Arte povera vor die Paläste!

Wer Peru näher kennt, weiß um die horrenden Belastungen des Landes und seiner Menschen in den Jahren nach der gescheiterten Militärdiktatur und dem demokratischen Neubeginn ab 1980. Ein private Investitionen lähmendes Erbe exzessiver Verstaatlichungen durch die Militärs, Terror des Sendero Luminoso, Gegenterror der Ordnungskräfte, Zusammenbruch der weltweiten Rohstoffnachfrage, Misswirtschaft, Hyperinflation, Korruption und wieder Diktatur.

Deshalb ermutigte die Aussage des BMZ von Anfang 2016: „Peru hat sich in den vergangenen 20 Jahren von einem nahezu gescheiterten Staat zu einem Modell für demokratische Stabilisierung und wirtschaftlichen Aufschwung entwickelt.“ *1)

Das BMZ hob insbesondere hervor: „2001 wurde Alejandro Toledo zum Staatsoberhaupt gewählt. Seine Regierung erzielte beachtliche Erfolge bei der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Perus … Die Regierung unter Präsident Ollanta Humala will die Demokratie weiter festigen und die Armut im Land noch entschiedener bekämpfen. Sie hat ehrgeizige Reformpläne formuliert, unter anderem in den Bereichen … öffentliche Verwaltung und Korruptionsvermeidung.“ *1)

Aktuelle Nachrichten aus Peru werfen leider kein freundliches Licht auf diese Feststellungen des BMZ.

Die Presse Perus verknüpft bereits den Bestechungsskandal um die brasilianische Baufirma Odebrecht mit einer Reihe peruanischer Ex-Präsidenten. Die korrupte Größenordnung auf diesen Ebenen scheint der Fall des flüchtigen Alejandro Toledo zu signalisieren: 20 Mio. Dollar.

Das dürfte eher die Untergrenze sein. Vielleicht war Toledo nicht gerissen genug. Oder er handelte als „tiburón“ *2), was nicht hinreichend bedachte Mitwisser veranlasst haben mag, „Beweise“ zu veröffentlichen. Die Korruptions-Summen wachsen und das Risiko sinkt, wenn mit einer Seilschaft aus Partei oder Militärs geraubt wird …

Angesichts der Verheißungen an die Armen des Landes, die in Wahlkämpfen um die Präsidentschaft der Republik Peru üblich sind, erscheint jedoch die im Falle Toledo publizierte Hausnummer der Korruption, 20 Mio. US-Dollar, skandalös genug.

Skandalös genug für Strafverfolgung!

Und für den Vorschlag: Arte povera vor die Paläste!

Denn das edle, noble Material und Erscheinungsbild dieser Paläste ist zu oft durch leere Versprechungen und Korruption missbraucht und entwertet worden.

Gegen den vielfach belegten Missbrauch von Kunst mit noblen Materialien zu protestieren, das war ein großer Gedanke der Arte povera, die solchen Missbrauch entlarvte und ihm ihre „armseligen Materialien“ entgegenstellte. *3).

Dieser Gedanke lässt sich auch auf Peru übertragen: Vergesst nicht die Lage der verächtlich „recien bajados“ *4) genannten Menschen, die in der Wüste um Lima ihren Weg aus der Not suchten.

Diese Armen Perus haben seit Jahrzehnten die Regierungen ertragen, haben sich durchgekämpft. Von erstem Schutz in Hütten aus geflochtenen Schilfmatten oder Zuckerrohr, mit Lehm verputzt, mit Holz, zunehmend mit Adobe und Ziegeln verstärkt. Hütten, die kaum Schutz gegen den eisigen Nebeldunst im Winter Limas boten.

Dies sind nicht noble Materialien wie in den Palästen der Elite Limas. Aber es sind noble Zeugnisse von Arte povera. Denn die einfachen Hütten aus Schilf, Rohr, Holz, Adobe-Ziegeln zeigen den täglichen Kampf um das Überleben, um wirtschaftlichen Aufstieg, um Bildung und Gesundheit. Und nach Jahrzehnten ist nicht wenigen Menschen gelungen, durch harte Arbeit ihre Lage zu verbessern.

Dort in Limas Wüstenrändern sind noble Zeugnisse der Arte povera zu finden, aus dem „armseligen Material“, mit dem Millionen in Limas pueblos jovenes begonnen haben.

Wie Jannis Kounellis, ein Gründer der Arte povera, erklärte: Das „Kunstwerk entsteht erst, oder wird vollständig… ´in der Teilhabe und durch die Beziehung zwischen Publikum und Werk`“. *5)

Konfrontiert das elitäre Publikum Perus mit dem „armseligen Material“ der pueblos jovenes.

Dann werden die prekären Hütten zum „vollständigen Kunstwerk“, zur Arte povera gegen die leeren Worte, gegen präsidiale Korruptionssätze von 20 Mio. Dollar.

Arte povera vor die Paläste!

*1) BMZ (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung); http://www.bmz.de/de/laender_regionen/lateinamerika/peru/zusammenarbeit/index.html (Stand Februar 2017; Hinweis RS: müsste eher Februar 2015 oder 2016 heißen);

http://www.bmz.de/de/laender_regionen/lateinamerika/peru/index.html.

*2) Ohne näher in das Thema der Korruption einzusteigen: el tiburón caza solo — der Hai jagt allein; für diese Theorie sprechen öffentliche Äußerungen, die in der peruanischen Presse über Toledos Ehefrau Eliane Karp in Umlauf sind.

*3) NEWS. Arte Povera artist Jannis Kounellis has died, aged 80.

The sculptor was known for his use of lowly materials like coal, jute bags and piles of stones, by HELEN STOILAS. 17 February 2017; http://theartnewspaper.com/news/arte-povera-artist-jannis-kounellis-has-died-aged-80/. (Hervorhebung RS).

*4) Kürzlich „aus den Anden herabgestiegene“ Menschen in den pueblos jovenes (prekäre Siedlungen) von Lima.

*5) STUDIO 9. Beitrag vom 17.02.2017. „Arte povera“-Künstler. Trauer um Jannis Kounellis. Von Jan-Christoph Kitzler; http://www.deutschlandradiokultur.de/arte-povera-kuenstler-trauer-um-jannis-kounellis.2165.de.html?dram:article_id=379241.

**) Arte povera vor dem Präsidentenpalast? Ganz einfach. Eine Glaspyramide wie vor dem Louvre in Paris. Und drinnen eine Hütte aus: Schilfmatten, Rohr, Adobe-Ziegeln, Lumpen, Brettern. „I saw the sanctity of everyday objects“, hat Jannis Kounellis die Welt gelehrt. (Jannis Kounellis, whose work helped define Arte povera, dies at 80. By Andrew Russeth, 17.02.2017; http://www.artnews.com.)