Abgefärbt …
Ältere wissen, dass die Standardausrede von Ex-Nazis lautete: Abgefärbt! Daher befremdet, dass ein „Von Twitter und Facebook abgefärbt!“ heute der Grüne Robert Habeck in Anspruch nimmt, um eigene politische Fehler zu bemänteln.
Arik Brauer (90), Maler, Sänger und Dichter, der in Wien und Israel lebt, erinnerte kürzlich an das wirkmächtige politische „Abfärben“ seiner Jugendjahre in Wien: „Wenn ein junger Mensch nicht vom Elternhaus politisch erzogen wurde, hatte er null Chancen, kein Nazibub zu werden. Es gab keine Arbeit, es gab Massenelend, Fetzen auf dem Leib, so haben die Kinder in Ottakring gelebt.“ *1)
Der Lebensentwurf von Dr. Robert Habeck (49), stellvertretender Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, ist gefärbt durch bedeutende Leistungen als Schriftsteller. Alle, die unsere Zeit und unser Land mit Habeck teilen, können dankbar sein, dass dies großen Staatenlenkern im In- und Ausland geschuldete Privileg uns diverse politische Färbungen ermöglicht hat.
Zu Recht wurde der politische Aufstieg des Grünen Robert Habeck in Politik und Medien wohlwollend begleitet. So weit führte die Sympathie, dass Habeck bereits zuließ, als kommender Bundeskanzler gehandelt zu werden.
Der Ministerpräsident Thüringens, Bodo Ramelow, LINKE, der mit einer rot-rot-grünen Koalition regiert, brachte ein solches „progressives Bündnis“ unter grüner Führung auf Bundesebene ins Gespräch. Was Medien in Schleswig-Holstein umgehend und beflissen aufgriffen.*2)
Auch der einflussreiche Südwestrundfunk — die Landesrundfunkanstalt für Baden-Württemberg (grüner Ministerpräsident Kretschmann) und Rheinland-Pfalz (zwei grüne Ministerinnen) — ließ Herrn Habeck feiern: *3)
- Eines der größten politischen Talente der Gegenwart.
- Er hört zu und denkt nach, bevor er etwas sagt.
- Er hat seinen Intellekt an großen Philosophen wie Immanuel Kant geschult.
- Man darf auf geistvolle politische Reden hoffen.
So massiv wurde den Deutschen nahegelegt, dass für Herrn Habeck eigentlich nur noch zwei Ämter in Frage kommen: Bundeskanzler oder Bundespräsident.
Der Vizekanzler der GroKo-Bundesregierung in Berlin, Finanzminister Olaf Scholz, wird dagegen mit Unmut überschüttet, wenn er auf die Frage, ob er sich das Amt des Bundeskanzlers zutraue, als amtierender Stellvertreter der Bundeskanzlerin Merkel gar nicht anders als bejahend reagieren kann.
Da scheint es politisch normal, wenn bei Grünen/Habeck (20 % Wählerzustimmung) gegenüber der SPD/Scholz (15 %) die Meinung wachsen mag: Quod licet jovi, non licet bovi — Was dem Jupiter erlaubt, ist nicht dem Ochsen gestattet.
Den gefeierten Herrn Habeck — wie gesagt *3): „eines der größten politischen Talente der Gegenwart; hört zu und denkt nach, bevor er etwas sagt; Intellekt an großen Philosophen wie Immanuel Kant geschult; man darf auf geistvolle politische Reden hoffen“ — holen nun einige Videos sowie Blog- und Twitter-Beiträge aus dem letzten Jahr ein. *4)
- Vor der bayerischen Landtagswahl im Oktober 2018: „CSU-Alleinherrschaft beenden, damit man sagen könne: ´Endlich gibt es wieder Demokratie in Bayern`“.
- Und kürzlich: „´Wir versuchen, alles zu machen, damit Thüringen ein offenes, freies, liberales, demokratisches Land wird, ein ökologisches Land.` Die Formulierung sorgte für Irritationen — zumal die Grünen in Thüringen derzeit mitregieren.“
Solche Dummheit und Dreistigkeit ist jedoch nicht einmal dem Jupiter/Habeck zu erlauben.
Das scheint der gelernte Philosoph sogar selbst einzusehen: „Ich beiß mir in den A…“ *5) Kein Wunder, dass bei solch kaum zu bewerkstelligender tätiger Reue, der anklagende Blick in die falsche Richtung gerät.
Habeck gibt nun den sozialen Netzwerken Twitter und Facebook die Schuld für seine rhetorischen Entgleisungen. Und hat angekündigt, seine Konten bei diesen Kommunikationsdiensten im Internet zu schließen.
