Universitäten gegen Meinungsstreit?

„Der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, Bernhard Kempen, hat soeben vor Einschränkungen der Meinungsfreiheit an Universitäten gewarnt.“ *1) Wer diese Nachricht für surreal hält, möge aufwachen und mithelfen, den Anfängen zu wehren.

Der Staats- und Völkerrechtler Professor Dr. Bernhard Kempen ist auch Mitglied des Kuratoriums der Demokratie-Stiftung der Universität zu Köln. Neben weiteren für die Demokratie immer wieder öffentlich eintretenden Persönlichkeiten. Hier seien nur die bekanntesten genannt: Der Sozialdemokrat Prof. Dr. Klaus Hänsch, Präsident des Europäischen Parlaments a. D. und Honorarprofessor der Universität Duisburg sowie Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte, NRW School of Governance, Institut für Politikwissenschaft, Universität Duisburg-Essen.

Wenn schon die Freiheit der Information und der Meinung an Universitäten gefährdet ist, wie Professor Kempen warnend mitteilt, was soll dann aus der Freiheit in unserer Gesellschaft werden? Wo weniger die Freiheit und die Wissenschaft das lebenslange Lernen bestimmen, sondern eher die berufliche Zweckmäßigkeit oder gar wirtschaftliche und politische Macht.

Welche Entwicklung könnte die Meinungsfreiheit an Universitäten einschränken, wie Professor Kempen zu bedenken gibt? „Auch in Deutschland verbreite sich, was aus dem angloamerikanischen Raum lange bekannt ist: niemandem Ansichten zuzumuten, die von einigen als unangemessen empfunden würden.“ *1)

Tatsächlich häuften sich Beispiele, bei denen auf Druck vor allem studentischer Gruppen in mitbestimmten Universitätsgremien die Freiheit von Information, Meinung und Debatte eingeschränkt erscheint. *1)

  • Das Zentrum für multikulturelle Exzellenz der Universität Denver, USA, beurteile als „Mikroaggression“, wenn eine Dozentin Romane zur Pflichtlektüre mache, deren Protagonisten ausschließlich Weiße seien.
  • In Oxford, UK, sei eine Diskussion über Abtreibung abgesagt worden, weil für das Podium zwei Männer eingeladen wurden.
  • In Cardiff, UK, hätten studentische Drohungen Polizeischutz erzwungen für einen Vortrag der Professorin Germaine Greer, weil sie einmal geschrieben hatte, eine Operation mache aus einem Mann noch keine Frau.
  • In Deutschland an der Humboldt-Universität zu Berlin wird dem Politikwissenschaftler Prof. Dr. Herfried Münkler „Mikrorassismus“ vorgeworfen, weil seine Literaturliste zur Politischen Theorie keine afrikanischen Autoren enthält.
  • An der Universität Bremen protestierten Studierende gegen eine Rede des Osteuropa-Historikers Prof. Dr. Jörg Baberowski, Humboldt-Universität zu Berlin, weil der vor Merkels Flüchtlingspolitik gewarnt hatte.

Gegen studentischen Widerspruch, mit Argumenten bitte, ist ja nichts einzuwenden, soweit Vorträge und Debatten wenigstens stattfinden können.

Doch die Forderungen gehen weiter: Dozenten müssten ankündigen, wenn in einem Buch etwas stehe, das nicht den aktuellen Moralvorstellungen der Studenten entspreche.*1) Damit sei ein „Schutzraum“ zu respektieren, der Studierende vor „belastenden“ Zuschreibungen bewahre — etwa bezüglich Gender, Sexualität, Ethnie, Religion und am Ende auch der Politik …

Mit Heiterkeit mag an den universitären Tummelplatz grenzenloser Meinungsfreiheit in den 1960er und 1970er Jahren z. B. in Hamburg erinnert werden: Wandzeitungen über und Megafon-Zitate von Ho Chi Minh, Enver Hodscha, Mao, Stalin, Salvador Allende, Fidel Castro, Karl Marx, August Bebel, Willy Brandt bis Konrad Adenauer belebten oder verdarben, je nach politischem Geschmack, das Mittagessen in der Mensa …

Mein unvergessener akademischer Lehrer, Prof. Dr. Jens Lübbert, seinerzeit Geschäftsführender Direktor des Sozialökonomischen Seminars, im 3. Stock links des „Pferdestalls“, von Melle Park 5, heute Salvador-Allende-Platz — sorgte dafür, dass in der Bibliothek des SÖS Zeitungen nahezu sämtlicher politischer Richtungen vorlagen: Von extrem links (UZ – „Unsere Zeit“) bis extrem rechts („Deutsche National-Zeitung“).

Viele angehende Politik-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler haben diese Angebote zum deutschen Meinungsspektrum gern genutzt und sicher gelernt, eigene Positionen zu den Fragen der Zeit zu entwickeln. Denn „Meinungsfreiheit, formulierte einst John Stuart Mill, ist die Bedingung dafür, unsere eigenen Ansichten durchdachter formulieren zu können.“ *1)

Man mag daher kaum glauben, dass unsere Universitäten die Freiheit von Information, Meinung und Debatte den Vorgaben einer politischen „Moralpusseligkeit“ opfern könnten. Durch eine recht beliebige „Befindlichkeiten“ schonende Verweigerung von Information und Debatte („No-platform“) gegenüber angeblich „Missliebigen“, „Mikroaggressoren“, „Mikrorassisten“ — wer weiß, welche Dämonisierungen den politisch Korrekten auf ihrem „moral highground“ noch einfallen werden.

„No platform“ *2) bezeichnet die Praxis, diesen vor allem von studentischen und linken Gruppen ausgemachten „Missliebigen“ alle Möglichkeiten zu verweigern, ihre Ideen zu verbreiten. Durch Protest, Verhinderung oder Boykott von Publikationen und Veranstaltungen. Nicht selten würden die „missliebigen“ Persönlichkeiten bei Veranstaltungen von Protagonisten der Korrektheit mit der anmaßenden Begründung boykottiert, es gälte das „Abfärben“ von deren Reputation auf jene zu verhindern. *1)

Solchem Gesinnungszwang muss widerstanden werden, um die Freiheit zu bewahren. Oder wir enden bei informeller Zensur oder gar Bücherverbrennungen …

Zum Schutz der Freiheit für Forschung, Lehre und Debatte an unseren Universitäten und in unserer Bürgergesellschaft sollte Prof. Dr. Kempens Forderung massiv unterstützt werden:

Gerade an unseren Universitäten — ich möchte hinzufügen: in allen politischen und gesellschaftlichen Foren — hat „das streitbare Argument und nicht der Boykott das gebotene Mittel der Auseinandersetzung zu bleiben“. *1)

*1) MEINUNGSKAMPF AN UNIVERSITÄTEN. Nichts als Ärger von den Gegnern. VON JÜRGEN KAUBE. AKTUALISIERT AM 20.04.2019-08:25; faz.net

*2) Artikel „No platform“; https://rationalwiki.org/wiki/No_platform.