Atlantikbrücke Merkel 2003-2013.

Ein Jahrzehnt ist für Brücken über einen Strom eine kurze Zeit, für politische „Brücken“ aber eine Ewigkeit. Dies mag anregen, kurz auf zentrale transatlantische Prinzipien von Dr. Angela Merkel über eine Dekade hinweg zu blicken.

Das Deutsch-Amerikanische Krisenjahr 2003 war von bitteren Konflikten über das Vorgehen gegen den Irak und seinen Diktator Saddam Hussein beherrscht.

In der Studie „Germany says NO“ stellt der Autor Dieter Dettke fest: „The human relations aspect of the official German-American partnership had never reached such a low point … In late January 2003, Secretary of Defense Rumsfeld, not without contempt, … put Germany into the camp of known adversaries of the United States, mentioning Germany´s Iraq policy in the same context as those of Cuba and Libya.“ *1)

In diese Zeit fällt der beispiellose Schritt Merkels in den USA den Artikel „Schroeder Doesn’t Speak for All Germans“ zu veröffentlichen. *2) Das Spektrum der Kommentare etwa: Merkel tritt … der deutschen Regierung in den Rücken bis … den Vereinigten Staaten solidarisch an die Seite. Illoyalität und Willfährigkeit oder „Atlantikbrücke“ im Notstand des Spannungsfalls?

Den außergewöhnlichen Schritt begründet die Vorsitzende von Unionsfraktion und CDU mit epochalem Wandel, den Ereignisse wie der Fall der Mauer, die Öffnung der transatlantischen Partnerschaft für das östliche Europa und die Anschläge des 11. September 2001 begleiteten. Diese historischen Ereignisse bedeuteten für Europa und die Vereinigten Staaten vor allem, dass sie die zentralen Grundsätze der Außen- und Sicherheitspolitik neu definieren müssen. So die Argumentation Merkels.

Das 20. Jahrhundert habe Deutschland und Europa gelehrt: Anwendung militärischer Gewalt dürfe als letztes Mittel in der Auseinandersetzung mit Diktatoren niemals ausgeschlossen oder infrage gestellt werden. Andernfalls werde der notwendige Druck gegenüber Diktatoren geschwächt, was Krieg nur wahrscheinlicher mache.

Im Irakkonflikt entscheide die Entschlossenheit und Einheit der freien Nationen nicht nur über die Lösung der Krise, sondern über die Zukunft Europas und seiner Beziehungen zu den Vereinigten Staaten.

Hier erscheint Merkel als feste Atlantikbrücke in der Tradition deutscher Außen- und Sicherheitspolitik vor der Kanzlerschaft Schröders: „In the past, the preservation of alliance solidarity under any circumstance came first and was in fact part of the German raison d`état“. *3)

Dagegen sah, so Dettke, Bundeskanzler Schröder „the role his predecessors played in the international arena as an example of an unnecessary lack of political courage. He believed that pussyfooting was neither the proper way to represent Germany`s national interest nor the way to gain respect among its partners.“ *3)

Bestand im Jahr 2002-2003 die transatlantische Differenz zwischen Bundeskanzler Schröder und Oppositionsführerin Merkel eher in Stil- und Formfragen? Aus jeweils gegnerischer Perspektive: antiamerikanisch bei ihm und leisetreterisch bei ihr?

Oder waren es unterschiedliche Konzepte der Außenpolitik eines souveränen Staates Deutschland, dessen wachsende internationale Verantwortung aus Bundeskanzler Schröders Sicht mit vollständiger Gleichberechtigung und Unabhängigkeit einhergehen müsse? Dies bedeute für die Vereinigten Staaten von Amerika als Führungsmacht des Westens gegenüber Deutschland die Verpflichtung, vor jeglicher Anwendung von militärischer Gewalt zu konsultieren.

