AfD: Verlogener EU-Vormarsch

Der AfD-Politiker Martin Hess, MdB, behauptet: „Flüchtlinge sind krimineller als Deutsche!“ *1) Wird damit die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für einen EU-Wahl-Erfolg der AfD missbraucht?

Hier geht es zunächst nicht um die sicher kritikwürdige Migrationspolitik der vergangenen Jahre, sondern um eine verwerfliche Diskriminierung von geflüchteten Menschen in unserem Land durch die AfD.

Die AfD zieht wenige Wochen vor der Wahl zum Europäischen Parlament am 26. Mai 2019 hetzend durch das Land: „Mehr Flüchtlingskriminalität gegen Deutsche: Wo bleiben die Konsequenzen?“ *2)

Zunächst ist zu prüfen, ob Martin Hess, AfD-MdB, die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) korrekt anwendet, wenn er behauptet: „Flüchtlinge sind krimineller als Deutsche!“ *1)

Hess vergleicht die PKS-Zahlen von Tatverdächtigen, jeweils pro 100 000 Personen der Gruppen „Flüchtlinge“ bzw. “Deutsche“: Gewaltkriminalität — verdächtige „Flüchtlinge“ 1583, verdächtige Deutsche 153. Ähnliche Ergebnisse liegen vor bei Straftaten gegen das Leben, bei sexueller Nötigung/Vergewaltigung, bei gefährlicher/schwerer Körperverletzung. Hess-Resultat: rund 10mal so viele verdächtige „Flüchtlinge“ wie verdächtige Deutsche bei den Gewalttaten. *1)

Mit solchen Schreckens-Zahlen hausiert dann die AfD: „Flüchtlinge sind statistisch gesehen wesentlich häufiger kriminell als Deutsche, bei Delikten, die unsere Innere Sicherheit besonders beeinträchtigen, etwa zehnmal so häufig.“ *1)

Und Hess, AfD-MdB, erlaubt sich obendrein noch einen schäbigen Generalverdacht gegen die Bürger mit Migrationshintergrund: Bei den Deutschen „sind dann noch alle Tatverdächtigen enthalten, die zwar die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, aber auch einen Migrationshintergrund haben. Würde man diese Personen herausrechnen, wäre der Kontrast noch erheblich größer.“ *1)

Um die AfD-Hess-Propaganda zurückzuweisen, bedarf es nicht der Kenntnis statistischer Methoden: Nehmen wir zum Beispiel die Frage, ob Frauen besser in Statistik sind als Männer. Kein vernünftiger Mensch käme auf die Idee, männliche Studenten des Faches Statistik mit allen Frauen Deutschlands zu vergleichen. Vielmehr wäre der Leistungsstand von Studentinnen und Studenten der Statistik in demselben Semester oder im Examen zu vergleichen. Andernfalls würden die bekannten „Äpfel mit Birnen“ verglichen.

Genauso verhält es sich mit Vergleichen bei der Polizei­lichen Kriminal­statistik (PKS) für 2018 (Abschnitt 3. Darstellung der Kriminalitätslage. 3.1.1 Tatverdächtige) *3): „Tatverdächtige insgesamt 1.931.079, darunter nichtdeutsche Tatverdächtige 539.200 (30.5 %).“ Deren Anteil von 30.5 % an sämtlichen Tatverdächtigen wird nun ihrem Anteil von 12 % an der weitest unbescholtenen Gesamt-Bevölkerung gegenübergestellt — und schon wieder ein Fall grob manipulierender AfD-Propaganda.

