AfD unter Quarantäne?

Die erregte Debatte über Platz und Rolle der AfD im Bundestag und allen Landesparlamenten nimmt kein Ende. Vor allem die politischen Wettbewerber versuchen, die AfD parlamentarisch auszugrenzen. Wird dies die AfD schwächen?

Blicken wir zunächst auf das Resultat der Bundestagswahl vom 24. September 2017: Insgesamt 73 Prozent der Wählerstimmen entfielen auf CDU/CSU (32.9 %), SPD (20.5 %), FDP (10.7 %) und Grüne (8.9 %). Auf fast 22 Prozent kommen die AfD (12.6 %) und die Partei DIE LINKE (9.2 %). In Ostdeutschland erreicht die AfD bei Landtagswahlen um die 25 %; in Sachsen sogar 27.5 %.

1. Welche Parteien sind extremistisch? 

Wählende Bürger werden kaum orientiert durch politikwissenschaftliche Debatten über die Definition von “Extremismus“ innerhalb unseres derzeitigen Parteienspektrums. Erst recht nicht durch oft einseitige “Extremismus“-Vorwürfe im Interesse der politischen Wettbewerber. Hinsichtlich extremistischer Parteien werden Bürger, die nach Orientierung suchen, im Rahmen unserer “wehrhaften Demokratie“ auf das Urteil und die Tätigkeit der dafür zuständigen Bundes- und Landesämter für Verfassungsschutz vertrauen.

Und hier steht fest: Ausmaß und Intensität der Beobachtung von AfD und LINKE sowie deren Umfeldgruppen durch das Bundesamt für Verfassungsschutz sollten dem Wähler reichen, sowohl die AfD als auch DIE LINKE als extremistische Parteien zu beurteilen. *1)

Auf kommunaler und auf Landesebene mag aus politischen Gründen oder aus Sachzwängen fallweise eine Zusammenarbeit mit oder ein Abstimmungsverhalten von diesen extremistischen Parteien hingenommen werden, das ist auf diesen Ebenen zu entscheiden.

Auf Bundesebene wollen bestimmt nicht wenige Bürger weder die AfD noch DIE LINKE auch nur in der Nähe der Regierungsverantwortung sehen:

  • Die AfD nicht, um das in Jahrzehnten erarbeitete kulturelle und weltoffene  Deutschlandbild in der Welt zu erhalten. Dies ist auch für das Ansehen unseres Landes als Außenhandelsnation unabdingbar.
  • Die LINKE nicht, weil sie: die Soziale Marktwirtschaft ablehnt; den DDR-Unrechts-Staat oft verharmlost oder gar beschönigt; sich durchweg negativ zur Zusammenarbeit in der EU und der NATO positioniert; die transatlantische Partnerschaft diskreditiert; jedoch immer wieder Nähe zu Völkerrechts- und Kriegsverbrechern wie Präsident Putin sucht. Dazu kommt noch die Nähe zu Venezuelas Diktator Maduro und — siehe die “Arbeitsgemeinschaft Cuba Sí“ der LINKEN — die Sympathie für die Diktatur in Kuba.

Bei CDU/CSU und FDP dürfte diese politisch “mittige“ Einstellung geteilt werden. Jedoch scheint dies bei der SPD und den GRÜNEN im Bundestag nicht der Fall: Da wird derzeit von Grün-Rot-Rot mehr geredet als von der Option Grüne-SPD-FDP. Die LINKE wird bereits im Rang eines möglichen Regierungspartners auf Bundes- und Landesebene gesehen.

2. Die AfD als extremistische Protest-Partei. 

Folgt man dem Urteil des Journalisten Dr. jur. Heribert Prantl zur AfD *2) — demokratie- und verfassungsfeindlich, rassistisch mit neonazistischer Identität sowie rechtsextremistischer Führung — oder dem “Verfassungsminister“ Seehofer (CSU), der auf der amtlichen Seite des Bundesinnenministeriums die AfD als “staatszersetzend“ eingestuft hatte, dann muss der Bürger fragen: Warum wird gegen die AfD beim Bundesverfassungsgericht weder das Parteiverbot, noch der Ausschluss der AfD von der staatlichen Finanzierung beantragt?

