für Ihr Kommen. Ganz ausdrücklich auch bei Herrn Ziercke, der die ganze Zeit hier gewesen ist, das will ich ausdrücklich anerkennen.“ (Quelle: http://www.spdfraktion.de/sites/default/files/ansicht_dok_3_13_nsu.pdf).

So wurde heute von Herrn Ziercke und Frau Dr. Högl im Deutschen Bundestag bei der Information der Öffentlichkeit mit den Fakten umgegangen. Reihen schließen wegen der Strafanzeige von RA Wolfgang Kubicki, Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion in Kiel?

Dazu noch die Zumutung der mittlerweile 4 Versionen für den Grund des Anrufs von Oppermann bei BKA-Präsident Ziercke: 1. Die von Gabriel vertraulich gegebene Information von Ziercke „bestätigen lassen.“ Ziercke dementierte umgehend. 2. Grund des Anrufs sei „großer medialer Druck“ gewesen. Dann hätte erst recht Gabriel dort anrufen müssen. 3. Grund sei die Pflicht als Fraktionsvorsitzender gewesen, „sich um Abgeordnete in Schwierigkeiten zu kümmern.“ Diese – in der „Öffentlichen Erklärung“ (13.02.2014) zu Punkt 1 abgestrittene – Fürsorge hätte sich das MdB „in Schwierigkeiten“ wohl verbeten. 4. Grund des Anrufs sei die Betroffenheit und Sorge gewesen, den Vorgang Edathy „einzuordnen.“ Diese Version wurde mit Ziercke abgekartet.

Wie soll solches Verhalten Vertrauen bei den Bürgern „wieder herstellen“?

Nachtrag 21.02.2014: Nun meldet noch der SPIEGEL das Umfrageergebnis: „Mehrheit der Deutschen will Rücktritt von Oppermann.“ Für den Umfrage-Skeptiker liegt das daran, dass Oppermann mit dem Kinderthema ständig in den Medien ist, und die ahnungslose Mehrheit ihn irrtümlich für den Pornotäter hält. Zu allem Unglück muss sich Sigmar Gabriel in Kenntnis dieser breiten Wahrnehmungslage in der Bevölkerung zurückhalten. Sonst heißt es am Stammtisch über den Ex-Pop-Beauftragten, dass er SPD-Pornobeauftragter war. Die ganze Affaire degeneriert zur Posse.