Wahl-“Kampagne“ statt Wahl-“Kampf“.
Als Schüler besuchte ich 1960 in Hildesheim eine Vortragsveranstaltung mit Otto Brenner, der mir auf meine Bitte hin (für unsere schulische Politik-AG) großherzig sein Vortragsmanuskript überließ. Die Lektüre überraschte mich:
Etwa zehnmal stand dort das Wort “Kampf“ — immer mit Bleistift durchgestrichen und durch das Wort “Ringen“ ersetzt. *1) Der große Gewerkschaftler Otto Brenner wusste seit durchlittener Nazizeit, wovon er sprach.
1. Ampel-Aus durch FDP-Sabotage?
Das wussten jene FDP-Verfasser des sogenannten “D-Day“-Strategie-Papiers wohl nicht:
Am D-Day, dem 6. Juni 1944, begann der Angriff der Westalliierten an der Küste der Normandie. Diese Landungsoperation “Overlord“ forderte extrem hohe Verluste an Menschenleben, um Europa von der Nazi-Diktatur zu befreien. Der D-Day ist also gerade für Deutschland und Europa ein inhaltsschwerer, schicksalträchtiger Begriff historischer Erinnerung an den Kampf gegen die verbrecherische Diktatur Nazi-Deutschlands.
Nun bestimmt eine fatale Entgleisung durch wohl junge, übereifrige FDP-Mitarbeiter die politische Auseinandersetzung der Parteien — mit der Folge der Rücktritte von Bundes-Geschäftsführer und Generalsekretär der FDP. Bisher …, wenn es nach den linken FDP-Gegnern ginge. Jetzt also könne endlich der Bundeskanzler vom Scheitern der Ampelkoalition entlastet werden. Nur allein die FDP verantworte das Desaster durch die Schäbigkeit der “D-Day“-Planung.
2. Regierungspartei SPD — Anspruch und Wirklichkeit.
2.1. Rache statt Respekt gegenüber der FDP.
Dass die Ampel-Koalition von SPD, Grünen und FDP am Ende war, dürften die meisten Beobachter der “Fortschrittskoalition“ für den “Herbst der Entscheidungen“ erwartet haben: Dazu brauchte nur das Lindner-Interview vom 20.09.2024 gelesen zu werden. *2)
Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner bekannte sich zu Hans-Dietrich Genscher als Vorbild: „In der Innenpolitik hatte er den Mut, die Existenz unserer Partei zu riskieren, um dem Land 1982 den nötigen marktwirtschaftlichen Politikwechsel zu ermöglichen.“ *2) Dies entspricht der Forderung Lindners nach der “marktwirtschaftlichen Wirtschaftswende“ und führte zum Austritt der FDP aus der Ampelkoalition.
Dem ging leider eine gehässige und unwürdige Abrechnung des Bundeskanzlers Scholz mit dem Vorsitzenden der FDP voraus, die das Respekt-Getue des Kanzlers für viele Sozial-Liberale als Heuchelei entlarvt hat. Denn es stellt sich die Frage: Erscheint es nicht als ein anmaßender Anspruch von Scholz, dass sich die unabhängige FDP-Partei bis zum eigenen Untergang an eine scheiternde Koalition unter seiner Führung zu binden habe?
Nun ist die vor allem von der Mehrheit der SPD-Linken geführte Rache an der FDP in voller Fahrt, wohl mit der Absicht, die FDP zu vernichten. Scheinbar gern genutzt wird dabei die Dummheit von FDP-Mitarbeitenden, die das historisch geprägte “D-Day“-Wort in einem “Strategie-Papier“ verwendeten, das im übrigen durchaus nachvollziehbar einen Entwurf für den “Herbst der Entscheidungen“ vorbereitet hat.
2.2. Starke Worte an die Wählerschaft — die “Zeitenwende“ bleibt “Worthülse“
Martialisches Wortgeklingel nutzen jedoch auch die über die FDP so sehr “entrüsteten“ SPD-Ankläger: So wird nach einer Klausur des SPD-Vorstands in die Presse gestreut: „´Merz-CDU` als neues Feindbild ausgemacht“. Und Generalsekretär “Miersch über Scholz: Er ist der richtige Frontmann“. Und die Aufforderung der SPD an ihre Mitglieder, für den Wahlkampf zu spenden, schließt “mit kämpferischen Grüßen“ von Katharina, Wahlkampfteam im Willy-Brandt-Haus. *3)
In der “Zeitenwende“ wird allerdings der Bundeskanzler Scholz von Putin als Bittsteller für ein Telefonat verhöhnt. Putins verbrecherische Reaktion sofort nach dem Telefonat mit Scholz: extrem verschärfter Raketenbeschuss auf die zivile Infrastruktur der Ukraine.
