Sozialdemokratische Diplomatie.

Die deutsche Diplomatie, wie sie der Bundesminister des Auswärtigen, Frank-Walter Steinmeier, praktiziert, löst in ihrem Presseecho einen merkwürdigen Dreiklang aus: aufwarten, aufzwingen, auffordern.

Aufgewartet wird den strategischen Gegnern der transatlantischen Wertegemeinschaft: der russländischen Föderation, dem Iran, natürlich auch China. Gemeinsam ist diesen Gegnern das ökonomische und machtpolitische Interesse am Mittelmeer und seinen Anrainern.

China strebt vorrangig nach wirtschaftlichem Zugang zum EU-Markt sowie den Rohstoffen der Golfstaaten und Afrikas. Russland und Iran haben eher machtpolitische Ziele, um Stützpunkte zu sichern. Das hat sie mit dem Massenmörder Assad verbunden, den die USA wohl schon beseitigt hätten, wären diese Großgegner nicht das, was sie sind.

Europa und Deutschland tragen die Folgen des von Assad und seinen Paten eskalierten Bürgerkriegs, der Millionen fliehen lässt. Da wird erklärbar, warum deutsche Diplomatie bei Gegnern „aufwarten“ muss.

Die jungen Demokratien Ostmitteleuropas fühlen sich von Russland und seiner aggressiven Geopolitik stärker bedroht als wir. Sie sehen sich stärker von Migration, z. B. aus der Ukraine und Eurasien, betroffen. Daher verweigern sie bisher aus Sorge um ihren inneren Zusammenhalt die verbindliche Zuteilungsquote von Flüchtlingen durch die EU.

Zu diesem Thema ist das Gespräch im Geiste der Gründerväter europäischer Integration zu führen.

Die haben wohl nicht daran gedacht, dass ein deutscher Außenminister in der EU öffentlich so auftritt: Es gebe „eine klare Mehrheit für verbindliche Quoten … Und wenn es nicht anders geht, sollten wir ernsthaft erwägen, auch das Instrument der Mehrheitsentscheidung anzuwenden.“ *1)

In der Presse, z. B. im SPIEGEL, wird diese öffentliche Äußerung des Außenministers Steinmeier zutreffend als „Drohen“ interpretiert: „Statt den Konsens aller Mitgliedstaaten zu suchen, würden dann eben einzelne überstimmt. Eine deutliche Warnung.“ *2)

Diese neue Tonlage deutscher Diplomatie über Medien, die mit der „Berliner Republik“ aufkam, missfällt: „drohen, warnen, aufzwingen“, Sanktion durch Sperre von EU-Fonds u.ä.m.

Haben wir ausgerechnet im 70. Jahr der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg den brutalen Umgangston von Bundeskanzler Gerhard Schröder und Präsident Jacques Chirac vergessen, als östliche Nachbarländer Bedenken gegen deren Pipeline-Projekte mit Russland erhoben?

Diese neue Tonlage deutscher Diplomatie, die mit der „Berliner Republik“ aufkam, missfällt nicht nur wegen öffentlichen „Drohens“. Sondern weil sie kontraproduktiv ist.

Weil sie alte Ressentiments und Erinnerungen Ostmitteleuropas gegenüber deutscher Dominanz und gegen den Ostblock zu Sowjetzeiten schüren. Und diese tiefsitzende Abneigung — schon wieder ein Block, ein EU-Block, diesmal unter deutscher Führung — auf unser gemeinsames Zukunftsprojekt der Europäischen Union übertragen.

Ein positives Gegenbeispiel zur sozialdemokratischen Diplomatie gibt Elmar Brok, CDU, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Europaparlaments, in einem Presseinterview. *3) Nicht wegen einer zu Außenminister Steinmeier konträren Position in der Sachfrage verpflichtender Flüchtlingsquoten. Sondern wegen Achtsamkeit im Ton gegenüber den osteuropäischen EU-Mitgliedern.

Elmar Brok: „Wir als Deutschland können niemanden zu irgendetwas verpflichten. Wir brauchen eine Mehrheitsentscheidung im Ministerrat — die Deutschland in der Vergangenheit selbst verhindert hat.“ *3)

Die Focus-Autorin Frau Haltaufderheide fragt Herrn Brok: „Sowohl Sigmar Gabriel (SPD) als auch Julia Klöckner (CDU) haben mangelnde Solidarität in Europa kritisiert und mit finanziellen Konsequenzen gedroht. Ist Deutschland DAS „Geberland“ in der EU?“

Dazu stellt Elmar Brok klar: „Deutschland zahlt etwa 20 Prozent. Das ist genau der Anteil, den Deutschland auf Grundlage seines Bruttosozialproduktes leisten muss … Außerdem: Wie kann man Sanktionen wegen Nichteinhaltung von Gesetzen aussprechen, die man noch gar nicht beschlossen hat? Ich finde es nicht gut, dass man da droht … Da muss es eine inhaltliche Diskussion geben und keine Drohungen. Unter Freunden ist das kein Verhandlungsangebot.“ *3)

So etwa wird das Presseecho zur „Diplomatie“ führender Sozialdemokraten wahrgenommen: Das „Aufwarten“ bei den großen strategischen Gegnern, das „Aufzwingen“ gegen kleinere osteuropäische EU-Partnerländer — da fehlt zum dreifachen Missklang nur noch das „Auffordern“ gegenüber dem transatlantischen Partner, den Vereinigten Staaten von Amerika.

