The Great Pretender.

„Oh-oh, yes I’m the great pretender“ oder „Keep you in the dark, you know they all pretend“ — zwei große songs zu einem Thema, das BILD in die politische Aktualität trägt: „Machen wir uns mit der Integration etwas vor? *1)

Die Bundesregierung hatte im Mai ein überzeugendes Integrationsgesetz beschlossen. Mit Rechten und Pflichten, mit Fördern und Fordern wird für die Flüchtlinge in unserem Land der Zugang in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt verbessert: „Wer sich anstrengt und durch Spracherwerb und den Einstieg in Arbeit seinen Teil zur Integration beiträgt, der hat alle Chancen, den Neuanfang in Deutschland zu schaffen.“ *2)

Nun wird in Deutschland von einer Angst- und Sicherheitskrise gesprochen. Und BILD fragt Bundesjustizminister Heiko Maas: „Machen wir uns bei der Integration etwas vor, Herr Maas? … Lässt die Regierung die Bürger mit ihren Ängsten im Stich?“ Herr Minister Maas stellt klar: „Es besteht kein Grund zur Panik … Absolute Sicherheit kann niemand garantieren … Objektiv bleibt Deutschland eines der sichersten Länder auf der Welt.“ *1)

Und dann enthüllt uns der Minister seine Sicht über den Wechsel von der Willkommenskultur zur Abschiebe- und schmalspurigen Integrationskultur: „Es ist gut, dass die Zahl der Abschiebungen gerade deutlich zunimmt … Wir müssen unsere Integrationsbemühungen eben auf die konzentrieren, die ein Recht haben, bei uns zu bleiben.“ *1)

Wird uns in einer einzigen Aussage des Bundesjustizministers gleich zweimal etwas vorgemacht? Ganz abgesehen von seinem bedenklichen Ansatz, die Flüchtlinge in unserem Land zu spalten: in solche mit und ohne Bleiberecht. Will Maas Integrationschancen rationieren und zuteilen nach Anspruch auf Bleiberecht — total bürokratisch und unabhängig vom individuellen Streben der Flüchtlinge nach Ausbildung und Arbeit?

Einen dritten Versuch, uns etwas vorzumachen, unternimmt der Bundesjustizminister, indem er Mängel in der Sicherheit der Bürger auf die “Schuldenbremse“ im Grundgesetz zurückführt: „Klar ist doch: Wenn wir unseren Rechtsstaat durchsetzen wollen, dürfen wir ihn nicht kaputtsparen.“ *1)

Ein Blick in das Jahrbuch 2015 unseres Statistischen Bundesamtes (S. 329, Tab. 12.12, www.destatis.de) zeigt, dass das „Kaputtsparen“ unseres großen Staates (rd. 44 % der jährlichen Wirtschaftsleistung) einen Anteil am gesamten Sparen von Staats-, Unternehmens- und Privatsektor von gerade etwa 10 % (26.9 Mrd. Euro) ausmacht. Die “Mahnung“ des Justizministers, unseren Rechtsstaat nicht “kaputt“ zu sparen, kann deshalb als der “große Blödsinn vom ´Kaputtsparen`“ (Prof. Potrafke) abgetan werden. *1).

Beschränken wir uns im folgenden auf die Diskussion der beiden erstgenannten Thesen des Bundesjustizministers.

Erstens: Zur deutlich zunehmenden Zahl von Abschiebungen (Bundesjustizminister Maas).

Darüber informierte Bundesinnenminister Thomas de Maizière kürzlich im Deutschen Bundestag: „Ende Mai dieses Jahres hielten sich in Deutschland über 220 000 vollziehbar Ausreisepflichtige auf, davon etwa 52 000 sogar ohne eine Duldung. Dieser hohen Zahl stehen zum gleichen Zeitpunkt nur knapp 11 300 Abschiebungen in den ersten fünf Monaten dieses Jahres gegenüber.“ *3)

Übergehen wir hier das Thema der Berichte von Praktikern aus Bund und Ländern über massenhafte Krankmeldungen bereits bei behördlicher Anhörung zur Herkunft …

Der Ministerpräsident des Landes Niedersachsen, Stephan Weil, SPD, sagt den Bürgern jedenfalls die Wahrheit, wenn er auf die Erfahrung verweist, dass auch Menschen mit rechtlich unsicherer Bleibeperspektive nicht in ihre Heimat zurückkehren werden:

„Nein, das Gegenteil ist der Fall. Wir wissen aus vielen Zuwanderungswellen, die wir in der Bundesrepublik hatten, dass trotz der rechtlichen Verpflichtung, das Land zu verlassen, viele Menschen wegen objektiver und subjektiver Abschiebungshindernisse in Deutschland bleiben werden. Das ist eine Erfahrung, die wir in allen Ländern in vielen Jahrzehnten gemacht haben und die wir nicht einfach ignorieren können.“ *4)

Zweitens: Zur Konzentration des Integrationsangebots auf Flüchtlinge mit Bleiberecht (Bundesjustizminister Maas).