Der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch, hat deshalb den von der AfD oft behaupteten Zusammenhang zwischen Nationalität und einer Neigung zur Kriminalität zurückgewiesen: *4)

  • Die Diskrepanz zwischen dem Ausländer-Anteil von 30.5 % an sämtlichen Tatverdächtigen und ihrem Anteil von nur 12 % an der Bevölkerung sei ein verzerrtes Bild der Kriminalitätslage.
  • „Junge Männer mit einem geringeren Bildungsstatus und wenig Einkommenschancen würden ´generell häufiger kriminell` — und der Anteil dieser Bevölkerungsgruppe sei unter Zuwanderern besonders hoch.
  • Alter, Geschlecht, Status, Erwerbschancen und die Möglichkeit gesellschaftlicher Teilhabe liefern also viel mehr Erklärungsansätze für eine kriminelle Entwicklung als die Frage nach der Herkunft.
  • Werden diese (demographischen Merkmale) bei der Bewertung der statistischen Daten berücksichtigt, kommt man nach Aussagen von Kriminologen auf eine annähernd gleiche Kriminalitätsbelastung, unabhängig von der Staatsangehörigkeit.“

Der letztgenannte Hinweis des BKA-Präsidenten wird in der PKS *3) deutlich belegt für den Vergleich der Altersstruktur tatverdächtiger Zuwanderer mit der aller Tatverdächtigen in der PKS 2018:

  • Nur „bei der Altersgruppe der 18 bis unter 30 Jährigen“ (gibt es) einen erhöhten Anteil tatverdächtiger Zuwanderer (Anteil Zuwanderer: 53 %, Anteil Tatverdächtige insgesamt: 33 %).
  • Bei den Altersgruppen „bis unter 18 Jahre“ ist der Anteil der Zuwanderer dem aller Tatverdächtigen gleich (12 %).
  • Bei den „30 bis unter 40 Jährigen“ ist der Anteil der Zuwanderer dem aller Tatverdächtigen ebenfalls gleich (21-22 %).
  • Dagegen weist die „Altersgruppe der über 40 Jährigen“ einen vergleichsweise niedrigen Anteil tatverdächtiger Zuwanderer auf (Anteil Zuwanderer: 13 %, Anteil Tatverdächtige insgesamt: 34 %).
  • „Weiterhin gilt, dass der überwiegende Teil der nach Deutschland gekommenen Asylsuchenden keine Straftaten begeht.“ (Abschnitt 4 Gesamtbewertung).

Im zitierten Interview wurde AfD-MdB Hess gefragt: „Aber vergleichen Sie nicht Äpfel mit Birnen, wenn sie Zuwanderer mit Deutschen vergleichen? Unter 100.000 Deutschen sind mehr Alte und mehr Frauen als unter 100.000 Zuwanderern. Alte und Frauen sind aber allgemein weniger kriminell als junge Männer, die unter den Flüchtlingen überrepräsentiert sind.“ *1)

Die Antwort von AfD-MdB Hess zeigt, dass er die wirklichen Zusammenhänge in der Kriminalitätslage sehr wohl kennt: „Natürlich ist es richtig, dass bestimmte männliche Alterskohorten besonders kriminalitätsauffällig sind. Aber wenn ich genau diese Gruppe massenweise ins Land lasse, dann versündige ich mich doch an der heimischen Bevölkerung!“ *1)

Mit dieser frömmelnd-heuchlerischen Antwort weicht MdB Hess auf das Feld der Kritik an der Flüchtlingspolitik aus, die nicht Gegenstand der PKS 2018 ist. MdB Hess zeigt damit, dass er seinen Vergleich „Flüchtlinge sind krimineller als Deutsche!“ wider besseres Wissen in die Debatte geworfen hat.

AfD-MdB Hess darf sich deshalb nicht über den Vorwurf wundern, er betreibe Hass-Propaganda gegen Ausländer und Geflüchtete in unserem Land. AfD-Hess und seinesgleichen gehören weder in den Bundestag noch in das Europäische Parlament.

Ob der verlogene EU-Vormarsch der AfD und ihrer Hass-Propagandisten durch hohe Wahlbeteiligung bei den kommenden Wahlen noch gestoppt werden kann?

Den Bürgern sind Zweifel nachzusehen, wenn schon Bundespräsident Steinmeier fragen muss: „Woraus speist sich der grassierende Verlust an Vernunft? Was treibt die wütende Sehnsucht nach Sündenböcken? Warum findet der Appell an unsere niedrigsten, nicht an unsere besten Instinkte so viel Gehör?“ *5)

Zur Suche nach Antwort auf diese Fragen unseres Staatsoberhauptes mag auch gehören, dass Vernunft nicht immer der Maßstab für die deutsche Migrationspolitik war.

