Hellas ist überall.

Was sich Hellas leistet, führt im nördlichen Europa zu Chören des Zorns, wie bei einer Elektra-Oper.

In Österreich wird Premier Papandreou als „Getriebener“ stilisiert (standard.at, 03.11.2011). Im deutschen TV wird er zitiert: „Wir haben das Kreuz getragen und wurden dafür mit Steinen beworfen.“ In Griechenland geht`s keine Nummer kleiner. Und bei uns? Abwarten!

Berthold Kohler fasst zusammen (FAZ, 01.11.2011): „Treppenwitz der Geschichte: Die EU schnürt unter größten Verrenkungen und unter erheblichen politischen Kosten ein billionenschweres Hilfspaket, um den zahlungsunfähigen Mitgliedsstaat im Südosten in letzter Minute vom Abgrund zurückzureißen. Sogar die europäischen Großbanken sind „freiwillig“ mit dabei. Doch möglicherweise macht das Land nicht mit, das gerettet werden soll.“

Dies erfahren nachträglich die fassungslosen Verhandlungspartner, EZB und IWF nicht zu vergessen. Referendum her, dann hin, nun am Ende Vorwahl-Manöver, dann Wahlkampf, wann Klarheit? BILD: „Hellas macht die ganze Welt irre!“ Wie nicht selten bei BILD, da ist was dran.

Frank Schirrmacher, (FAZ, 01.11.2011): Dass zunächst mal die hellenische Staatskasse in Ordnung kommen muss – zu kleines Karo für Herrn Schirrmacher. „Machtkampf zwischen dem Primat des Ökonomischen und dem Primat des Politischen“ – das ist die Denkebene. „Papandreou tut nicht nur das Richtige, indem er das Volk in die Pflicht nimmt. Er zeigt auch Europa einen Weg.“ Da dachte ich doch, spät fällt bei mir der Groschen, der Herr hat die große Idee für den Umgang mit Hellenen. Die „Retter“ des zahlungsunfähigen Schuldners Griechenland könnten doch anbieten: Mach`das Referendum, wir tun das auch. Wir fragen unsere Bürger: Wollt ihr für Hellas bürgen, notfalls zahlen?

Doch beim Weiterlesen erkenne ich meinen Irrtum, eben zu kleines Karo. Hier ist die hohe Herausforderung des Herrn Schirrmacher: „Denn in dieser neuen Lage müsste Europa alles tun, um die Griechen davon zu überzeugen, warum der Weg, den es zeigt, der richtige ist … Es wäre eine Selbstvergewisserung der gleichfalls hochverschuldeten europäischen Staaten, die sich endlich darüber Klarheit verschaffen könnten, welchen Preis sie für die immateriellen Werte eines geeinten Europa bezahlen wollen.“ „Immaterielle Werte“ ist gut – dem geeinten Europa verdankt die deutsche Wirtschaft wohl eine ungefähr 30 v.H. höhere Rate des wirtschaftlichen Wachstums.

So weist Herr Schirrmacher den Garanten und potentiellen Zahlern für Griechenlands Schulden die hohe Mission. Neben eigener europäischer „Selbstvergewisserung“ zusätzlich „die Griechen“ überzeugen, die Vereinbarung vom 27. Oktober 2011 anzunehmen, an der die Regierung Papandreou mitwirkte. Sind wir nicht alle stolz, bei dieser Mission dabei sein zu dürfen?

Ein bemerkenswerter Beitrag von Herrn Schirrmacher. So bemerkenswert, dass der Philosoph Professor Jürgen Habermas auf die FAZ-Krisenbühne tritt: „Rettet die Würde der Demokratie.“ (FAZ, 04.11.2011). In diesem Fall ist klar, es geht nicht in kleinerer Münze. Professor Habermas meint anscheinend, Griechenlands Entscheidung zwischen Rettungsvereinbarung oder Austritt aus der Eurozone sei eine gleichsam äquivalente „Wahl zwischen Pest und Cholera“. Hat der Professor die Folgen einer Rückkehr zur Drachme für die Griechen durchdacht?

Herr Habermas benennt auch eindeutig die Unzulänglichkeit der Bemühungen  europäischer Regierungschefs und ihrer Parlamente; die Beiträge der IWF- und EZB-Führung und der privaten Finanzinstitute nicht zu vergessen. „Eine (Herrn Habermas, RS) überzeugende Lösung der Finanzkrise ist mit Mitteln der Fiskalpolitik allein gar nicht zu haben; überzeugen könnte die europäische Politik nur mit dem glaubhaften institutionellen Entwurf zu einer abgestuften Integration.“

Dies als Anregung zur „Lösung der Finanzkrise.“ Kärrnerarbeit für solide Staatsfinanzen, öffentliche Verwaltung, Reformen für bessere Wettbewerbsfähigkeit – allein nicht überzeugend. Professor Habermas hat eine andere Ebene im Blick: „institutionelle Phantasie“, „Für eine europäische Verfassungsgebung“. Eine großer Gedanke zur „Lösung der Finanzkrise“ jenseits der Fiskalpolitik und jenseits des Horizonts der diesem Denken verhafteten „politischen Eliten“. Jenseits auch von Tag und Traum.

Zurück zu BILD: „Hellas macht die ganze Welt irre.“ Ich möchte nun doch widersprechen. Ist der alltägliche Irrsinn nicht längst überall unterwegs?

Wollen die Hellenen nicht etwas ganz Einfaches, das wir jeden Tag auch bei uns sehen? Sie wollen die Solidarität der Partner, nur nicht die Last der Anpassungsprogramme und schon gar nicht die „entwürdigenden“ Kontrollen der „Troika“. Sie wollen den Euro behalten (76 % dafür), nur nicht die dafür notwendige Sparpolitik (60 % dagegen). Sie wollen zwar den Schnitt bei ihren Schulden, aber nicht bei ihren den Wettbewerb hindernden Privilegien, nicht bei Renten und Gehältern. Und mit der Zumutung, Steuern zu zahlen, komme man ihnen nicht. Oder gar Staatsunternehmen privatisieren, wo bliebe dann das gemütlich-kollegiale Betriebsklima im Kreis der Verwandten?

Recht hat der Wiener Volksmund: Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst. Das ist doch alles normal. Wer redet da von „irre“? Wir kennen es alle in der Familie: Geschenke von Mutti – immer! Aber beim Aufräumen helfen? Beine in die Hand! Und auf der öffentlichen Ebene: Infantil-Politik allerorten. Infrastruktur für schnelle Mobilität oder grüne Energie? Na klar; aber nicht in meiner Sichtweite. Da müssen „Volks“-Befragungen her.

Sogar Ministerpräsident Seehofer, der einiges in der Politik erlebt hat, lernte kürzlich in der wertkonservativen CSU noch etwas dazu. Bei einer Kabinettsumbildung staunte selbst dieses politische Urgestein: „Leute lehnen Ämter ab, die zu übernehmen sie keiner gebeten hat … Leute lehnen Vorschläge ab, die sie selbst gemacht haben.“ Und das bei diesen bodenständigen Stämmen.

Fragt doch mal bei SPD-Politikern herum. Was könnten die aus dem Nähkästchen plaudern? Was könntet ihr von ihnen wohl hören? Da kann ich nur einen Großen zitieren: „Don`t let me commence!“ (Truman Capote, Hidden Gardens).

Fazit: Was regen wir uns über die Griechen auf? Wir wissen doch, wie sie sind. Denn wir sind es selbst. Hellas ist überall.