Alexis Tsipras.

Alexis Tsipras wird in deutschen Medien als Lorbas, Flegel, dargestellt.

Ich sehe ihn näher bei einem Alexis Zorbas, einem Intellektuellen, der mit seiner Vorstellung von sich und Hellas im Reinen ist. *1)

Alexis Tsipras, gelernter Bauingenieur, und seine Gattin Peristera Batziana, Elektro- und Computeringenieurin, sind zugleich herausragende linke Intellektuelle und Repräsentanten einer professionellen Elite, die zu besten Hoffnungen für die Zukunft der Hellenen berechtigt.

Als Politiker einer neuen Generation hat der charismatische Tsipras eine erstaunliche Leistung im politisch verkrusteten Hellas vollbracht. Gegen die Dauerherrschaft von PASOK und Nea Dimokratia (ND) hat er in den letzten Jahren linke Splitterparteien zu einer neuen Partei Syriza gebündelt. Die erzielte bei den Parlamentswahlen im Juni 2012 27 % der Stimmen und wurde zweitstärkste Partei hinter ND.

Welcher Kenner des politischen Hellas wundert sich darüber, dass für Tsipras diese politische Integrationsleistung mit dem Einsatz oder der Tolerierung schriller Begleitmusik verbunden war?

Syriza protestiert gegen die Sparmaßnahmen, die von Hellas erwartet werden müssen. Denn als einziges Programmland macht es immer noch zu hohe Budgetdefizite. Hellas ist nun im 5. Rezessionsjahr, aber langsam scheint es aufwärts zu gehen. Bei den Opfern, die den Hellenen abverlangt werden, bekommt unsere nervenstarke Bundeskanzlerin Merkel einiges zu hören – nicht zuletzt aus dem Syriza-Umfeld. Wen überrascht das schon?

Ohne die erfolgreiche Integration des Protestes gegen den Konsolidierungs- und Reformkurs der Regierungsparteien ND und Pasok durch Tsipras und Syriza wäre wohl viel Wasser auf die Mühlen zum Teil höchst unerfreulicher rechtspopulistischer Parteien geflossen.

Was Tsipras im Rahmen seiner schwierigen parteipolitischen Positionierung aus europäischer Sicht hoch anzurechnen ist: Im hellenischen Parlament hat er mit seiner Fraktion eben nicht die Konsolidierungs- und Privatisierungspolitik der Regierungsparteien behindert. Klar, könnte man sagen, vom Protest gegen diese Politik profitiert seine Syriza. Dies Argument verkennt jedoch, dass es im Opppositionslager erhebliche „Protestkonkurrenz“ gibt. Hier agiert ein politischer Profi, der es noch weit bringen kann.

Tsipras und Syriza hätten durch parlamentarischen Boykott Neuwahlen erzwingen können. Aber in einem Interview vom Oktober 2012 *2) definierte Tsipras folgende Positionen. Hier fasse ich sie zusammen.

1. Trotz der starken Stellung im griechischen Parlament wolle Syriza nicht Neuwahlen erzwingen, um die Regierungsarbeit zu boykottieren. Statt dessen werde Syriza gegen die Austeritätspolitik der Regierung parlamentarisch opponieren. „Oberste Priorität ist für uns, diese Politik zu ändern. Es ist nicht die Zeit für Tricks, es ist nicht die Zeit, den Sturz der Regierung zu provozieren.“

2. Tsipras wünsche nicht, dass Griechenland die Eurozone verlasse. Aber die griechische Regierung und ihre europäischen Partner müssten anerkennen, dass das Land sich nicht leisten könne, seine Schulden zurückzuzahlen. Denn Hellas sei „bereits bankrott“.

3. Ernsthafte Wirtschaftsreform erfordere „Nationalisierung des gesamten Bankensystems, das die traditionellen Parteien finanziert habe.“ „Sklavisch“ Griechenlands Schulden zurückzuzahlen, könnte das Land in eine „Kolonie Deutschlands und anderer mächtiger Länder der Eurozone verwandeln.“

4. „Wir riskieren, das Europäische Ideal zu ruinieren: durch ein Europa, das in Nord und Süd gespalten ist.“ Der einzige Weg, die europäische Idee zu retten, sei Solidarität. Durch einen Europäischen „Marshallplan“, bei dem reiche Länder in den armen investieren.

5. Eine nicht von Solidarität begleitete Austeritätspolitik, „würde Extremisten wie Griechenlands Neo-Nazi-Bewegung Goldene Morgenröte ermutigen.“

Hört man Tsipras genau zu, wendet er sich scharf v. a. gegen „Rückzahlung der Staatsschulden“. Davon ist jedoch selbst bei den Troika-Missionen nicht die Rede, wenn ich richtig informiert bin. Die Troika aus Experten der EU, EZB und des IWF arbeitet mit der Hellenischen Regierung an einem Programm, das die staatliche Neuverschuldung, also den weiteren Aufwuchs der Staatsschulden, zurückführt.

Wie auch immer seine Positionen bewertet werden, man bedenke, in welchem politischen Umfeld Alexis Tsipras als Oppositionsführer agiert.

Deshalb kann ich mich über das Theater in den deutschen Qualitätsmedien zum Abbruch des Interviews, das der FAZ-Journalist Michael Martens mit Oppositionsführer Tsipras führte, nur wundern. *3)

Herr Martens hat aus meiner Sicht ganz offensichtlich versucht, Alexis Tsipras mit allen möglichen Äußerungen über Deutschland und Merkel vorzuführen. Obendrein erlaubt sich ausgerechnet Martens als Deutscher, die wohl eher rechtspopulistische Partei der „Unabhängigen Griechen“ nun auch noch als „semi-faschistisch“ zu bezeichnen. Und zu behaupten, Tsipras „flirte“ mit denen.

Also: Ist denn Herr Martens noch zu retten? Einen hochintelligenten Hellenen vorführen zu wollen? Einen Griechen, der seine Klassiker gelesen hat, die von Verrat, List und Tücke, Würde und Heldentum der Hellenen künden! Ich wiederhole gern für Herrn Martens und die über seinen Rausschmiss durch Herrn Tsipras empörten Kollegen: Seid Ihr alle noch zu retten? Das einzige, was Ihr erreicht habt, ist Tsipras und Syriza zu stärken. Wenn das Eure Absicht war …

Die eine vernünftige Nachricht aus Deutschland über Hellas lautet derzeit: Finanzminister Wolfgang Schäuble habe anlässlich seines Besuchs in Athen auch mit Herrn Tsipras ein Gespräch geführt.

*1) Auf Wikipedia und einschlägige Presseartikel sei zur Information verwiesen.
*2) Greek opposition rejects new cuts but won’t force poll. By Daniel Flynn, Oct 27, 2012, http://uk.reuters.com/article/2012/10/27/uk-eurozone-greece-tsipras.
*3) Interview mit Alexis Tsipras. Und willst du nicht mein Bruder sein. Von Michael Martens, faz.net 27.07.2013. Vgl. dazu Spiegel, Zeit,Tagesspiegel, Bild etc.