Tabu und Propaganda.

Beherrschen Tabus und Propaganda oder das „Für und Wider“ demokratischer Streitkultur die deutsche Sicht auf das Thema Flüchtlinge?

Vor allem die mächtige Theologin Katrin Göring-Eckardt bestimmt bisher die öffentlichen Tabuzonen zum Thema Flüchtlinge nach folgenden Vorgaben. Zunächst und erstens: Wir Deutschen dürfen ein glückliches Septembermärchen erleben.

Weitere Vorgaben folgten bald, als der Journalist Roland Tichy Frank Plasbergs TV-Sendung „Hart aber Fair“ als Ort der Debatte missverstand. Denn er warnte, dass Asylmissbrauch und Verteilungskämpfe mit armen Deutschen durch die massive Migration drohen. Prompt verordnete Frau Göring-Eckardt als dominierende Teilnehmerin der TV-Runde weitere Tabus. Tabu Nr. 2: Es gibt keinen Asylmissbrauch und Tabu Nr. 3: Es gibt keine Verteilungskonflikte wegen der Millionen von Flüchtlingen. *1)

Solche Tabuisierung von Debatten erscheint mehr als bedenklich, überlässt sie doch damit das Feld streitiger Diskussion weitgehend den Extremisten.

Göring-Eckardt ist keineswegs allein im emotionalen Septembermärchen. Vizekanzler Sigmar Gabriel fordert im Flüchtlingslager in Jordanien unter Tränen, eine Familie solle nach Deutschland ausreisen.

Wer weint, meint es ja von Herzen, deshalb dürfen wir Bürger den Auftritt des Vizekanzlers nicht als Fortsetzung Merkelscher Einladungspolitik verstehen und diskutieren. So konnte Gabriel gleich eine weitere Forderung nachschieben, kaum dass seine Tränen trockneten.

„Speziell die USA (sollten) mehr Geld für das unterfinanzierte Hilfsprogramm der UN bereit stellen. (Denn) die USA sind nicht unmaßgeblich Mitverursacher der Flüchtlingskrisen hier, beispielsweise im Irak.“ *2)

Langer Rede kurzer Sinn: Septembermärchen statt Debatte, Finger auf die USA — daran halten wir uns. Blicken wir also nach Amerika und referieren, wie dort das deutsche Septembermärchen beurteilt wird.

Wählen wir die Deutschland-Beobachter in den USA sorgfältig aus. Das ist leichter als gedacht. Denn mit unseren international tätigen Politischen Stiftungen sind angesehe Autoren, die sich zum Thema sachkundig äußern, seit vielen Jahren verbunden: Christopher Caldwell mit der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) und Philip Jenkins mit der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). *3)

Philip Jenkins *4) geht von Sigmar Gabriels Festellung aus, dass „für mehrere Jahre mit etwa einer halben Million“ Migranten jährlich zu rechnen sei. Auch die Schätzung von einer Million pro Jahr stehe im Raum. Jenkins fragt: fünf Jahre, zehn Jahre? Es gebe kein erkennbares Ende für diesen Prozess, selbst wenn der Krieg in Syrien schnell beendet würde. Denn in den von Gewalt und Elend getroffenen Ländern von Libyen bis Pakistan werde Deutschlands Angebot als „irresistible invitation“ (Jenkins) wahrgenommen.

Übertrage man Gabriels Schätzung auf die viermal größere US-Bevölkerung, so müsste das traditionelle Einwanderungsland USA zusätzlich zwischen zwei bis vier Millionen Migranten jährlich aufnehmen: „selbst angesichts der Diversität der amerikanischen Bevölkerung wäre dies eine unvorstellbar große gesellschaftliche Transformation“. *4) Ob Gabriel diese selbst für US-Verhältnisse unfassbare Größenordnung des Problems überhaupt wahrnimmt, weiß niemand.

Jenkins argumentiert weiter, bisher habe man für das Jahr 2030 mit einem muslimischen Bevölkerungsanteil in Deutschland von etwa 7 % gerechnet. Würden die bisherigen Migrantenströme anhalten, könnte der Anteil der Muslime schnell wachsen und bis 2030 auf 15 bis 20 % zunehmen. Diese Entwicklung in solch kurze Zeitspanne gedrängt, käme in Deutschland einer kulturellen und gesellschaftlichen Revolution ohne Beispiel gleich.

Und angesichts deutscher „taboos“ und des in den deutschen Medien kaum benannten muslimisch-religiösen Aspekts dieses Wandels fragt Philip Stevens: „Sollte den Deutschen nicht wenigstens erlaubt werden, dies offen zu diskutieren?“ *4)

Christopher Caldwell *5) konstatiert, dass die politische Führung in Europa und Deutschland zwei Phänomene durcheinander werfe, die humanitäre Notlage durch das ISIS-Kalifat und die riesige wirtschaftlich motivierte Migration.

