Pferdewetten und Kuhhandel?

Probleme häufen sich auf — Russlands Aggressionspolitik im östlichen Europa und im Nahen Osten; Zerfall von Staaten wie Syrien, Jemen, Libyen, Afghanistan; Fluchtbewegung in die EU und nach Deutschland vor allem, Überlastung der Nachbarstaaten Syriens wie Jordanien, Libanon, Türkei durch Flüchtlinge. Sehen wir Maßnahmen, die angesichts dieser „Klumpenrisiken“ Vertrauen schaffen?

Wähler, die der Großen Koalition (GroKo) aus Union und Sozialdemokratie zustimmen, erwarten ein wirksames Krisenmanagement in Deutschland und der Europäischen Union. Die GroKo zeigt sich jedoch gegenüber der chaotisch ablaufenden Einwanderung von Flüchtlingen, überwiegend junge muslimische Männer, zunehmend gespalten. Als Bündel verschiedener Politiksektoren. Bei der SPD wie bei der Union — entweder humanitäres „Willkommen“ oder die „Grenzen“ sind erreicht.

Wer wollte Bürgern verdenken, wenn sie wahlpolitische Kalkulation, politisches Geschacher, eben Pferdewetten und Kuhhandel, vermuten und misstrauisch werden.

Viele Bürger hat nicht die Einladungsgeste der Kanzlerin gegenüber dem Flüchtlingsstau in Österreich und Ungarn verärgert. Sondern verärgert hat, dass die Einladung in „Gutsherrinnen-Art“ erfolgte — ohne jede Koordinierung und organisatorische Vorkehrung, was vor allem Bayern und die Stadt München schwer getroffen hat. Deren außerordentlich fähige Behörden und Verwaltungen haben bewiesen, dass sie „das schaffen“ (Merkel). Noch immer zeigt sich jedoch eine weitgehend ungesteuerte Migration und damit sehr ungleichmäßige Belastung der Bundesländer und der Gemeinden.

Besonders verdross Bürger, dass die Kanzlerin nach dem von ihr ausgelösten Chaos etwa meinte: „Wenn man den Flüchtlingen nicht mal ein freundliches Gesicht zeigen dürfe, dann ist das nicht mein Land“. Wer hat ihr denn ein freundliches Gesicht gegenüber Flüchtlingen angelastet? Kritisiert wurde ihr mit Ungarn, Österreich und dem Ankunftsland Bayern unabgestimmtes Vorgehen, das in Bayern zu chaotischen Zuständen und zu flächendeckender Sorge in Deutschland führte.

Und was nützt Merkels „freundliches Gesicht“ den Flüchtlingen, vor allem den hilflosesten, den Frauen und den Kindern, auf ihrem lebensgefährlichen Weg von Afghanistan oder über das Mittelmeer? Humanitäre und politische Maßnahmen gegen diesen Horror hätten die Bürger von der Kanzlerin und der GroKo längst erwartet.

„Dann ist das nicht mein Land“ — nun gut, steht der Bundeskanzlerin frei, so auf Kritik zu reagieren? Steht ihr zu, das Land nach ihrem Gusto zu definieren? Das Land, dem zu dienen sie ihren Amtseid geleistet hat, dreimal inzwischen?

Selbst aus örtlichen und regionalen Gliederungen der Regierungspartei CDU richtet sich Protest an die CDU-Vorsitzende Bundeskanzlerin Merkel:

„ … Gegenwärtig erleben wir einen ungesteuerten Zustrom von täglich mehreren tausend Flüchtlingen nach Deutschland … Die Aufnahmekapazitäten Deutschlands sind allerdings bis an die Grenzen gespannt und an manchen Orten bereits erschöpft … Viele unserer grundlegenden Werte werden wir den hier Ankommenden erst noch vermitteln müssen, so den demokratischen Rechtsstaat einschließlich der Meinungsfreiheit, die die Freiheit zur Kritik an Religionen umfasst, das gleichberechtigte und friedliche Nebeneinanderleben der Religionen, die Gleichberechtigung der Geschlechter, die Nichtdiskriminierung von sexuellen Minderheiten oder das Existenzrecht Israels. Die gegenwärtig praktizierte ´Politik der offenen Grenzen` entspricht weder dem europäischen oder deutschen Recht, noch steht sie im Einklang mit dem Programm der CDU. Ein großer Teil der Mitglieder und Wähler unserer Partei fühlt sich daher von der gegenwärtigen Linie der CDU-geführten Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik nicht mehr vertreten … “ *1)

Damit sind wir bei den Pferdewetten.

Es gibt jene, die auf den Erfolg der Flüchtlingspolitik durch die Bundeskanzlerin “wetten“. Das sind z.B. Heiner Geißler, ehemaliger CDU-Generalsekretär, oder Prof. Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts München, die bereits zum Friedensnobelpreis für Angela Merkel aufrufen. Sinn setzt allerdings unter anderem voraus, dass der gesetzliche Mindestlohn auf Flüchtlinge nicht angewendet wird.

Dann gibt es Besorgte wegen des Negativ-Szenarios. Sie beobachten die von dem Dresdener Politikwissenschaftler Prof. Werner Patzelt aufgezeigten Problemindikatoren, die in der täglichen Wirklichkeit die Belastungsgrenzen unseres Landes würden erkennen lassen:

▪ „Die Demonstrationen derer würden zunehmen, die beklagten, dass sie wochen- und monatelang in menschenunwürdigen Unterkünften untergebracht seien.

▪ Im Winter werden sie klagen, dass es zu kalt ist,

▪ dass es nicht Speisen gibt, die mit ihrer Kultur in Einklang sind.