Sicher ist in Druckerzeugnissen, Presse, Videos, wie auch bei Twitter und Facebook der Missbrauch durch Hass-Botschaften verbreitet.
Andererseits birgt das Potential von Twitter und Facebook für die Verständigung zwischen Menschen und Völkern über alle Ländergrenzen hinweg die größten Hoffnungen für Frieden und Zusammenhalt in unserer Zeit. Die Nutzer von Twitter und Facebook zählen bekanntlich nach Milliarden!
Habeck, der jeweils immerhin je rd. 50 Tausend Empfänger/Anhänger (follower) auf Twitter und Facebook hatte, bricht nun diese Dialoge ab.
Mit einer kränkenden Begründung — gerade für die Mehrheit der an friedlichem politischem Austausch interessierten Nutzer der Internetdienste: Twitter sei ein „sehr hartes Medium, wo spaltend und polarisierend geredet wird.“ Und er komme zum Ergebnis, dass das auf ihn „abfärbt“. *5) Diese Begründung sollte Minister Habeck einmal seinen Hausjuristen zur Prüfung vorlegen, ob sie seinem Bruch mit Twitter und Facebook adäquat-kausal ist.
Habeck habe „seinen Intellekt an großen Philosophen wie Immanuel Kant geschult“. *3) Bewundernswert, gewiss!
Lässt der Habecks Fehlern folgende Bruch mit den Internet-Diensten Twitter und Facebook, weil dortiger Missbrauch auf ihn „abgefärbt“ hätte, etwas von Immanuel Kants Lehren erkennen?
Leider rein gar nichts. Das muss festgestellt werden, wenn Habecks politisches Wollen und Handeln — im Falle seiner Abkehr von Twitter und Facebook wegen eigener Fehler — am kantianischen Anspruch gemessen wird, einem allgemeinen Gesetz zu dienen. *6)
Der kategorische Imperativ von Kant hat bei diesen öffentlich posaunten Entscheidungen Habecks jedenfalls nicht auf ihn „abgefärbt“.
Aber wer fühlt sich schon Kants Imperativ als Maßstab und Vorgabe für sein Handeln gewachsen? Ich jedenfalls bestimmt nicht! Deshalb sollte Verständnis gegenüber Herrn Habeck walten.
Oder die Ironie Carsten Schneiders, Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Bundestag. Der meint zu Habecks Bruch mit den Kommunikationsdiensten auf und über Twitter: „Thüringen soll ein demokratisches und freies Land werden. Sagt @RobertHabeck. In welchem Gefängnis habe ich die letzten Jahre gelebt?“ *5)
So wie bei Carsten Schneider mag Twitter ruhig auf seine Nutzer „abfärben“!
*1) Künstler Arik Brauer wird 90: „Ich verachte Stalin viel mehr als Hitler“. INTERVIEW STEPHAN HILPOLD. 3. Jänner 2019; derstandard.at/2000095308014/Kuenstler-Arik-Brauer-wird-90-Ich-verachte-Stalin-viel-mehr.
*2) STEIGENDE UMFRAGEWERTE. Bundeskanzler Robert Habeck und eine grün-rot-rote Koalition. Von Henning Baethge. 19. Oktober 2018; https://www.shz.de/deutschland-welt/politik/bundeskanzler-robert-habeck-und-eine-gruen-rot-rote-koalition-id21390507.html.
*3) UMFRAGE: CHANCE FÜR SCHWARZ-GRÜN IM BUND. EIN KOMMENTAR. Bundeskanzler Robert Habeck! MARTIN RUPPS. 5.9.2018; https://www.swr.de/swraktuell/Umfrage-Chance-fuer-Schwarz-Gruen-im-Bund,bundeskanzler-robert-habeck-kolumne-100.html.
*4) Ärger in sozialen Netzwerken. „Bye bye, Twitter und Facebook“: Habeck verlässt Netzwerke. 07.01.2019; http://www.fr.de/politik/aerger-in-sozialen-netzwerken-bye-bye-twitter-und-facebook-habeck-verlaesst-netzwerke-a-1649523.
*5) GRÜNEN-CHEF HABECK LÖSCHT TWITTER- UND FACEBOOK-ACCOUNT, veröffentlicht am 07.01.2019 — 12:02 Uhr; https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/gruenen-chef-robert-habeck-ich-werde-meinen-twitter-account-loeschen-59398280.bild.html.
*6) „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit und zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung dienen könnte“ — erinnert aus meiner Schulzeit (RS).