Sowohl Stil als auch Politikinhalt werden sich unterschieden haben. Merkel mag größere Sensibilität als Schröder gegenüber transatlantischer „Asymmetrie“ in politischer und wirtschaftlicher Macht sowie dem Engagement für weltweite Sicherheit gewahrt haben. Und zu weiter gehenden, auch militärischen, Verpflichtungen als Schröder grundsätzlich bereit gewesen sein.

Wie gespalten Deutschland und Europa außen- und sicherheitspolitisch im Jahr 2003 waren, machte die Autorin Merkel an zwei Kritikpunkten fest: Wahltaktik des Bundeskanzlers Schröder in der Irakpolitik gegen die USA und selbst gegen ein hypothetisches UN-Mandat verletze den Grundsatz „Keine Alleingänge“ für die deutsche Außenpolitik. Ferner, der französische Staatspräsident Chirac greife die osteuropäischen EU-Kandidatenländer wegen ihrer Bindung an die Partnerschaft mit den USA an.

Merkel bekräftigte im Jahre 2003 in der Washington Post: „Close partnership and friendship with the United States is just as much a fundamental element of Germany’s national purpose as European integration.“ *2)

Ein Jahrzehnt danach und nach acht Jahren unter der Kanzlerschaft Angela Merkels vergleicht die New York Times Wort und Wirklichkeit deutscher transatlantischer Außen- und Sicherheitspolitik.

„Germany and most other E.U. countries still do not think and act strategically when it comes to strengthening Europe’s foreign and security policy … Apart from a very few countries, such as France and Britain, the Europeans have been very complacent about strategic affairs … It’s as if the world outside does not affect them.” *4) Diese und weitere Stellungnahmen referiert Judy Dempsey in ihrer Analyse „E.U. refuses to cooperate on Security.“

Und Dempsey fragt, warum die Mitgliedsstaaten der EU  – 20 Jahre nachdem sie die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik begründet haben – noch immer „fast ausschließlich“ in nationalen Kategorien denken.
John Vinocur *5) zitiert Merkels durch militärische Drohung unterlegte Haltung gegenüber Diktatoren aus dem Jahre 2003. Und stellt gegenüber den heutigen Fakten nüchtern fest: „The chancellor has effectively rewritten her dealing-with-dictators dictum.“

Libyen beiseite, nur zur aktuellen Evidenz: Keine Lieferung von Waffen nach Syrien, wo Kämpfer aus dem Iran, Iraq, Libanon die Vorstellung von einem Bürgerkrieg längst widerlegen. Wogegen die USA, Frankreich und Großbritannien Waffenlieferungen an Rebellengruppen, die gegen Assad kämpfen, befürworten. Deutschland sage wieder „NO“: “in no case, and regardless of the disposition of other countries …“.

Die zunehmende deutsche sicherheitspolitische „Passivität“ sei von US-Senator John McCain mit den Worten umschrieben worden: „The leadership was only faintly conscious that a ´military component`must be a part of (security)“. Globale Sicherheitspolitik „mit beschränkter Haftung“ kommentiert Vinocur ironisch. Den Autoren der New York Times ist wohl bewusst, dass genau dies die Sicherheitspolitik ist, die allein von der großen Mehrheit der Deutschen gewünscht wird.

Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik von 2013 scheint weniger im Stil, wohl aber in der Substanz der von 2003 immer ähnlicher geworden zu sein. Indes wird man dies in wenigen Jahren sicher nicht von der Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem Bundeskanzler Gerhard Schröder sagen, wenn sie nebeneinander an der Wand des Kanzleramtes hängen.

*1) Dieter Dettke, Germany says NO, The Iraq war and the Future of German Foreign and Security Policy; Washington, D.C., Baltimore, 2009, S. 176 ff.
*2) washingtonpost.com; Schroeder Doesn’t Speak for All Germans By Angela Merkel; Thursday, February 20, 2003; Page A39.
*3) Dieter Dettke, a.a.O., S. 178 f.
*4) www.nytimes.com/2013/E.U. Refuses to Cooperate on Security By Judy Dempsey, June 10, 2013.
*5) www.nytimes.com/2013/An Evolving Merkel Doctrine By John Vinocur, June 27, 2013.