Nachsicht mit Politikern?

„Man sei als Politiker gezwungen, Krankheiten zu unterdrücken“, beklagt noch heute der ehemalige Ministerpräsident Kurt Beck, Ehrenvorsitzender der SPD in Rheinland-Pfalz. Deshalb fordert er „mehr Nachsicht mit Politikern.“ *1) Die Frage nach den Adressaten dieser Aussagen muss beantwortet werden.

Gerade Bürger, die Kurt Becks Aufrichtigkeit und durch Handeln bewiesene Solidarität schätzen, mögen erschreckt fragen, ob sie eine Mitschuld trifft, wenn Politiker wie Kurt Beck ihre Gesundheit opfern.

So habe sich Kurt Beck im Jahre 2008 aus „Angst vor Medienberichten … nicht in eine Klinik getraut: ´Ich dachte, wenn ich ins Krankenhaus gehe, ist das mein politischer Tod.`“ *1)

Die ZEIT hatte dieser Episode — Sturz Kurt Becks als SPD-Vorsitzender — eine Analyse mit dem Titel „Mord ohne Mörder“ gewidmet. *2)

Kurt Becks heutige Erinnerung an den politischen „Mord“ (Die ZEIT) fällt in die Zeit des Kranichzugs nach Süden.

Und bei der Betrachtung dieses Schauspiels erinnern Schillers Worte an das Verhängnis: „Nichts regt sich um ihn her; nur Schwärme / von Kranichen begleiten ihn, / die fernhin nach des Südens Wärme / in graulichtem Geschwader ziehn … / Von euch, ihr Kraniche dort oben, / wenn keine andre Stimme spricht, / sei meines Mordes Klag` erhoben.“

Und tatsächlich hat es Schillers Ruf gegeben: „Sieh da! Sieh da, Timotheus, die Kraniche des Ibykus!“

Es war die brillante Analyse der ZEIT zum 4. September 2008, Salon Löwenburg, Hotel Königshof, Bonn: „Am Abend des 4. September, als Müntefering schon wieder zu Hause ist, stehen Beck und Steinmeier noch eine Stunde beim Bier auf der Terrasse des Hotels zusammen. Die Stimmung ist gelöst, man scherzt, man prostet sich zu, man lacht. Beck merkt nicht, dass er soeben entmachtet wurde. Und Steinmeier merkt nicht, dass er einen Putsch begangen hat. Vielleicht lässt er es sich aber auch nur nicht anmerken.“ *2)

Die Politikanalyse in der ZEIT schließt mit der Frage: „Und was war es nun? … ein politischer Mord ohne Mörder?“ *2) Das hat es noch nie gegeben, auch nicht in der SPD, der Partei der Solidarität …

Ein Blick zurück in das Jahr 2006: Nach Matthias Platzecks Rücktritt als SPD-Chef aus gesundheitlichen Gründen — in jener Notlage der Partei hatte sich der mit Abstand erfolgreichste SPD-Ministerpräsident, Kurt Beck, solidarisch als Nachfolger zur Verfügung gestellt.

Diese Haltung wurde Kurt Beck nicht gedankt. Sondern im September 2008 mit „politischem Mord“ (ZEIT) vergolten. Die von vielen Sozialdemokraten empfundene Heimtücke des damaligen Vorgangs mag den Ausdruck „politischer Mord“ rechtfertigen.

Die Frage nach den Adressaten der Klage Becks über den Umgang mit ihm im September 2008 kann nun beantwortet werden.

Es sind nicht die Medien; denn die wurden, so Beck selbst, „aus den eigenen Reihen mit gezielten Falschinformationen versorgt“. *3) Es sind auch nicht wir Bürger als Konsumenten der Medien, denen der von Kurt Beck so befürchtete „politische Tod“ (Beck) zuzurechnen ist.

Es waren die Intrigen von SPD-Kollegen, die Kurt Beck um das Amt des SPD-Vorsitzenden brachten, und die seine Gesundheit gefährdeten.

„Ein politischer Mord ohne Mörder?“ (ZEIT). Kurt Beck und viele Sozialdemokraten mag diese Frage noch heute umtreiben: „Doch wehe, wehe, wer verstohlen / des Mordes schwere Tat vollbracht! / Wir heften uns an seine Sohlen“ (Schiller).

Beck gab zumindest damals im Jahre 2008 „seinem designierten Nachfolger Franz Müntefering und Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier indirekt eine Mitschuld an seinem Sturz. ´Ich weiß nicht, ob mein Rücktritt beabsichtigt war oder nur in Kauf genommen wurde`“, sagte Beck. *4)

Nachsicht mit Politikern? Diese Forderung Kurt Becks hat nur einen plausiblen Adressaten: die führenden “Parteifreunde“.

*1) Kurt Beck fordert mehr Nachsicht mit Politikern. DTS-Meldung vom 05.11.2016.

*2) DEUTSCHLAND. BECKS RÜCKTRITT. Mord ohne Mörder.

Es war am 7. September am Schwielowsee, als der SPD-Vorsitzende Kurt Beck stürzte — dachte man. Tatsächlich fand das entscheidende Treffen bereits drei Tage vorher in Bonn statt. Eine Rekonstruktion. VON Peter Dausend; Bernd Ulrich. 23. Dezember 2008; http://pdf.zeit.de/2009/01/SPD-Krise.pdf. (Hervorhebung RS).

Jeder Beobachter der deutschen Politik weiß, dass sich der scheinbar wahlpolitisch motivierte Sturz Kurt Becks als SPD-Vorsitzender 2008 nicht auszahlte. Trotz des genialen Wahlstrategen Franz Müntefering („Steinmeier kann Kanzler“) kassierte die SPD bei der Bundestagswahl 2009 mit 23 % ihr bisher schlechtestes Wahlergebnis im Bund.

*3) Kurt Beck: Ehrlich und verlässlich. Ein Politiker nah bei den Menschen; http://www.kurt-beck.de/index.php?id=6.

*4) Abrechnung mit den Genossen. Beck kritisiert „Halbverrückte“ in der SPD.

Kurt Beck ist noch lange nicht fertig. Immer schonungsloser kritisiert der zurückgetretene SPD-Chef seine Partei. Altkanzler Gerhard Schröder widersprach dem Vorwurf, er sei an einer Intrige gegen Beck beteiligt gewesen: „Das ist Quatsch.“ 24.09.2008; faz.net.