Befürchten die politischen Konkurrenten der AfD, dass solche Anträge mangels Beweiskraft scheitern würden? Dann sollte sich die Auseinandersetzung mit der AfD stärker auf politische Sachfragen denn auf Anschuldigungen als vermeintlich verfassungswidrige Partei stützen.

Neuerdings stößt uns Bürger das Gerede des AfD-Konkurrenten Friedrich Merz (CDU) als unterste Stufe der Hetze ab: Wie soll man Merz` Ausdruck “Gesindel“ anders werten? Er muss mit “Gesindel“ die MdB-Vertreter der AfD-Wähler im Deutschen Bundestag gemeint haben. *3) Auf die AFD-Fraktion ist deshalb noch einzugehen.

Die AfD-Wähler sind dieser Partei zugewandert aus dem Protest gegen die Europolitik und vor allem gegen die chaotische Flüchtlingspolitik der Jahre 2015/2016 von CDU und SPD, die von Grünen und LINKEN unterstützt wurde.

Der Richter im 2. Senat des Bundesverfassungsgerichtes, Peter Müller, hatte die „Regierungspolitik in der Flüchtlings- und Eurokrise als ´Rechtsvergessenheit` bezeichnet“. *4) Mit “Rechtsvergessenheit“ war gemeint: die Dublin-Regelung bei Flüchtlingen und Asylbewerbern und der EU-Stabilitäts- und Wachstumspakt in der Finanzierung und Bürgschaft für übermäßige griechische Staatsschulden.

Auch Müllers Vorgänger am Bundesverfassungsgericht, Udo Di Fabio, hatte bekanntlich gegen die Flüchtlingspolitik jener Jahre schwere rechtliche Bedenken erhoben. Manche Kritiker gingen so weit, von “Rechtsbruch“ der Bundesregierung im Zuge der Grenzöffnung 2015/2016 zu sprechen.

Somit kann der Aufschwung der AfD als demokratisch legitime Reaktion von Wählern gegen die durchaus konformistische „Rechtsvergessenheit“ (Peter Müller) vor allem von CDU, SPD, GRÜNEN und LINKEN beurteilt werden.

Kommen wir nun auf den gehässigen Ausdruck “Gesindel“ mit Bezug auf die AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag des Friedrich Merz zurück.

Die ZEIT hatte im Oktober 2017 eine informative Analyse der MdBs in der AfD-Fraktion des Deutschen Bundestags vorgelegt. *5)

Die AfD-MdBs wurden in der ZEIT-Analyse vier Kategorien zugeordnet, deren relative zahlenmäßige Stärke in der Fraktion ausgezählt werden kann: *5)

  • Rechtsextrem: Aggressiv fremdenfeindlich, Nähe zur Identitären Bewegung, sehr polemischer Stil im Parlament. 14 % der AfD-MdBs.
  • Nationalkonservativ: Islamkritisch, scharfe Bedenken gegen die EU und die Euro-Politik. Angriffe gegen die CDU/CSU wegen angeblicher Aufgabe konservativer Werte und unzureichender Sicherheitspolitik. 35 % der AfD-MdBs.
  • Unklare Orientierung: Zum Teil wirtschaftsliberal, zum Teil auf höhere Anforderungen in Lehrlingsausbildung und akademischen Bildungseinrichtungen drängend. 36 % der AfD-MdBs.
  • Vergleichsweise gemäßigt: Dies betrifft weniger eine andere Sicht auf politische Sachfragen, sondern eher einen maßvolleren Stil in der parlamentarischen Auseinandersetzung. 16 % der AfD-MdBs.

Aus den Angaben der ZEIT-Analyse können die folgenden Aussagen zur beruflichen Stellung der AfD-MdBs ermittelt werden: *5)

  • Ingenieure, Mediziner, Naturwissenschaftler: 22 %.
  • Sonstige Berufe mit akademischer Ausbildung (z. B. Juristen, Wirtschafts-, Sozial-, Kommunikations- und Kulturwissenschaftler): 58 %.
  • Selbständige Handwerker, Techniker, sonstige Fachkräfte: 9 %.
  • Soldaten, Polizisten: 11 %.

