Tit for tat.

Die Massenmörder am syrischen Volk — der Verbrecher Assad und seine Protektoren Russland und Iran — haben die „rote Linie“ des ehemaligen US-Präsidenten Obama erneut durch eine Untat gegen wehrlose Menschen verhöhnt. Nun droht nach der Strafaktion, die Präsident Trump befahl, eine Eskalation der Vergeltung: Tit for tat — Auge um Auge.

Und dies in einer Zeit, in der UN-Sonderbeauftragter Staffan de Mistura auf eine „politische Lösung“ für Frieden in Syrien hoffen ließ. Auch stützten Analysen die Erwartung, dass Russland an einem Ende seiner kostenträchtigen und mit schwerstem Verlust von Ansehen verbundenen Militärintervention in Syrien interessiert sei.

Außenpolitisch erfahrene und im Urteil glaubhafte Persönlichkeiten wie der EU-Parlamentarier Elmar Brok, CDU, warnen bereits vor der Gefahr eines Krieges.

Bundeskanzlerin Merkel wies die Verantwortung für das „Chemiewaffenmassaker an unschuldigen Menschen“ dem syrischen Assad-Regime zu. *1) Zwischen den Staaten des „Westens“ — der NATO und der Europäischen Union (EU) — und Russland herrscht erneut schwerste Konfrontation.

War dies das Ziel Assads? War dies Assads Kalkulation hinter seinen Luftangriffen, um eine aufkommende Kooperationsbereitschaft zwischen Russland und dem Westen zu Lasten seiner, Assads, Macht zu torpedieren? Um den vom UN-Sonderbeauftragten Staffan de Mistura koordinierten „politischen Prozess“ für Frieden in Syrien als törichte Illusion zu diskreditieren?

Uns nicht informierten Bürgern bleiben derzeit zwei Elemente der Zuversicht:

Erstens, dass der „Westen“ jetzt die Einigkeit gegen das kriminelle Kriegstreiben Assads und seiner russischen Protektoren bewahrt.

Und, zweitens, dass Russland sich von dem mittelfristig sicher entbehrlichen Verbrecher Assad nicht in eine ausweglos kostspielige Gegnerschaft zum Westen treiben lässt.

Zwischen den Mächten des „Westens“ und Russland gibt es sicher nicht nur Konflikte, sondern auch gemeinsame Interessen: Kampf gegen den Terrorismus und die durch Drogen-, Menschen- und Waffenhandel befeuerte organisierte Kriminalität und Korruption.

Dies mag zu der Hoffnung führen, dass rationales, auch von ökonomischen Interessen geleitetes Denken und Handeln die Gegnerschaft zwischen dem „Westen“ und Russland begrenzen könnte, über den kriminell kalkulierenden Kleintyrannen Assad hinweg.

Dann könnte der Militärschlag des US-Präsidenten Trump im syrischen “West-Ost“-Konflikt ein Signal für beide Seiten sein, statt fortgesetzter “tit for tat“-Aktionen die Konfliktkosten durch Verhandlungen zu begrenzen.

Auf die Kraft der Gedanken des Nobelpreisträgers Thomas Schelling, die in tiefer Erforschung und Einsicht in Konfliktprozesse wurzeln, mag sich die Hoffnung auf ein Gelingen des Friedensprozesses für das syrische Volk stützen. *2)

Bei großen, konfliktfähigen Akteuren könnten die Interessen der Gegner „in dem Versuch übereinstimmen, die wechselseitig nachteiligen Konsequenzen des Konflikts zu vermeiden.“ Mehr noch, in solcher „Mischung von Konflikt und gegenseitiger Abhängigkeit kommen Verhandlungssituationen zum Ausdruck.“ (*2), S. 87)

Ob Verhandlungen zu einem Erfolg des „politischen Prozesses“ für Frieden in Syrien führen können, hängt ab vom Charakter der in Verhandlungsprozessen entstehenden kumulativen „Spirale der wechselseitigen, aufeinander bezogenen Erwartungen“ von Konfliktparteien. (*2) S. 87).

Hoffen wir, dass angesichts der beiderseitigen Konfliktkosten dem UN-Sonderbeauftragten Staffan de Mistura die auf friedliche Einigung gerichtete „Spirale“ (Schelling) positiver wechselseitiger Erwartungen gelingt.

In dieser Lage könnte das militärische Handeln des US-Präsidenten Trump einen Durchbruch verheißen:

Thomas Schelling hatte betont, dass ebenso wie das Reden auch das Handeln Teil von Verhandlungsprozessen sein könne. Typisch für das Ergreifen von Maßnahmen statt bloßer Worte ist nach Schelling ihre „taktische Bedeutung“, indem die Maßnahmen den Charakter einer Verhandlung „unumkehrbar verändern und durch diese taktische Bedeutung über die Ebene reinen Inhalts von Kommunikation hinausheben können.“ (*2) S. 101).

