Am Tag der Krim-Annexion.

Für Bürger, die für die Freiheit, Unabhängigkeit und territoriale Integrität der Ukraine eintreten und die westlichen Reaktionen auf russische Annexionspolitik beobachten, bietet Deutschland nun wohl doch das schon befürchtete Bild.

Nämlich Heuchelei, gern mit dem Bekenntnis zu Solidarität verknüpft, hohles Gerede, um die bereits beschlossene Abwendung vom Schicksal der Ukraine vorzubereiten.

Die letzten Zweifel an solchem Szenario stützen sich auf Vertrauen in die Festigkeit der Bundeskanzlerin und – hoffen wir es – des Außenministers.

Der heutige Tag nach dem völkerrechtswidrigen, damit illegalen und ungültigen „Referendum“ bringt jedoch erste Indizien, was wirklich zu erwarten ist.

Erstens: Beginnen wir mit TV-Phönix, dem „Dokumentations- und Informationskanal“, von dem nun strikte Objektivität erwartet werden sollte.

Eine Moderatorin heute kurz nach 11.00 Uhr: „Mehr als 95 Prozent der Wähler(!) haben sich für Russland entschieden, mehr als eindeutig.“

Dazu der TV-Reporter Herr Lichte, der auf der Krim die Vorgänge seit Wochen beobachtet: Bei diesem „sowjetischen Ergebnis“ sei es „nicht mit rechten Dingen zugegangen“. Es habe Druck („wir wissen, wo ihr wohnt“), Locken mit Posten etc. gegeben.

Außerdem weist Herr Lichte auf Dissens selbst bei ethnischen Russen (60 % der Krimbevölkerung) hin und auf Wahlboykott der Krim-Ukrainer und Krim-Tataren.

Davon offensichtlich unbeeindruckt fasst die Moderatorin für ihren nächsten Interviewpartner in Moskau zusammen: „Sehr eindeutiges Ergebnis.“

Vorauseilende TV-Sprachregelung oder törichte Moderatorin?

TV-Sprachregelung eher nicht, da schon nach 14.00 Uhr die Professoren Tilman Mayer und Gerhard Simon in Phönix-TV die „fingierte Abstimmung“ und Annexionspolitik Putins eindeutig verurteilten. Tilman Mayers Hinweis auf die „Irredenta“-Politik mit „Anschluss“ der von diesen Volksgruppen bewohnten Gebiete in den 1920er Jahren zeigte eindrucksvoll, wie sehr Putins Aggression aus der Zeit gefallen ist.

Zweitens: Tilman Mayer traf aber einen wunden Punkt: Und das sind Außenminister Steinmeiers Erklärungen zum heutigen „Tag der klaren Botschaften“. *1)

Botschaften des „einerseits an Russland“ und des „andererseits als Zeichen der Solidarität an die osteuropäischen Partner.“ „Zeichen“ an Partner, die als NATO-Mitglieder eher nicht Solidaritätsbekundungen wollen, sondern Verlass auf den Beistandspakt des Bündnisses – nach allen ihren Erfahrungen mit Russland.

Es sei „keine der einfachsten“ Tagungen des EU-Rates der Außenminister gewesen. Steinmeier äußerte „Hoffnung auf eine baldige Einigung für eine OSZE-Beobachtermission in die Süd- und Ostukraine, um Aktivitäten Russlands jenseits der Krim zu beobachten.“ Jenseits der Krim? Ist die Krim – bereits abgeschrieben?

Die OSZE-Mission „dürfe nicht nur symbolischen Charakter haben.“ Auf der Krim sind durch ein illegales Referendum „Fakten geschaffen worden, nach denen Europa nicht einfach zur Tagesordnung übergehen könne.“ Fakten?

Professor Tilman Mayer macht uns wenigstens nichts vor. Steinmeiers Botschaft interpretiert er so: „Eine Botschaft, die ankommt; aber sehr diplomatisch, sehr breite Rückwege, Appeasement-Politik zu Lasten der Ukraine, ein hoher Preis, der Russland zugestanden wird.“

Drittens: Dann kam in Phönix noch Herr Teltschik zu Wort. Wie Herr Botschafter Ischinger steht er verlässlich für Warnungen an die EU vor Sanktionen gegen Russland zur Verfügung.

Beide stehen vor einem ähnlichen Dilemma wie die deutschen Russland-Exporteure. Beide mögen sich ihre MSC-Tagung im Februar 2015 nicht ohne Russlands Außenminister vorstellen. Ähnlich motiviert hatte ja auch der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Herr Grillo, vor Sanktionen gegen Russland gewarnt.

Während aber der Repräsentant der finanziell hart betroffenen deutschen Industrie mannhaft sagt, er „beuge sich dem Gebot des Völkerrechts“, wirken die Einlassungen unserer beiden Top-Außenpolitiker und Völkerrechtsexperten leider unglaubwürdig, ja fast lächerlich.

