Zeit der Heuchelei?

Helmut Markwort (FDP), hochangesehen bei Sozialliberalen, hat Nancy Faeser (SPD) die “Heuchelei des Monats“ *1) zugeschrieben. Stimmt das?

Politische Heuchelei liegt z. B. vor, wenn eine in der Wählerschaft mutmaßlich populäre Haltung von Politikern öffentlichkeitswirksam nur vorgetäuscht wird.

Die Bundesministerin des Innern Faeser kandidiert in der Landtagswahl Hessens Anfang Oktober 2023 für die Regierungsführung. Zu der vielfach kritisierten Doppelbelastung nebst Bleibe-Garantie als Innenministerin im Falle ihres Scheiterns bei der Hessenwahl sagt Faeser: „Es sind jetzt nicht die Zeiten, um Wahlkampf zu machen … Wir haben einen furchtbaren Krieg in Europa, die Bedrohungslagen sind groß.“ *2)

Eben diese Bedrohungslage spricht besonders dringlich für die vollständige Konzentration Faesers auf ihre zentralen Aufgaben der inneren Sicherheit (Schutz der Bevölkerung vor Kriminalität, Terrorismus, Sabotage …) und der wachsenden Probleme illegaler Zuwanderung. Deshalb erscheint die Kritik an Innenministerin Faesers Kandidatur für die Wahl in Hessen berechtigt: Stichworte der Kritik sind “Gefahr der Doppelbelastung für die innere Sicherheit“, “Vollkasko-Kandidatur“ oder “Rückfahrschein“ bei Scheitern in der Hessenwahl.

Markwort bewertet überdies Faesers Satz „Es sind jetzt nicht die Zeiten, um Wahlkampf zu machen“ als “heuchlerischsten Satz des Monats“: „Natürlich macht die Bundesinnenministerin Wahlkampf, seit sie verkündet hat, dass sie am 8. Oktober zur Ministerpräsidentin von Hessen gewählt werden möchte. Das fängt schon an, wenn sie zu einem Migrationsgipfel einlädt.“ *1) Und die vermeintlichen oder offensichtlichen Belege für Faesers Wahlkampf um das Amt der hessischen Ministerpräsidentin werden sich häufen.

Nach dem großen CDU-Wahlsieg in Berlin und der entsprechenden Wahl-Klatsche für die SPD-geführte “rot-rot-grün“-Koalition scheint allerdings ein Wettbewerb um den “heuchlerischsten Satz des Monats“ (Markwort) ausgebrochen.

In der CDU wird von Julia Klöckner und Generalsekretär Mario Czaja *3) überaus heuchlerisch von Anstand geredet: Als ob SPD oder Grüne in Berlin moralisch verpflichtet wären, den CDU-Wahlsieger Kai Wegener zum Regierenden Bürgermeister zu wählen. Und der CDU die trotz Wahlsieg fehlende Mehrheit im Berliner Abgeordnetenhaus zu verschaffen!

Die Berliner “rot-rot-grüne“-Regierungskoalition scheint ungeachtet der Wahlverluste an der Regierung festzuhalten und eher auf einen gewissen Politikwechsel zu setzen. Dazu findet sich eine erstaunliche Begründung: „Die CDU hat keinen Wahlkampf der ausgestreckten Hand geführt, sondern eher Türen zugemacht“. *4)

Dass die stets harte politische Konkurrenz um Regierungsmacht im Wahlkampf “mit ausgestreckter Hand“ zum politischen Gegner zu führen sei, dieser Aussage — ausgerechnet eines Spitzenpolitikers mit einigen Semestern Politikstudium — gebührt der Sieg im Wettbewerb um die größte Heuchelei des Monats Februar 2023!

Und diese größte politische Heuchelei des Monats liefert dann im Unterschied zum Diktum Markworts nicht Nancy Faeser sondern:

Kevin Kühnert, Generalsekretär der SPD.

*1) FOCUS Magazin | Nr. 7 (2023). Helmut Markworts Tagebuch … Dienstag: Der heuchlerischste Satz des Monats stammt von Nancy Faeser. Samstag, 11.02.2023; https://www.focus.de/politik/deutschland/rubriken-ausschluss-kandidat-hans-georg-maassen-steht-rechts-in-der-cdu-nicht-allein-da_id_185435560.html

*2) SPD. Faeser will als Bundesministerin Hessen-SPD in den Wahlkampf führen. Aktualisiert am 2. Februar 2023; https://www.zeit.de/politik/deutschland/2023-02/nancy-faeser-spd-hessen-bundesinnenministerin. Kritik von Sicherheitspolitikern und auch Grünen wegen der Doppelbelastung und der Parallele zu N. Röttgens CDU-Spitzenkandidatur in NRW (Stichworte “Vollkasko-Kandidatur“, “Rückfahrschein“ bei Scheitern) hatte die SPD-Chefin S. Esken zunächst noch zurückweisen wollen: „Kluge Menschen lernen aus ihren Fehlern, klügere auch aus den Fehlern anderer.“ Siehe: SPD will bei möglicher Faeser-Kandidatur Röttgen-Fehler vermeiden, von dts Nachrichtenagentur. 31.12.2022; https://regionalheute.de/spd-will-bei-moeglicher-faeser-kandidatur-roettgen-fehler-vermeiden-1672441267/

*3) Berlin-Wahl: CDU will „Berlin-Koalition anführen“ von Katrin Meyer. Datum:13.02.2023 00:14 Uhr; https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ergebnisse-berlin-wahl-100.html. Siehe hier die Videos: Bundespolitische Reaktionen „Die CDU hat die Berlin-Wahl gewonnen, die SPD hat verloren. Wie die Parteien auf Bundesebene auf die Abgeordnetenhauswahl reagieren.“ Datum: 12.02.2023 und „Der Stellvertretende Vorsitzende der CDU, Carsten Linnemann, sieht das Wahlergebnis als Zeichen dafür, dass die Menschen einen Regierungswechsel wollen.“ Datum: 12.02.2023. Ferner: CDU-Generalsekretär Mario Czaja „Die jetzige Regierung ist abgewählt.“ Jeder Anstand verbiete es, dass die noch amtierende Regierung weitermache.

*4) Siehe: Frankfurter Rundschau/Newsticker zur Berlinwahl. Erste neue Zahlen zur Berlin-Wahl: Übersehene Wahlzettel ausgezählt – Giffey droht Herzschlag-Finale. Erstellt: 16.02.2023, 05:50 Uhr. Von: Florian Naumann, Jens Kiffmeier, Andreas Schmid, Hannes Niemeyer, Felix Durach, Fabian Müller. https://www.fr.de/politik/berlin-wahl-news-live-neue-ergebnisse-pannen-fehler-franziska-giffey-mehrheit-ticker-zr-92082493.html … Update vom 12. Februar, 18.22 Uhr: SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hat in der ARD Stellung zu möglichen Koalitionen bezogen. „Die CDU hat keinen Wahlkampf der ausgestreckten Hand geführt, sondern eher Türen zugemacht“, sagte Kühnert.