Für Aushandlungsprozesse — so Thomas Schelling — sei typisch, dass sie einen „dynamischen Prozess darstellen, der zur wechselseitigen Anpassung (der Erwartungen, RS) führt im Unterschied zu solchen Vereinbarungen, die auf bloßer Kommunikation beruhen.“ (*2) S.102).

Nach Schelling unternehmen die Gegner im Verlauf eines solchen “dynamischen“ Aushandlungsprozesses den Versuch, wechselseitig die Erwartungen des Gegners zu beeinflussen. Durch strategisch orientierte Verhandlungszüge — wie Vorschläge, Gegenvorschläge, Ablehnung, Zustimmung, festlegende „Selbstbindungen“, Versprechen, Drohungen, Maßnahmen und Vergeltung — kann der Aushandlungsprozess zu einem Ende, vielleicht zu einer belastbaren Vereinbarung kommen. (Vgl.: *2) S. 104 f.).

Daher könnten Maßnahmen wie Präsident Trumps militärische „Reaktion“, so urteilte Staatspräsident François Hollande, auf Assads neuerlichen Anschlag gegen sein Volk ein wirkmächtiges Signal für die Gegner setzen.

Im Lichte von Thomas Schellings Analyse mag Trumps Handeln für Assad und seine Beschützer eine deren Erwartungsstruktur prägende Information über das westliche Wertesystem und eine Warnung über die ihm zu Gebote stehenden Aktionsinstrumente bedeuten. Eine unmissverständliche Drohung, dass gehandelt wird, wenn bloße Worte und die „Formalitäten von Einigungen bei Konferenzen“ nichts bewirken. (Vgl.: *2) S. 102).

Donald Trumps im Syrienkonflikt überraschend durch militärische Maßnahmen bewiesene Abkehr vom Isolationismus dürfte den Protektoren des Kriegsverbrechers Assad vor Augen führen, dass sie gegen die USA und die Einigkeit Europas im Austausch des „tit for tat“, des Auge um Auge, einen zu hohen Preis zahlen werden.

Mithin könnte der Konflikt zwischen den Gegnern, den Antagonisten, wie zum Beispiel in Tarifkonflikten, so auch im Syrienkonflikt, eine rationale Bereitschaft zu der nach Thomas Schellings bahnbrechender Analyse oft beschriebenen und untersuchten „antagonistischen Kooperation“ auslösen. Vielleicht gerade weil Trump wiederholt sein Bestreben nach langfristigem Ausgleich mit Russland und Präsident Putin bekundet hat.

Präsident Trumps militärische Intervention mag neben den Risiken auch eine Chance bieten: Sie könnte die Erwartungen russischer Politik über westliches Handeln “unumkehrbar verändern“ (Thomas Schelling), das russische Bild vom dekadenten, nur humanitär daher redenden Westen beenden. Und eine auf friedliche Einigung gerichtete „Erwartungsspirale“ (Thomas Schelling) wechselseitig positiver und kompromissfähiger Einschätzungen der Verhandlungsziele zwischen Ost und West in Gang bringen.

Sollte dieses Szenario gelingen, dann werden wir auf Präsident Trumps Wahlkampfslogan „Handeln statt Reden“ einen anderen Blick werfen müssen.

Könnte Trumps Militärschlag jenseits des „tit for tat“ Teil eines strategischen Konzepts im Verhältnis der USA zu Russland sein?

*1) REAKTIONEN AUF US-LUFTSCHLAG. Merkel spricht von „Chemiewaffenmassaker“ in Syrien. Bundeskanzlerin Merkel hält den US-Luftschlag in Syrien für „nachvollziehbar“ und verweist auf syrische Kriegsverbrechen. Kreml-Chef Putin hingegen spricht von einer „Aggression gegen eine souveräne Nation“. 07.04.2017; http://www.dw.com/de/merkel-spricht-von-chemiewaffenmassaker-in-syrien/a-38333094.

*2) Thomas C. Schelling, The Strategy of Conflict. Copyright 1960, 1980 by the President and Fellows of Harvard College. Harvard University. Cambridge, Massachusetts. London, England. Im Internet zu finden.

Diesen Bezug zum Werk von Thomas Schelling verdanke ich der Erinnerung an viele „konflikttheoretische“ Diskussionen mit meinem verehrten akademischen Lehrer Professor Dr. Jens Lübbert.