Die humanitäre Not werde jedoch benutzt, „um jegliche öffentlichen Bedenken über die Wirtschaftsmigration abzuwürgen. Eine Atmospäre der Propaganda herrsche vor.“ *5)

Diese Propaganda komme gerade in Deutschland darin zum Ausdruck, dass die Migranten die Verelendeten dieser Erde sind, wenn das Gewissen bemüht, aber die Spitze der Qualifizierten, wenn der Vorteil für die Wirtschaft beschworen werde. Als Beleg für diesen Propaganda-Vorwurf an Deutschland zitiert Caldwell Dieter Zetsche, den Vorstandschef der Daimler AG: „Junge, gut gebildete Flüchtlinge sind genau die Menschen, die wir suchen.“ *5)

Europa und Deutschland fallen aus Caldwells Sicht den von Politik und Medien selbst gesteuerten Tabus und der Propaganda zum Opfer: „Die Politiker Europas haben bisher noch gar nichts gemerkt. Eine Migrationskrise versuchen sie als humanitäre Krise darzustellen. Sie ist kurz davor, sich in eine militärische Krise zu verwandeln.“ *5)

So also sehen international ausgewiesene amerikanische Deutschlandkenner und Kooperationspartner der Konrad-Adenauer-Stiftung (Philip Jenkins) und der Friedrich-Ebert-Stiftung (Christopher Caldwell) das Septembermärchen von Katrin Göring-Eckardt und die von ihr uns Bürgern zugemuteten Tabus und ihre Propaganda.

*1) Vgl. ARD-TV-Sendung „Hart aber Fair“ mit Moderator Frank Plasberg und Katrin Göring-Eckardt, Uwe Hück, Thomas Strobl, Roland Tichy, Eyüp Yildiz zum Thema Flüchtlinge am Montag, 21.09.2015.

*2) Flüchtlinge. Gabriels Tränen für Flüchtlinge in Jordanien; http://www.dw.com/de/gabriels-tränen-für-flüchtlinge-in-jordanien/a-18729104, 22.09.2015.

*3) Christopher Caldwell, 1962 geboren, ist ein amerikanischer Journalist, der für die angesehensten Zeitungen der Welt schreibt. Philip Jenkins, Jahrgang 1952, ist Historiker und renommierter Professor für Religionswissenschaft, auf diesem Gebiet auch als Buchautor und Kolummnist hervorgetreten.

*4) Germany’s Coming Demographic Revolution. Posted By Philip Jenkins. On September 15, 2015; http://www.theamericanconservative.com – Germany’s Coming Demographic Revolution. (Übersetzung, RS).

*5) Waves from the South. By Christopher Caldwell; http://www.weeklystandard.com/articles/waves-south_1028508.html. SEP 21, 2015, VOL. 21, NO. 02. (Übersetzung, RS).

**) Nachtrag 24.09.2015

Spitzenpolitiker wie der SPD-Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag, Thomas Oppermann, scheinen noch immer dem Septembermärchen Göring-Eckardts verhaftet: „Triumph der Menschlichkeit“ zitiert er aus Janusz Reiters FAZ-Artikel. Hätte Oppermann wenigstens die Überschrift des Artikels von Herrn Botschafter Reiter gelesen und nicht lesen lassen, wäre ihm die feine Ironie Reiters vielleicht aufgefallen: „Flüchtlingskrise. Deutschland braucht mehr Realismus“. (23.09.2015, faz.net).

Der ehemalige Botschafter der Republik Polen in Deutschland, Janusz Reiter, schreibt in der FAZ:

„Entscheidungen haben Konsequenzen, die nicht an Deutschlands Grenzen haltmachen. So war es bei der Verkündung der Energiewende, die formell eine innenpolitische Maßnahme war, faktisch aber alle Nachbarn betraf. Das Bewusstsein dieser Auswirkungen spielte bei der Entscheidung kaum eine Rolle. Ähnlich war es jetzt, als Deutschland seine Grenzen für Tausende von Flüchtlingen öffnete, ohne zu erklären, wie viele und nach welchen Regeln es aufnehmen will. Als die Welle außer Kontrolle zu geraten drohte, wurde der Ruf nach europäischer Solidarität immer lauter … Jedes Argument, dass bei der unkontrollierbaren Entwicklung die Flüchtlingshilfe rasch zur Einwanderungshilfe werden könnte, wird als unmoralische Bedenkenträgerei abgetan.“

Der heutige Beitrag Thomas Oppermanns im Bundestag und sein Umgang mit Zitaten, wenn es ihm darum geht, den „Triumph deutscher Menschlichkeit“ zu posaunen, lässt befürchten, dass er noch weit entfernt ist von den Sorgen der Bürger. Und vom Realismus, für den Herr Reiter plädiert. Wieder ein Beispiel zum Stand sozialdemokratischer “Europäischer Diplomatie“!