Genau bei diesem Stil diplomatischer Aktivität ist der Vizekanzler und SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel tonangebend: „Gabriel verlangte .. deutlich mehr Engagement der USA.“ Dass das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (UN) Zuwendungen für Flüchtlinge habe kürzen müssen, sei eine „Schande … Wenigstens da könnten die USA … helfen.“ *4)

Dass der Botschafter der USA, John B. Emerson, dieses Ansinnen schon vor Gabriels BILD-Interview zurückgewiesen hatte, ist offenbar für sozialdemokratische Diplomatie belanglos. Deshalb sei Botschafter Emerson hier zitiert:

„Wir haben mehr als vier Milliarden Dollar für die Unterstützung der Arbeit des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) ausgegeben, das die Flüchtlinge in der Region betreut – mehr als irgend ein anderes Land. Und schon lange nehmen wir jedes Jahr 70.000 Flüchtlinge auf, die von der UN betreut werden, und weitere 30.000 Asylbewerber im Jahr. Präsident Obama hat außerdem gerade erst angekündigt, dass wir eine größere Zahl syrischer Flüchtlinge aufnehmen werden.“ *5)

Wer als deutscher Politiker das derzeitige Megaproblem Migration und Flucht mit Partnerländern — z.B. mit den osteuropäischen EU-Partnern oder mit dem transatlantischen Partner USA — bewältigen will, der sollte eine werbende Ausdrucksweise wählen, die nicht als „Drohung“ oder „Aufforderung“ verstanden werden kann.

Deutsche Diplomatie halte sich an das mahnende Wort von Elmar Brok, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Europäischen Parlaments: „Drohungen … Unter Freunden ist das kein Verhandlungsangebot.“ *3)

*1) Grenzzäune lösen Krisen nicht“ – Interview mit Außenminister Steinmeier zur Flüchtlingskrise in Europa. In einem Interview äußert sich Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier zur Flüchtlingskrise in Europa. Erschienen am 18.09.2015 in der Passauer Neuen Presse; http://www.auswaertiges-amt.de sid_E2B90207AC183D970227CE7A3EF15A34/DE/Infoservice/Presse/Interviews/2015/150918_BM_PNP.html

*2) „Flüchtlinge. Steinmeier droht Quotenverweigerern“, 18.9.2015; http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-09/fluechtlinge-steinmeier-quoten-verteilung-europa.

Ferner: „Flüchtlingsdebatte in der EU: Steinmeier will Osteuropäern Quoten notfalls aufzwingen„; http://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-frank-walter-steinmeier-warnt-gegner-einer-quote-a-1053538.html (Hervorhebung, RS).

*3) „Ich sehe, dass Ungarn sich bewegt“. Trotz Tränengas-Einsatz gegen Flüchtlinge: EU-Politiker Brok wirbt um Verständnis für Orban. Samstag, 19.09.2015; von FOCUS-Online-Autorin Ida Haltaufderheide, http://www.focus.de/politik/ausland/eu/ich-sehe-dass-ungarn-sich-bewegt.

Brok äußert in dem Interview auch Verständnis für die historische Dimension osteuropäischer Einstellungen: „Es ist ja bereits Bewegung vorhanden, aber gerade auch in ehemals kommunistisch geprägten Ländern braucht das eben Zeit. Von Polen beispielsweise können wir aufgrund der früheren kommunistischen Prägung durch Isolation und der Geschichte keine 180-Grad-Drehung erwarten. Das kennen wir doch auch ein wenig aus den östlichen Bundesländern. In Dresden finden auch viele Menschen alles, was fremd ist, bedrohlich.“

*4) DTS-Meldung vom 18.09.2015. Flüchtlingskrise: Gabriel warnt vor Überforderung Deutschlands. „Deutschland hilft – aber wer hilft jetzt mal Deutschland“, sagte Gabriel in einem Interview mit der „Bild“-Zeitung (Freitagausgabe).

*5) FLÜCHTLINGE. „Was uns als Einwanderungsland auszeichnet“. Der US-Botschafter in Berlin spricht über den richtigen Umgang mit Flüchtlingen. Und er bestreitet, dass die USA zu wenig für die Menschen aus Syrien tun. Von Mariam Lau, 16. September 2015; http://www.zeit.de/politik/2015-09/fluechtlinge-us-botschafter-emerson-interview.

Nachtrag 20.9.2015. Zu Sigmar Gabriels Forderung: „Mehr Engagement USA!“.

Steinmeier nach Treffen mit Außenminister John Kerry am 20.9.2015: „Die Lage in Syrien ist Pflicht zum Handeln für uns alle.“ (Recht hat er; denn solange IS, Al Kaida, Assad und die Al-Nusra-Front weiter massakrieren, findet die Flucht dort kein Ende, RS).

Presseclub am 20.9.2015: Moderator Volker Herres fragt die fachlich hochkarätig besetzte Experterunde zur Lage in Syrien: Was macht Deutschland?

Kristin Helberg: Herr Steinmeier redet immer über eine politische Lösung. Steinmeier überschätzt die Möglichkeiten der Diplomatie. Steinmeier ist immer nur dabei, „irgendwelche Tische zu organisieren“, an denen sich die Akteure zusammensetzen sollen.

Moderator Herres konstatiert, dass dieser Aussage niemand aus der Runde widerspricht.

Alexander Kudascheff: Ich möchte noch eins draufsetzen. Deutschland wollte vor zwei Jahren mehr Verantwortung übernehmen. Das sehe ich nicht.