Appelle zur Vernunft bei der Migrationspolitik wurden leider in den Wind geschlagen:

  • Der Politikwissenschaftler Professor Dr. Werner J. Patzelt hatte immer wieder gewarnt, „dass die Aufrechterhaltung sozialstaatlicher Solidarität im Widerspruch zu einer permissiven Zuwanderungspolitik steht.“ *6)
  • Der Ökonom Jagdish Bhagwati, Professor an der Columbia University in New York, warnte bereits vor über einem Jahrzehnt: „In der Frage der Einwanderung .. wird deutlich, dass ein rascher und erheblicher Zustrom von Einwanderern eine überstürzte Reaktion hervorrufen kann, die das Offenhalten der Tür außerordentlich erschwert. Ein vorsichtiges Vorgehen in dieser Frage ist die deutlich klügere Lösung, wenn man wie ich internationale Migration für eine sich wirtschaftlich und sozial günstig auswirkende Form der Globalisierung hält.“ *7)

Dass es der deutschen Flüchtlingspolitik zeitweise an Vernunft gemangelt habe, rechtfertigt jedoch nicht die widerwärtige AfD-Hetze gegen geflüchtete Menschen, die unter uns leben.

Die verlogene Hetzkampagne der AfD gegen ausländische Mitbürger und Zuwanderer in unserem Land kann hoffentlich schon durch die EU-Wahl gestoppt werden. Dann hätten die Wählerinnen und Wähler gezeigt, dass Bundespräsident Steinmeiers Warnung vor der „Zersetzung von Vernunft und Demokratie“ stärker wirkte als die AfD-Demagogie.

*1) AfD-Politiker Martin Hess. „Flüchtlinge deutlich krimineller als Durchschnittsdeutsche“ von Felix Krautkrämer. 13. Juni 2018;

jungefreiheit.de/politik/deutschland/2018/fluechtlinge-krimineller-als-durchschnittsdeutsche/.

*2) Alexander Gauland: Mehr Flüchtlingskriminalität gegen Deutsche: Wo bleiben die Konsequenzen? Berlin, 10. April 2019. Deutschland ist durch Merkels unverantwortliche Politik unsicherer geworden; https://www.afd.de/alexander-gauland-gestiegene-fluechtlingskriminalitaet-gegen-deutsche-wo-bleiben-die-konsequenzen/.

*3) Polizei­liche Kriminal­statistik (PKS). Datum: 02. April 2019. Die PKS für die Bundesrepublik Deutschland wird vom Bundeskriminalamt auf der Grundlage der von den 16 Landeskriminalämtern gelieferten Landesdaten erstellt. PKS 2018; https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/PolizeilicheKriminalstatistik/PKS2018/pks2018_node.html.

*4) Der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA) hat nach der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für 2018 einen Zusammenhang zwischen Herkunft oder Nationalität und einer Neigung zur Kriminalität infrage gestellt. Berlin (dts Nachrichtenagentur). Meldung der dts Nachrichtenagentur vom 04.04.2019; http://www.dernewsticker.de/news.php?id=370759.

*5) STEINMEIER-REDE ZUR DEMOKRATIE: „Vernunft hat nicht gerade Konjunktur“. Die Demokratie steht unter Druck, findet Bundespräsident Steinmeier. In einer Rede warnt er eindringlich vor einer „Zersetzung der Vernunft“, die „der Anfang der Zersetzung der Demokratie“ sei. VON ECKART LOHSE, BERLIN – AKTUALISIERT AM 05.03.2019 – 20:08; https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/steinmeier-rede-die-demokratie-steht-unter-druck-16073595.html.

*6) Werner J. Patzelt. 15. AUGUST 2018. BEMERKUNGEN ZU WAGENKNECHTS „AUFSTEHEN“; http://wjpatzelt.de/2018/08/15/bemerkungen-zu-wagenknechts-aufstehen/

*7) Jagdish Bhagwati, Verteidigung der Globalisierung. Mit einem Vorwort von Joschka Fischer. Aus dem Englischen von Werner Roller. 1. Auflage. München, September 2008, S. 72 f.