Botschafter Ischinger im Ton eines Kindergärtners: „Wir sollten den Russen auch einen Weg zeigen, wie sie aus ihrer Schmoll- und Trotzecke mittelfristig wieder herauskommen können“. *2)

Herr Teltschik hat als Christdemokrat einen anderen Ansatz. Zunächst beklagt er „eine Dimension in tragischer Größe“, das in der Vergangenheit Erreichte werde gefährdet. Aber dann lässt er die Katze aus dem Sack.

„Was haben die bisherigen Regierungen in der Ukraine getan?“ Gute Frage, denn deshalb hat der Euromaidan das Janukowitsch-Regime ja davongejagt. So wollte Teltschik aber nicht verstanden werden.

„Putin hat zu Recht gesagt, ein Gauner hat den andern abgelöst.“ Auch da hat Herr Teltschik einen richtigen Punkt gesetzt. Denn Transparency International (TI) zeigt für das Jahr 2013 – dem Korruptionswahrnehmungsindex zufolge – die Ukraine auf Platz 144 vor dem allerkorruptesten Land, Somalia, auf Rang 175.

Warum nun begrüßen Teltschik und Putin nicht, dass Janukowitsch vom Parlament der Ukraine abgesetzt wurde? Hier stellt sich die Frage, was Teltschik bei seinem zustimmend zitierten Putin-Gauner-Satz gedacht haben mag.

Nichts, Null, Nada! Denn Putins Russland findet sich im TI-Index nicht auf Platz 1, da ist Dänemark. Auch nicht auf Platz 12, da ist Deutschland. Auch nicht auf Platz 77, da ist EU-Mitglied Bulgarien. Nein, Präsident Putins Russland nimmt Platz 127 ein, mit Gambia, Mali und Pakistan.

Da kann Putin immer noch als „Saubermann“ auf die Ukraine und seinen Partner Janukowitsch (Rang 144) herabsehen. Aber ganz sicher nicht anbetrachts der horrenden Größe korrupter Geldströme, die – wie dortige Medienvertreter andeuten – in Russland bewegt werden.

Soviel zu unseren Außenpolitikern, den Protagonisten der Münchener Sicherheitskonferenz, Botschafter Ischinger und Professor Teltschik.

Viertens: Was bleibt an Hoffnung für die Ukraine? Sicher die Macht der USA. Präsident Obama sagte zu, die Kosten Russlands für seine Intervention in der Ukraine kontinuierlich zu erhöhen.

Auf eine diplomatische Lösung sei zwar zu hoffen, aber nur unter klaren Bedingungen: Rückzug der russischen Truppen auf der Krim in ihre Kasernen, die Entsendung einer Monitoring-Mission in die Region und Dialog zwischen Kreml und der ukrainischen Regierung in Kiew.

Mehr ist derzeit leider nicht zu erwarten. Der Erfolg ist und bleibt unsicher, die Lage gefährlich. Besonnene Verhandlungsführung durch die USA und die EU notwendig.

Eine wirklich intelligente Stellungnahme ist Herrn Hannes Swoboda, Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, zu verdanken. *3)

Herr Swoboda fordert, „wir sollten eine offensive Strategie haben, die sich an die russische Gesellschaft wendet, jedenfalls an jene Gruppe, die offen ist für Argumente und die die Realität sehen wollen und nicht nur die Propaganda von Herrn Putin.“

Swoboda wendet sich an Russlands „breite Schicht des Bürgertums, das langsam im Entstehen ist und das eigentlich nach Europa kommen soll und merken soll, dass wir nicht das sind, was Herr Putin sagt, eine Schwulengemeinschaft … sondern eine ganz normale, freiheitliche Gesellschaft, die die Demokratie an oberste Stelle stellt.“

Dies fordert Herr Swoboda – und das überzeugt die EU-Bürger – gegen „eine Riesen-Propagandawelle gegenüber dem Westen, die von Putin und der orthodoxen Kirche et cetera verbreitet“ wird, um die EU im Osten Europas zu diffamieren.

Und mit dem Hinweis auf die orthodoxe Kirche sind wir bei bekannten Akteuren in Deutschland angekommen, die sich seit Jahren ständig in die Politik einmischen – steuer-, sozial-, und familienpolitisch. Bei den beiden Großkirchen. Die sich einmischen in die internationale Zusammenarbeit mit armen Ländern, damit Misereor und der Evangelische Entwicklungsdienst mehr Steuermittel bekommen.

Was hört man nun von unseren engagierten Kirchen zur drohenden Spaltung Europas, zum Überfall auf die Ukraine?

Wie schon gesagt: Nichts. Null. Nada. Bei katholisch.de: „Vier deutsche Diözesen warten auf einen neuen Oberhirten“. Bei ekd.de: „Diakonie strebt mit Gewerkschaften Zusammenarbeit an.“

*1) Krim-Krise: EU-Außenminister beschließen Maßnahmen gegen Russland; http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Europa/Aktuell/140317_RfAB.html.

*2) Experten warnen vor Wirtschaftssanktionen gegen Russland. DTS-Meldung vom 17.03.2014.

*3) Eigentlich unverantwortlich. Hannes Swoboda im Gespräch mit Annette Riedel. Ukraine. Beitrag vom 09.03.2014. www.deutschlandfunk.de.