▪ Sie werden sich dagegen wehren, dass sie von Frauen untersucht werden.

▪ Sie werden sich gegen Übergriffe auf ihre Unterkünfte wehren ..

▪ Es wird die Anzahl der Auseinandersetzungen unter den auf engstem Raum untergebrachten Menschen zunehmen.

▪ Die Polizei wird Prügelknabe sein. Das alles wird äußerst hässliche Bilder produzieren.“ *2)

Und schließlich sehen wir wichtige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die wohl auf lang anhaltende Dauer des Problems „wetten“ und bereits jetzt ihre Positionen oder Forderungen vortragen; Zyniker werden das Entstehen einer „Flüchtlingsindustrie“ konstatieren.

Das sind anerkennenswert mutige Schauspieler, Fußballer, Kabarettisten, TV-Köchinnen, Flüchtlingsaktivisten (z. B. Bündnis „Dresden für alle“), viele Persönlichkeiten also, die beruflich auf ein vorteilhaftes Bild in der medialen Öffentlichkeit angewiesen sind.

Dann kommen die Vertreter der Bundesländer, der Gemeinden, der Gewerkschaften der Polizei, der öffentlichen Dienste oder des Beamtenbundes, der Kitas, der Sozialarbeiter- und Lehrerverbände, der Kirchen und der Wohlfahrtsorganisationen usw. — sie berufen sich auf das Wort „Wir schaffen das!“ von Bundeskanzlerin Merkel —, und sie alle fordern mehr Geld und mehr Stellen, andernfalls, doch nein, lassen wir dies, alles wird gut …

Denn nun sind wir beim Kuhhandel, also dem kräftezehrenden Verhandeln, Feilschen, dem kleinlichsten Nachrechnen von Geben und Nehmen, von Vor- und Nachteilen, eben in der politischen Realität des demokratisch-föderalen Staates und der zivilgesellschaftlichen Organisationen. Wer es nicht glaubt, der höre nur auf Bürgermeister in Nordrhein-Westfalen. Die beklagen, dass ihnen die Landesregierung NRW nur eine Kostenerstattungsquote von ca. 20 % gewähre. Wogegen Bayerns Landesregierung ihren Gemeinden 100 % der Kosten erstatte.

Und dann lastet auf der Bundesregierung der Kuhhandel mit widerborstigen EU-Partnern über die Verteilung der Flüchtlinge. Verhandlungen mit der Türkei, mit Jordanien, Irak, dem Libanon und mit Libyen sind zu führen. Und schließlich der widerwärtigste Teil des außenpolitischen Kuhhandels mit Vertretern wie Präsident Putin, mit Vertretern des Iran, mit deren beider „Schützling“, mit dem Massenmörder Assad in Syrien, am Ende noch mit den Taliban in Afghanistan.

Ein Fazit.

Versuchen wir politisch engagierten Bürger trotz aller Ärgernisse in dieser Krise eine Position zu entwickeln und durchzuhalten. Vergegenwärtigen wir Bürger uns die anstehenden Lasten, mobilisieren wir ein wenig Vorstellungskraft und blicken auf das, was auf unser Land zukommt. 

Die Integration der Flüchtlinge, Chaos hin oder her, muss gelingen. Wir brauchen künftig die Zuwanderung arbeitsamer, ausgebildeter, junger Menschen. Vier Zahlen zeigen uns dies. Der Anteil an der deutschen Bevölkerung 1) der 20- bis 60-Jährigen betrug 2011 54 %; bis 2030 wären es ohne die Zuwanderung noch 47 %. 2) Der Anteil der über 60-Jährigen war 2011 27 % und würde bis 2030 ohne Zuwanderung auf 36 % steigen. *3)

Wer soll künftig die Steuern und Beiträge für die Sozialversicherung, die Infrastruktur und die Aufgaben des Staates erwirtschaften?

Daher sollten wir nicht zurück, sondern in die Zukunft schauen. In dieser Krisenzeit jetzt bürgerschaftlich zusammenhalten, zu den Verantwortlichen unseres Landes in Bund, Ländern und Gemeinden stehen. Helfen, wo es möglich ist, durch Tätigkeit oder mit Geld-Spenden.

 

*1) Im Wortlaut. Das ist der Brandbrief der CDU-Politiker an Angela Merkel, Brief vom 04.10. 2015, Unterschriftenliste offen, bisher 34 Kreisvorstände, Bürgermeister und Landtagsabgeordnete sowie Vertreter der Jungen Union aus verschiedenen Bundesländern; s. 07.10.2015, info@newsletter.focus.de.

*2) TV-Kolumne „Günther Jauch“. Peter Altmaier attackiert Herbert Grönemeyer: „Sie haben keine politische Kultur“. Montag, 05.10.2015, von FOCUS-Redakteur Thomas Röll.

Zur Relevanz der Kriterien Professor Patzelts siehe: Flüchtlingsunterkünfte. Warum die Fäuste fliegen. Die Flüchtlinge in den provisorischen Unterkünften haben keine Privatsphäre, keine Mitspracherechte — und nichts zu tun. Willkommenskultur stößt auf archaische Hackordnungen. Ein schlechter Zustand. 05.10.2015, faz.net; von Peter Carstens, Berlin.

*3) Jürgen Turek, Patient Demografie, in: Manuela Glaab, Karl Rudolf Korte (Hrsg.), Angewandte Politikforschung: Eine Festschrift für Prof. Dr. Dr. h.c. Werner Weidenfeld, Wiesbaden 2012, S. 369.