Der berufliche Hintergrund der AfD-MdBs, unter ihnen 11 % Frauen, beweist noch nicht die Aussage Alexander Gaulands, dass die AfD insgesamt eine bürgerliche Partei ist. Jedenfalls sind die AfD-MdBs im Deutschen Bundestag in durchweg angesehenen Berufen tätig (gewesen). Ihrem respektablen beruflichen Hintergrund sollte auch der parlamentarische Stil entsprechen. Die AfD-Führung wird auf Bundesebene scheitern, wenn sie nicht bei aller Härte einen fachlich seriösen Stil der Debatte pflegt.

Anstoß am parlamentarischen Auftritt und Stil der AfD nimmt mit besonders einstudiert wirkenden Tiraden regelmäßig die Fraktionschefin der GRÜNEN, Katrin Göring-Eckardt, MdB. Deren Gehabe wie die Verfassungs-Gouvernante des Deutschen Bundestags wirkt nicht nur auf die AfD-MdBs ein wenig heuchlerisch.

Hat Göring-Eckardt die Unzahl von Ordnungsrufen vergessen, die sich die GRÜNEN, in der 10. und 11. Wahlperiode (1983 – 1990) neu im Deutschen Bundestag, durch Rabaukentum zugezogen haben? Sie hatten eine kleine Partei ehrenwerter Naturschützer überrannt, schanghait, um Politiker zu werden, teils mit dem Hintergrund veritabler Existenzverkracher. Zum nicht geringen Teil eine Truppe randalierender Berufsdemonstranten, Steineschmeißer, Polizistenprügler unter Führung des berufslosen Joschka Fischer, der den amtierenden Bundestagspräsidenten im Parlament als „Ar…loch“ titulierte.

Nicht annähernd Vergleichbares ist bisher der AfD vorzuwerfen, wie die relativ geringe Zahl von Ordnungsrufen belegen kann.

Insgesamt dürften die Moral-Tiraden von Katrin Göring-Eckardt und die “Gesindel“-Hetze des Friedrich Merz nur einen Effekt haben: Stärkung der rechtsextremen Protestpartei AfD.

Dies wird auch von ausländischen Beobachtern deutscher Politik so gesehen. Die links-liberale niederländische Zeitung „de Volkskraant“ urteilt: „Solange Angela Merkels CDU so tut, als wenn die AfD mit Nazi-Prädikaten und moralischen Verurteilungen und nicht mit Ursachenbekämpfung und konkreter Politik eliminiert werden könne, wird Annegret Kramp-Karrenbauer kaum das letzte bürgerliche Skalp der AfD sein“. *6) Nazi- und Moral-Vorwürfe statt den Ursachen des AfD-Aufschwungs mit überzeugenden Resultaten „konkreter Politik“ *6)  zu begegnen, das kennzeichnet auch die Polemik von SPD, Grünen und LINKEN gegen die AfD.

3. MSC als Vorbild für Umgang im Bundestag.

Der Bürger möchte den Bundestag trotz des harten politischen Wettbewerbs nicht als Ort der Diffamierung und der Ausgrenzung sehen. Ich möchte den MdBs aller Parteien nahelegen, der Methode der weltweit geschätzten Münchener Sicherheitskonferenz (MSC) zu folgen.

Dort in der MSC treffen sich sicherheitspolitische Freunde, Verbündete, Partner, Gegner bis hin zu Feinden. Und dennoch führen sie miteinander das Gespräch, hören ihren Anliegen zu, verhalten sich sicher konsequent in der Sache, aber zivilisiert im Umgang. Denn die Probleme und Konflikte der Welt sind zu ernst, als dass sie durch Ausgrenzen, Ignorieren und Diffamieren behandelt werden könnten.

