Gerechtigkeit ohne Beiwort.
Politische Debatten kreisen oft um Gerechtigkeit – soziale Gerechtigkeit, Leistungs-, Generationen-, Umwelt-, Verteilungs- oder Chancengerechtigkeit, um nur einige Begriffe zu nennen.
Aber der 17. Deutsche Bundestag, dessen Wahlperiode bald endet, hat im Dezember 2012 – von der Öffentlichkeit wenig beachtet – Gerechtigkeit geschaffen. Gerechtigkeit ohne jedes Beiwort. Alle Fraktionen haben mitgewirkt. Eines der Ruhmesblätter dieser 17. Wahlperiode.
Bei der beseitigten Ungerechtigkeit geht es um ganz einfache Lebensgeschichten. Da ist ein junger Mann, nennen wir ihn Torsten, zu dem nicht mehr einfällt, als dass er strebsam ist. Er möchte daher ein geregeltes Leben. Da ist die sehr hübsche, vielfach umworbene junge Dame, nennen wir sie Marion, die von ihrer Mutter weiß, dass es vernünftig ist, einen strebsamen jungen Mann zu heiraten.
Marion arbeitet und hilft Torsten finanziell und mit Zuwendung durchs Studium, zieht die Kinder groß, sorgt für Häuslichkeit, reibt sich für die Familie auf, die Kinder gehen ihre eigenen Wege … Und plötzlich sind 30 Jahre vergangen. Und der einst strebsame und zuverlässige Torsten ist zwar immer noch strebsam, aber nicht mehr zuverlässig.
Denn Torsten sucht nun eine seinem Aufstieg „adäquate“ Partnerin. So zieht es ihn zu einer jungen, attraktiven Anita. Und Anita mag es zum strebsamen Torsten ziehen, um eine ökonomisch etwas unsichere Gegenwart in eine auskömmlich sichere Zukunft zu verwandeln. Denn Torsten hat nicht ohne Umsicht, aber ohne Wissen der nur hausfraulich gebildeten Marion, einiges auf die Seite gebracht. Damit weckte er die Zuneigung der weit jüngeren Anita. Torsten und Anita wissen offenbar beide richtig, wo es lang geht …
Diesem nicht eben seltenen Problem für Frauen wie Marion würde ich vielleicht nicht weiter nachgehen.
Wenn mir nur nicht die unschöne Miene der Familienrichterin so sehr missfallen hätte. Dieser kaum unterdrückte Triumph, mit dem sie die geschiedene, fassungslose, etwas verblühte Schönheit Marion musterte. Ihr den erwarteten Unterhalt drastisch kürzte. Und die über Fünfzigjährige auf den Arbeitsmarkt verwies. Damit Herr Torsten, dem nun die adäquate Partnerin Anita zur Seite steht, eine neue Familie gründen könne.
Der ratlos entsetzte Blick Marions. Nach all den über drei Jahrzehnten Haushalt für die Kinder und den strebsamen Torsten ohne jede verwertbare berufliche Qualifikation, außer vielleicht Putzen gehen.
Über alle Fraktionen hinweg hat sich der Deutsche Bundestag ohne öffentliche Debatte für den gebotenen Anstand eingesetzt. Die Mitglieder des Rechtsausschusses Ute Granold (CDU/CSU), Sonja Steffen (SPD), Stephan Thomas (FDP), Jörn Wunderlich (DIE LINKE), Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), alle Volljuristen, berieten abschließend und einmütig „über das Gesetz zur Durchführung des Haager Übereinkommens vom 23. November 2007.“
Dieses Gesetz regelt die „internationale Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen von Kindern und anderen Familienangehörigen sowie .. die Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des internationalen Unterhaltsverfahrensrechts und des nationalen materiellen Unterhaltsrechts.“
Ohne die hämische Miene der Familienrichterin, ohne die Verzweiflung Marions wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, über diese nicht gerade problemnah formulierte Einführung in den Tagesordnungspunkt 28 hinaus zu lesen.