Von Scholz hören wir nur hilfloses “Abwägen“: “Furchtbare Eskalation“ (Scholz) gegen die Ukraine — durch neue Raketen und nordkoreanische Truppen. Scholz ruft gleichwohl auf zur “Zeit der Besonnenheit“ und wieder und wieder erneuert er das Versprechen an Putin: Deutschland liefert Taurus nicht an die Ukraine.
Ohnehin helfe Deutschland von allen europäischen Ländern der Ukraine am meisten. Das ist zwar richtig, aber bezogen auf die Wirtschaftskraft (Bruttoinlandsprodukt) ist Deutschlands Hilfe an die Ukraine vom 10. Rang im Laufe des Jahres 2024 auf den 17. Rang gesunken; der “Ukraine Support Tracker“ des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) der Universität Kiel belegt diese Fakten.
Auch die von der Bundeswehr-Führung wegen der zunehmend aggressiven Drohungen Putins geforderte Rüstung für “Kriegstüchtigkeit“ entrüstet in der SPD. Prof. Dr. Moritz Schularick, Präsident des IfW Kiel, urteilt: „Die Zeitenwende ist bislang nur eine Worthülse.“ *4)
Scholz` heutige Wahlrede in Berlin gipfelte im Ausruf: „Wenn wir kämpfen, werden wir siegen.“ Ganz nach der Wortwahl von US-Vizepräsidentin Kamala Harris am 3. November 2024: „We are fighting for the future—and when we fight, we win.“ *5)
Genug!! Die schauerliche Wirklichkeit an den Ost-Grenzen der EU und der NATO entlarvt das hohle kämpferische Wort-Getöse.
Wahl-“Kampagne“ statt Wahl-“Kampf“ — die “Liebeserklärung“ des Kanzlers im Berliner Willy-Brandt-Haus *6) nehme ich zur Kenntnis. Mit nicht aussprechbarer Erinnerung an ähnliche Äußerung vor 35 Jahren.
Dennoch werde ich wählen, aber den jetzt am meisten gefährdeten Akteur sozial-liberaler Politik — die FDP.
*1) Siehe meinen Blogbeitrag “Labor Day“ vom 29.September 2016.
*2) LINDNER-Interview: Wir sind im Herbst der Entscheidungen. 20.09.2024; https://www.fdp.de/pressemitteilung/lindner-interview-wir-sind-im-herbst-der-entscheidungen
*3) 13.10.2024 — https://www.deutschlandfunk.de/merz-cdu-als-neues-feindbild-zweitaegige-klausur-des-spd-parteivorstandes-dlf-287f34de-100.html; 25.11,2024 — https://www.deutschlandfunk.de/vor-kandidatenkuer-von-olaf-scholz-int-matthias-miersch-spd-generalsekretaer-dlf-d10243c4-100.html (Hervorhebungen rs).
*4) Kiel Institute. Kriegstüchtig in Jahrzehnten: Deutschland rüstet viel zu langsam gegen russische Bedrohung auf. 10.09.2024; https://www.ifw-kiel.de/fileadmin/Dateiverwaltung/Media/Images/News_Press_Releases/2024/mi2024-09-10_report1_tabelle_de.svg (Hervorhebung rs).
*5) Kamala Harris on November 3, 2024; https://www.instagram.com/kamalaharris/reel/DB6yPbqPRBD/.
*6) SPD: Gefühle! Gefühle! Gefühle! Die SPD kann sich besser an sich selbst berauschen als jede andere Partei. Auf der sogenannten Wahlsiegkonferenz hat sie sogar die Nähe zu ihrem Kanzler wiedergefunden. Von Peter Dausend. 30. November 2024, 15:59 Uhr. (Kanzler Scholz (rs wörtlich zitiert): „Was mich antreibt, ist die Liebe zu den Menschen und die Liebe zum Land“); https://www.zeit.de/politik/deutschland/2024-11/spd-olaf-scholz-wahlsieg-konferenz-wahlkampf (Hervorhebung rs).