Wie gab der Chefredakteur der ZEIT, der große Journalist Giovanni di Lorenzo auf die Klage der SPD-Chefin Saskia Esken — “nie erlebter Einfluss der Rechtsextremisten auf die Parlamente“ — zu bedenken? *7)

„Wir können nicht 25 Prozent der Wähler wie auf einem ´Corona`-Kreuzfahrtschiff unter Quarantäne stellen!“

*1) Die Verfassungsschutzberichte zeigen: Extremistische Strukturen bei der AfD (für den Verfassungsschutz ein “Prüffall“) seien die Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA) und der „völkische“ „Flügel“ mit Björn Höcke (amtlich als “Verdachtsfall“ eingestuft). Als “extremistische Strukturen der Partei DIE LINKE“ werden vom Verfassungsschutz benannt: Die “Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE“ (KPF), die “Sozialistische Linke“ (SL), die “Arbeitsgemeinschaft Cuba Sí“ (AG Cuba Sí), die “Antikapitalistische Linke“ (AKL), das “Marxistische Forum“ (MF), der „Geraer/Sozialistische Dialog“ (GSoD), die Gruppen “marx21“  und “junge Welt“ (jW). Wenn sicher nicht bei der Mehrheit der Bundestagsabgeordneten von AfD und LINKEN, so dürften doch Tendenzen zu Intoleranz und Gewaltbereitschaft bei Umfeldgruppen beider Parteien zu Beobachtung durch den Verfassungsschutz hinreichend Anlass geben.

*2) Thüringer Narreteien. Prantls Blick — die politische Wochenvorschau. 9. Februar 2020; prant`s blick@newsletter.sueddeutsche.de.

*3) CDU. Merz zieht mit „Gesindel“-Äußerung Ärger der AfD auf sich. 14. Februar 2020. „Merz hatte auf einer Wirtschaftsveranstaltung in Berlin dafür plädiert, zur AfD abgewanderte Wähler zurückzugewinnen und deren Wählerschaft zu halbieren. In diesem Zusammenhang fiel die Äußerung: ´Wenn ich dazu beitragen kann, dass dieses Gesindel wieder verschwindet, dann leiste ich diesen Beitrag dazu, dass wir das hinkriegen.`“ Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/cdu-merz-zieht-mit-gesindel-aeusserung-aerger-der-afd-auf.1939.de.html?drn:news_id=1101147

*4) „Jeder, der versuchen würde, das Bundesverfassungs­gericht auszuhebeln, würde sich verheben“. Interview mit Peter Müller von Maximilian Steinbeis; Fr 24 Feb 2017; https://verfassungsblog.de/jeder-der-versuchen-wuerde-das-bundesverfassungsgericht-auszuhebeln-wuerde-sich-verheben/

*5) AfD-Fraktion. Rechts bis extrem im Bundestag. Ab heute sitzen 92 Abgeordnete für die AfD im Bundestag. Wer sind sie? Welchen Ton werden sie anschlagen? ZEIT ONLINE stellt die Neuen am rechten Rand vor. Von Kai Biermann, Astrid Geisler, Christina Holzinger, Paul Middelhoff, Karsten Polke-Majewski und Tilman Steffen. 24. Oktober 2017; https://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-09/afd-kandidaten-bundestagswahl-abgeordnete. (RS: Die Zahlenangaben sind gerundet und durch eigenes Auszählen ermittelt. Die Berufsangaben und ihre Zuordnung in Kategorien habe ich selbst, manchmal näherungsweise, vorgenommen.)

*6) DIENSTAG, 11. FEBRUAR 2020. Internationale Presse zu AKK „Schwere Niederlage für Angela Merkel“.
https://www.n-tv.de/politik/pressestimmen/Schwere-Niederlage-fuer-Angela-Merkel-article21568358.html.
Die niederländische Zeitung „de Volkskrant“ schreibt … (siehe obiges Zitat, RS).

*7) TELETÄGLICH. CDU-Zoff bei Anne Will: Söder fetzt sich mit Baerbock. „Anne Will: Politik im Krisenmodus – wer hält das Land noch zusammen?“ ARD, Sonntag, 16. Februar 2020, 21.45 Uhr. VERÖFFENTLICHT AM 17. FEBRUAR 2020. VON JOSEF NYARY; https://nyaryum.de/cdu-zoff-bei-anne-will-soeder-fetzt-sich-mit-baerbock/#more-2142