Die Einmütigkeit der Abgeordneten des Rechtsausschusses in der Sichtweise auf z.B. Frau Marions Situation zeigen ihre zu Protokoll gegebenen Stellungnahmen (Plenarprotokoll 17/214, TOP 28).
Zur besagten Familienrichterin.
„Aufgrund einer Reihe instanzgerichtlicher Entscheidungen zum Ehegattenunterhalt bei sogenannten Altehen ist .. der Eindruck entstanden, dass der Dauer der Ehe nicht genügend Gewicht bei der Beurteilung über die Herabsetzung oder Befristung von Unterhalt beigemessen wird. Vielmehr erfolgt … häufig eine automatische Befristung der nachehelichen Unterhaltsansprüche, ohne die weiteren Umstände des Einzelfalls und dabei insbesondere die Dauer der Ehe bei der Billigkeitsabwägung (d.h. was ist anständiger, gerechter Ausgleich der Interessen der Beteiligten, RS) ausreichend zu berücksichtigen. Dadurch werden diese Ehegatten besonders schwer benachteiligt, da sie zum Teil lange vor 2008 geheiratet und daher keine Möglichkeit hatten, sich auf die geänderte Rechtslage einzustellen.“ (Ute Granold, Familienrechtsanwältin).
Zur Situation von Frau Marion.
Die Abgeordneten möchten sicherstellen, dass „das Vertrauen der Geschiedenen in die nacheheliche Solidarität stärker geschützt wird und die Gerichte bei künftigen Entscheidungen über die Kürzung oder Befristung von nachehelichem Unterhalt das Merkmal der Ehedauer im jeweiligen Einzelfall endlich ausreichend berücksichtigen.“ (Ute Granold).
„Der Bundesgerichtshof hat inzwischen verdeutlicht, dass auch ohne das Vorliegen ehebedingter Nachteile (RS: z.B. Erziehung der Kinder; ausschließliche, langjährige Arbeit im Haushalt) eine Befristung oder Begrenzung des nachehelichen Unterhaltsanspruches unzulässig sein kann … Es ist richtig, den Gerichten hier durch eine Klarstellung ein deutliches Signal zu geben…“ (Sonja Steffen, Fachanwältin für Familienrecht).
So kamen ganz im Geiste Friedrich von Schillers Mitglieder aller Fraktionen unseres Bundestags am 13. Dezember 2012 zur „Hilfe, wo die Unschuld weint.“
Die wütenden Kommentare mancher Anwälte, die Interessen und Menschen wie „Torsten und Anita“ vertreten, lassen voraussehen, dass bald – nach USA-Vorbild – „Second Wives Clubs“ gegründet werden. Mit anwaltlicher Hilfe.
Ein Anwalt für Familienrecht *) sieht in dem Gesetzentwurf aller Fraktionen des Deutschen Bundestags zur Reform des Unterhaltsrechts „blinde Umsetzung von Parteitagsbeschlüssen, deren Meinungsfindung auf dem Hörensagen beruht und die Praxis nicht berücksichtigt“.
In empörten Beiträgen wird den Abgeordneten des Rechtsausschusses und der Bundesministerin der Justiz Wiedereinführung der Prinzipien „einmal Chefarztgattin, immer Chefarztgattin“ und „lebenslang leistungsloses Einkommen dank Datum auf dem Trauschein“ unterstellt. Sie wären einer öffentlichen Debatte ausgewichen, der Vorgang sei einer Demokratie unwürdig. Es sei nur darum gegangen, die Reform des Unterhaltsrechts „durchzutricksen“. Heiraten werde zu einem „unterhaltsrisikolosen Rentnerhobby“ u.ä.m.
Soweit zu den Gegnern der Änderung des Unterhaltsrechts für Geschiedene.
Gegen solch absehbare Polemik haben unsere Abgeordneten des Rechtsausschusses und die Bundesministerin der Justiz ein starkes Signal gesetzt. Einfach für Gerechtigkeit ohne jedes Beiwort gesorgt. Hut ab vor dieser gesellschaftspolitischen Leistung des 17. Deutschen Bundestags!
*) Tobias Zink, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Familienrecht, am 24.01.2013.