Dankenswert lässt es Ministerpräsident Stephan Weil nicht an Klarheit fehlen. Und entlarvt damit, was der Bundesjustizminister uns vormacht, wenn er sagt: „Wir müssen unsere Integrationsbemühungen eben auf die konzentrieren, die ein Recht haben, bei uns zu bleiben“.

Ministerpräsident Weil verweist darauf, dass der Anteil der Flüchtlinge mit Bleiberecht, die sogenannte Schutzquote, etwa 50 % beträgt.

Das hieße jedoch, würde die Aussage von Maas die Integrationspolitik bestimmen, dass nur etwa die Hälfte der Flüchtlinge vollen Zugang zu Integrationsangeboten erhielte. Dies würde Hunderttausende von Flüchtlingen in Deutschland zu Ausschluss von Integrationschancen und damit zu Untätigkeit verurteilen.

Um den absehbaren Schaden für diese Menschen und für unser Land abzuwenden, fordert Ministerpräsident Weil deshalb Integrationsangebote für alle — unabhängig vom Bleiberecht. Dazu gehörten Sprachförderung, Wertevermittlung, Feststellen von Fähigkeiten, um den Menschen Wege in den Arbeitsmarkt zu eröffnen.

Der Appell des Ministerpräsidenten Weil an Bundesrat und Bundesregierung: Sollten diese Menschen dann doch Deutschland verlassen, „dann nehmen sie im Falle eines Falles Sprachkenntnisse mit. Es gibt … Schlimmeres. Bleiben sie hier — das ist unsere Erfahrung, die wir in vielen Fällen über Jahrzehnte hinweg gemacht haben —, dann haben sie ein Fundament für den weiteren Verbleib, auf dem sie und die Gesellschaft aufbauen können.“ *4)

In der gegenwärtigen Sicherheitskrise ist die Stimmung in der Bevölkerung explosiv. Man könnte die Lage mit den Worten des Frontmanns der Foo-Fighters, Dave Grohl, ausdrücken: „I think a lot of people feel f… over right now and they’re not getting what they were promised“. *5)

Hoffen wir deshalb, dass sich die erfahrungs- und faktenbasierte Position des Ministerpräsidenten Stephan Weil im weiteren Verfahren der Integrationsgesetzgebung durchsetzt: Angebote für Ausbildung und Brücken in den Arbeitsmarkt für alle Flüchtlinge in unserem Land, unabhängig vom Bleiberecht.

Setzen wir nicht auf die bürokratisch-opportunistische Sicht des Bundesjustizministers. Gehen wir dem great pretender nicht auf den Leim!

*1) „Oh-oh, yes I’m the great pretender“ von Roy Orbison, Freddy Mercury oder Rod Stewart. „Keep you in the dark, you know they all pretend“ von den Foo-Fighters.

BILD. INTERVIEW. 22. JULI 2016. Machen wir uns bei der Integration etwas vor, Herr Maas? „Der Terror kann uns immer und überall treffen“, sagt Justizminister Heiko Maas (49, SPD) im BILD-Interview. Und auch einen Grund für die mangelnde Polizei-Präsenz hat er ausgemacht: Die Schuldenbremse! Autor: Rolf Kleine und Franz Solms-Laubach; http://www.bmjv.de/SharedDocs/Interviews/DE/2016/Print/07222016_BILD.html.

Staatshaushalte. Der große Blödsinn vom „Kaputtsparen“. Wer angesichts unserer überschuldeten Haushalte vom „Kaputtsparen“ redet, verleugnet absichtlich eine Tatsache: Viele europäische Regierungen wissen überhaupt nicht mehr, was Sparen eigentlich ist. Von Niklas Potrafke. 22. Juli 2016, http://www.welt.de/157226365.

RS vereinfachter Hinweis zur Definition: Sparen ist Einkommen minus Konsum. Beim Staat ist Sparen gleich den Einnahmen aus Steuern und Sozialbeiträgen abzüglich des staatlichen Konsums. Wichtiger Posten des staatlichen Konsums sind die Ausgaben für Gehälter und Pensionen der öffentlichen Bediensteten. Staatlicher Konsum ist der „Wert der Güter, die vom Staat selbst produziert werden – abzüglich selbst erstellter Anlagen und Verkäufe – sowie Ausgaben für Güter, die als soziale Sachtransfers den privaten Haushalten für ihren Konsum zur Verfügung gestellt werden“; https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/VGR/Glossar/KonsumausgabenStaat.html.

*2) https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Meldungen/2016/hintergrundpapier-zum-integrationsgesetz.pdf?__blob=publicationFile&v=6. Material für die Presse. Das neue Integrationsgesetz.

*3) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 17629.

*4) Tagesordnungspunkt 19: Entwurf eines Integrationsgesetzes (Drucksache 266/16). Bundesrat – 946. Sitzung – 17. Juni 2016 219.

*5) https://de.wikipedia.org/wiki/The_Pretender. The Pretender ist die erste Single des im Jahr 2007 erschienenen Foo-Fighters- Albums Echoes, Silence, Patience & Grace.