3. Oktober.

Macht es mit dem 3. Oktober 1990 wie mit dem 17. Juni 1953 — schafft ihn ab, den gesetzlichen Feiertag der Deutschen Einheit. Macht ihn zum Gedenktag. Dann möge jeder gedenken, wie er will. Arbeiten, feiern, fluchen oder verreisen. Sie gehen dahin, die Prediger vom Format unseres Bundespräsidenten Gauck, die uns noch eine Generation danach überzeugend darlegen können: Ja! „Es gibt etwas zu feiern.“ *1)

Es gibt genug Gründe, das Datum 3. Oktober nicht so hoch zu hängen wie den 17. Juni längst vergangener Zeiten. Der Mauerfall am 9. November 1989 hat für das Gedenken die gleiche Würde, ebenso der 18. März 1990, die erste freie Wahl für die Menschen in der DDR. Noch würdiger wäre, im Vereinten Deutschland des 8. Mai 1945 als „Tag der Befreiung“ (Bundespräsident Richard von Weizsäcker) zu gedenken.

Die Gedenktage kommen in die Jahre, sie nutzen sich ab. Auch die SED/PDS/DIE LINKE als legitime Interessenvertretung privilegierter, systemkonformer Bürger und Funktionsträger der ehemaligen DDR sowie der Gegner der „neoliberalen“ Wirtschafts- und Sozialordnung ist in die Jahre gekommen. So sehr ist die LINKE im geeinten Deutschland angekommen, dass sie sich leisten kann, mit MdB Gregor Gysi ihre brillianteste Führungskraft in die zweite Reihe zu verabschieden.

So banal lesen sich inzwischen viele Reden der LINKEN zur Innen- und Außenpolitik, dass es in einigen Jahren zum Projekt „Rot-Rot-Grün“ auf Bundesebene kommen könnte. Da wächst zusammen, was zusammengehört, wie sicher bereits Ralf Stegner, dafür zuständiger SPD-Vize, fühlt!

Durch das Übermaß an politisch-taktischer Fraktionsführung hatte sich Herr Gysi derart verschlissen, dass ihm zuletzt außer Döneken nicht mehr einfiel, als gegen den Begriff „Unrechtsstaat“ für die DDR zu meckern.

Wer sich vergegenwärtigt, wie oft in der alten Bundesrepublik gegen „Unrecht“ politisch, juristisch, durch Streiks oder Demonstrationen gekämpft wurde, muss sich fragen, ob Gysi als vielbeschäftigter DDR-Rechtsanwalt und Strafverteidiger dies vielleicht ironisch meinte. Und damit vielleicht auf eine beschönigende Kennzeichnung des DDR-Regimes aufmerksam machen wollte.

Ein DDR-Regime, das hunderttausende Spitzel und Schergen auf „Staats- und Klassenfeinde“ oder „Asoziale“ ansetzte! Ungezählte Menschen wurden im Auftrag von staatlichen Institutionen der DDR ermordet, psychisch fertiggemacht, in ihrer persönlichen Entfaltung und Würde verstümmelt. Mit brutalster Drohung wurde politischer Konformismus erzwungen. Selbst die letzten Mittel Gequälter waren bei schwerster Strafe verboten: öffentlicher Protest oder Flucht. Dieses Verständnis von Staat, das in der DDR herrschte, sollte als verbrecherisch bezeichnet werden.

So weit reichte es jedenfalls nicht bei dem Ministerpräsidenten Bodo Ramelow. Dieser LINKE wollte als Westdeutscher, der sich dort als Linker frei ausleben konnte, 2014 das „Rot-Rot-Grün“-Bündnis in Thüringen anführen. Das Vorhaben zwang ihn zu dem opportunistischen Versuch, öffentlich Herrn Gysi und dessen Anhang bei dem Thema „DDR-Unrechtsstaat“ wenigstens zu entlasten. Sonst hätte er die Basis der LINKEN enttäuscht.

Im Interview mit dem Deutschlandfunk über Gysis Protest gegen die Bezeichnung „Unrechtsstaat“ für die DDR, sagt uns Ramelow wortreich auf die Frage, ob das ein Fehler Gysis war oder ob Gysi Recht hatte:

„Ich will es mal so sagen: Es ist nicht gerade hilfreich, was uns an Debatte jetzt aus der Partei, aus der ganzen Bundesrepublik begegnet. Aber es ist auch interessant. Es zeigt meines Erachtens, dass es doch notwendig ist, darüber gründlicher zu diskutieren … Die Frage ist ja, zu was er Recht hat … die DDR war eine Diktatur. Das steht auch in unserem Papier. Das wollte die SED auch genau so sagen. Sie hat sich selber definiert als Diktatur des Proletariats. Und wenn Sie vor 25 Jahren in der DDR gefragt hätten, ´Seid ihr ein bürgerlicher Rechtsstaat?`, dann wäre Ihnen Verächtlichkeit und Verhöhnung entgegengeschlagen, weil die SED darauf bestanden hat, dass sie ein neuer sozialistischer Staat seien, der aber keine bürgerliche Rechtsstaatlichkeit kennen würde. Da muss man einfach mal sagen: Es gab in der DDR Rechtsprechung. Es gab ein Arbeitsgesetzbuch, das war so einfach und klar, dass ich mir als westdeutscher Gewerkschafter es mir sogar gewünscht hätte.“ *2)

Erstaunlicher Unsinn für einen langjährigen westdeutschen Gewerkschafter! Die Bundesrepublik war und ist ein Rechtsstaat, ohne das einschränkend gemeinte „bürgerlich“. Und zur Diskrepanz von DDR-“Recht“ und Rechtspraxis fällt Ramelow nichts ein.  

Bodo Ramelows Lebensweg zeigt, dass er ein tüchtiger Mann ist, der sich als Kaufmann, Gewerkschaftler und Politiker hochgearbeitet hat. Ich käme nicht auf die Idee, ihm angebliche Kontakte zur westdeutschen Kommunistischen Partei (DKP) anzukreiden, die er als junger Mann in den 1980er Jahren gepflegt haben soll.

Bodo Ramelow, Gregor Gysi und die Bundestagsfraktion DIE LINKE haben dem Rechtsstaat unserer Bundesrepublik vertraut. Indem sie gegen die Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz geklagt haben. Mit Erfolg für Bodo Ramelow schließlich vor dem Bundesverfassungsgericht.

Dessen Zweiter Senat hat am 17. September 2013 zur Beschwerde von Bodo Ramelow festgestellt: „Die langjährige Beobachtung des Beschwerdeführers einschließlich der Sammlung und Speicherung der gewonnenen Informationen genügt den Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht … Bei einer Gesamtabwägung aller Umstände stehen die vom Bundesverwaltungsgericht angenommenen geringfügigen zusätzlichen Erkenntnisse für die Ermittlung eines umfassenden Bildes über die Partei … außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs in das freie Mandat des Beschwerdeführers.“ *3)

Deshalb beschloss das Bundesverfassungsgericht: „Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juli 2010 .. verletzt den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 und Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 28 Absatz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben … Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer die im Verfassungsbeschwerdeverfahren notwendigen Auslagen zu erstatten.“ *3)

So ist der Politiker Bodo Ramelow in seinem freien Mandat als Parlamentarier durch unseren Rechtsstaat nach jahrzehntelanger (seit 1986!) Beobachtung durch die „Verfassungsschützer“ des Bundesministeriums für Inneres vor weiterem  Ausforschen geschützt worden.

Über dieses Ergebnis, diesen Sieg der Freiheit und des Rechts über die Ämter, können sich sogar politische Gegner Ramelows freuen.

Herr Ramelow hätte sich fragen sollen, was ihm geblüht hätte, wäre er nicht als Bürger der Bundesrepublik dem „Verfassungsschutz“, sondern als Bürger der DDR der dortigen „Staatssicherheit“ in das Visier geraten. Dies hätte ihn vielleicht vor seiner opportunistischen und insgesamt sehr albernen Intervention *2) zur Entlastung Gysis bewahrt, als dieser das Fazit „die DDR war ein Unrechtsstaat“ öffentlich beanstandete. Ramelow hätte dazu einfach schweigen können.

Aber das Ausmaß des Opportunismus Ramelows zeigt: Die Ex-Kader-Partei SED als heute ostdeutsche “Volks“-Partei LINKE ist in der deutschen Politik angekommen. Auch auf der banalsten Ebene der permanenten Anbiederung an die Parteimitglieder.

Bei solch fortgeschrittenem Stand der deutschen Einheit kann das Thema „Wiedervereinigung“ und „3. Oktober“ den Akten und der historischen Forschung überlassen bleiben. Schafft den Feiertag ab, bevor er kleingeredet wird!

*1) Tag der Deutschen Einheit. Gaucks Rede im Wortlaut. SPIEGELONLINE. 03. Oktober 2015.

*2) Deutschlandfunk. Interview, 02.10.2014. Bodo Ramelow im Gespräch mit Dirk Müller.

*3) BUNDESVERFASSUNGSGERICHT. Beschluss vom 17. September 2013 – 2 BvR 2436/10

ECLI:DE:BVerfG:2013:rs20130917.2bvr243610.