Canis lupus.

Neuerdings wandere ich wieder im Wald. Nicht etwa, um abzunehmen, sondern nachdem ich drei Kilo abgeworfen habe. Diesen Entschluss verdanke ich Presseartikeln über Joschka Fischer.

Als Leser weiß ich: Der ehemalige Außenminister und Vizekanzler arbeitet hart. Schreibt Bücher und Artikel von hohem politischem Informationswert. Zuletzt zu Ägypten. Bei solcher Arbeitsintensität habe er Fotos zufolge kräftig zugelegt.

Bei Läufen durch den Grunewald lasse er sich von einem mächtigen türkischen Hirtenhund, einem Kangal, begleiten. Warum?

Hier meine allerdings wohl verfehlte Vermutung. In unseren Wäldern, besonders im Osten, laufen wieder Wölfe, rudelweise sogar. Es dürften inzwischen mindestens 400 sein. Nicht wie Naturschützer behaupten etwa 150. Denn diese Wolf-Enthusiasten brauchen viel zu lange zum Köttel zählen und analysieren, um aktuelle Zahlen zu liefern.

Der Wolf ist in Deutschland durch Gesetz gemäß einer EU-Richtlinie streng geschützt. Ich habe meine Zweifel, ob sich das als „nachhaltig“ klug erweisen wird. Dabei habe ich bestimmt nichts gegen Wölfe. Seit meiner Kindheit interessieren mich Hunde, ihre Verwandten und ihr Stammvater, der Wolf. Ich hätte längst einen Boxer oder einen Dogo Argentino, wenn ich ihm die angemessene Zeit widmen könnte.

Toleriert den Wolf in Gebieten, wo Tierherden von gewaltigen Hunden – z.B. dem pastore maremmano, dem owtscharka oder dem mastín del pirineo – vor Wölfen und Bären geschützt werden. Wo Behörden bei nachgewiesenen Rissen den Hirten angemessene Entschädigung zahlen. Drückt meinetwegen die Augen zu im kleinen Verkehr der deutschen Grenzöden.

Aber lasst den Wolf nicht in dichter besiedelten Gebieten heimisch werden. Vergrämt ihn dort – nicht zuletzt im Interesse des Wolfes selbst. Denn ich befürchte, die Schutzgesetze können zu schweren Kontroversen führen. Über kurz oder lang.

Die Wolf-Enthusiasten mögen reden, wie sie wollen. Früher oder später wird der Wolf Rehen und Wildschweinen in unsere besiedelten Gebiete folgen. Nicht wenige Närrinnen und Narren werden anfangen, das gefährliche Raubtier zu füttern, wie sie es schon massenhaft beim Fuchs machen.

Über kurz oder lang wird das Raubtier auch Menschen gefährden. Durch Tollwutübertragung an Haushunde. Oder als Tier, das zu alt, verletzt oder krank ist, um Beute im Wald zu reißen. Was kann passieren, wenn solch ein Wolf z.B. nachts auf eine hilflose Person stößt? Auf einen Betrunkenen etwa. Oder an ein panisches Kind gerät, das wegläuft?

Im Schutzinteresse dieses faszinierenden Raubtieres – sorgt dafür, dass der Wolf in unserem dicht besiedelten Land in Gehegen bleibt.

Weil mit Vernunft beim Natur- und Tierschutz nicht zu rechnen ist, meidet als Einzelwanderer beizeiten tiefe Wälder, einsame Heiden oder Moore. Oder lasst Euch von starken Schutzhunden begleiten wie Joschka Fischer. Oder speckt wenigstens kräftig ab, damit ihr bei canis lupus nicht als Appetithappen auffallt …

Und hier möchte ich mit dem Wolf doch noch eine politische Erinnerung verbinden. Die geht in das Frühjahr 1990 zurück, nach Bukarest, Rumänien.

Eine Konferenz mit britischen Experten für Transformation von Wirtschaftsordnungen, direkt von Margaret Thatcher in Marsch gesetzt. Gastgeber ist der rumänische Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Nationalen Bauernpartei, der auch in Westeuropa angesehene Jurist und Ökonom Ion Ratiu.

Gebildeter und einflussreicher Familie entstammend, hatte Ratiu, angewidert von Faschismus und Kommunismus in Rumänien, fünf Jahrzehnte im britischen Exil gelebt. Als Autor und Publizist für ein freies Rumänien gekämpft. Erst im Januar 1990 war Herr Ratiu in seine Heimat zurückgekehrt.

Ich sitze zur Linken einer blinden englischen Journalistin, neben ihrem Labrador. Zu ihrer Rechten plaziert ein etwa 60-jähriger freundlicher Hüne fast tänzerisch seine enorme Präsenz. Aufmerksam folgt er den Darlegungen der Experten, streicht gelegentlich behutsam über den blanken Schädeldom. Brancusi lebt.

Die Briten sprechen über Privatisierung von Staatsbetrieben und eine liberale marktwirtschaftliche Ordnung mit klaren Regeln. Als sie enden, erhebt sich unser Hüne, bittet höflich um das Wort. Seine Äuglein sprühen vor Heiterkeit, als er anknüpft an das Fazit der Briten – „Wir geben Euch keine Fische, sondern eine Angel“.

Wir Rumänen sind Ihnen sehr dankbar. Wir haben allerdings genug Wasser und Erfahrung, um im Trüben zu fischen. Nun könnte man denken, dann schickt Roastbeef statt der Fische. Oder besser, das entspricht ja Ihrem Angebot der Angel, Zucht-Rinder und Schafe, mit denen wir Rumänen Herden aufbauen, um uns selbst zu ernähren.

Bedenken Sie aber bitte, Ihre Rinder und Schafe kennen keine Wölfe und bilden keinen Kreis, wenn sie das Raubtier sehen. In Rumänien aber gibt es viele Wölfe. Und die reißen das ahnungslose Vieh schneller, als wir Bauern es vermehren.

Ebenso sind Ihre Wirtschaftsregeln für zivilisierte Unternehmer und ein Land ohne Wölfe gemacht. Aber, wie gesagt, Rumänien ist voller frei laufender Wölfe. Danke, dass Sie mir so geduldig zugehört haben, grüßt der Hüne freundlich in die fassungslose Gruppe der britischen Professoren.

Dem Moderator gelang es bald, die Debatte wieder auf die Marktwirtschaft, das Privateigentum, die Regeln, den Fisch und die Angel zu drehen.

Nichts hat mich so motiviert, für Rumäniens EU-Beitritt zu arbeiten, wie jene Bemerkungen über Wölfe.