Putins „historischer Wendepunkt“.

Mit Putins Rückkehr zu Methoden des Kalten Krieges wird auch für uns einiges verloren gehen.

Vor allem Vertrauen in Abkommen mit Russland. Aber auch einige jetzt sanktionsbedrohte Handelsgeschäfte, an die sich Unternehmen bereits langjährig gewöhnt haben.

Putin lässt einmarschieren, begeht Landraub an einem Land mit Bestandsgarantie durch die USA, durch Großbritannien und durch Russland selbst (Budapester Abkommen 1994). Die Krim annektiert und die süd-östliche Ukraine bedroht. Das ist das Ergebnis, das Putin der Welt in seiner Rede *1) präsentierte.

Und das ist das Ende aller Illusionen im Umgang mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin.

Der schlimmste Effekt der Putin-Rede: Es droht das Ende unserer Sicht auf die in Europa lebenden russischen Minderheiten, die auch lokale oder regionale Mehrheiten z.B in baltischen Ländern bilden mögen. Wir haben sie stets als gutnachbarliche Brücke zu Russland gesehen. All dies hat Präsident Putin durch seine Rede und seine Annexion der Krim in Frage gestellt, wenn nicht zerstört.

Putin negiert in seiner Rede *1) das Völkerrecht durch pompöse historische Beschwörungen („Krim … wo Prinz Wladimir getauft wurde … Kiew, Mutter der russischen Städte“) und indem er die ukrainische Interimsregierung diffamiert und bedroht.

Die „militärische Allianz NATO“ und deren „illegale Intervention“ 1999 gegen Milosevic-Serbien – zur Rettung der Kosovo-Albaner vor Mord und Vertreibung, wohlgemerkt – sind natürlich Pflichtteil dieser Rede, mit der Putin die Rückkehr in den Kalten Krieg einläutet.

„Putins Rede war eine Lektion in Realpolitik. Im Westen versucht man, diese Argumente nachzuvollziehen, um zu verstehen, warum Russland politisch mit ihm gerade Schlitten fährt, und das sogar ohne Schnee.“ *2) Dieses Fazit Lübberdings zu der absurden Haltung des „Verstehe doch den, der dich schlägt“ – gerade unter nicht wenigen „Meinungsführern“ in Deutschland – bedarf keines weiteren Kommentars.

Aus der Politik kommen überzeugende kritische Stellungnahmen. Von den Grünen, z.B. von Frau Marieluise Beck, MdB, Sprecherin für Osteuropapolitik. Vor allem der Osteuropa-Experte Werner Schulz, Europa-Abgeordneter der Grünen, zeigt die aus seiner Sicht gebotene, harte Wortwahl gegenüber Präsident Putin: „Lügner und Verbrecher“. *3)

Diese Kritik seitens der oppositionellen Grünen ist hier deshalb mitzuteilen, weil sie hilft, die politische Wirkung von Putins Rede einzuordnen, vor allem, wenn er sich mit seinen historischen Bezügen an die Deutschen wendet.

Putins Botschaft an die Deutschen ist nämlich besonders bemerkenswert: Im Gegensatz zu einigen westlichen Alliierten war es „jedoch unsere Nation, die eindeutig die ehrliche und unaufhaltsame Sehnsucht der Deutschen nach nationaler Einheit unterstützt hat. Ich bin zuversichtlich, dass Sie dies nicht vergessen haben, und ich erwarte, dass die Bürger Deutschlands auch die Wünsche der Russen unterstützen, die Einheit des historischen Russland wieder aufzurichten.“

Gerade für unsere baltischen Nachbarn mag diese Passage der Rede Putins und ebenso sein Aufruf zu patriotischer „Solidarität“ bedrohlich wirken.

„Millionen Russen und Russisch sprechende Menschen leben in der Ukraine und das wird so bleiben. Russland wird immer ihre Interessen mit politischen, diplomatischen und legalen Mitteln verteidigen.“ Putin beschwor „die ehrlichen Gefühle der Solidarität … Das russische Volk zeigte seine Reife und Stärke durch vereinte Hilfe für seine Landsleute.“

Wie weit reicht solche patriotische Solidarität mit außerhalb Russlands lebenden „Russen“ für Putin, geografisch gesehen? Auch hier findet sich ein zweideutig-bedrohlicher Unterton:

Russlands Außenpolitik auf diesem Gebiet („on this matter“ ist nach dem Kontext der Rede: Solidarität mit Russen, die außerhalb der russischen Grenzen leben, RS) stützt ihre Festigkeit auf den Willen von Millionen unserer Menschen, auf unsere nationale Einheit und auf die Unterstützung der maßgebenden politischen und öffentlichen Kräfte unseres Landes. Ich möchte jedem für diesen patriotischen Geist danken, jedem ohne Ausnahme. Nun haben wir in dieser Weise die Konsolidierung fortzusetzen und zu erhalten, um die Aufgaben zu lösen, die vor unserem Land liegen.“

Und mit der Beschwörung des Patriotismus in einer Zeit „historischer Wendepunkte“ verbindet Putin Vorwürfe an „einige westliche Politiker“. Mit einer Sprache, die Begriffe nutzt aus finsteren Zeiten des Faschismus und des Kalten Krieges.

„Einige Politiker des Westens bedrohen uns bereits nicht nur mit Sanktionen, sondern auch im Hinblick auf zunehmend ernste Probleme an der inländischen Front. Ich möchte wissen, was sie genau vorhaben: Aktionen einer Fünften Kolonne, dieser zusammengewürfelten Bande ´nationaler Verräter`, oder hoffen sie, uns einer verschlechterten sozialen und wirtschaftlichen Situation auszusetzen, um öffentliche Unzufriedenheit zu schüren? Solche unverantwortlichen und im Ton aggressiven Erklärungen werden wir angemessen beantworten.“

Da hat sich Putin eines besonders üblen Begriffs bedient: „Fünfte Kolonne“ nannten Franco-Generäle ihre heimlichen Anhänger im spanischen Bürgerkrieg gegen die legitime Republik. Seitdem ist der Begriff fester Teil der Rhetorik des Zweiten Weltkriegs und des Kalten Krieges geworden. Welche Anmaßung Putins, nach seiner Annexionspolitik ausgerechnet diesen Begriff gegen „Politiker des Westens“ zu wenden!

Was ist nach diesem Affront von Präsident Putins unmittelbar anschließender Friedens-Beteuerung zu halten? Von der Zusicherung Putins, wir dagegen „werden niemals die Konfrontation mit unseren Partnern suchen, weder im Westen noch im Osten, ganz im Gegenteil, wir werden alles tun, um zivilisierte und gutnachbarliche Beziehungen aufzubauen, wie es von jedem in der modernen Welt zu erwarten ist“ ?

Wie lautet die Antwort auf die Frage nach der Glaubwürdigkeit dieser Beteuerung Präsident Putins?

Die ganze Welt sah die Antwort auf diese Frage im Anschluss an die Rede des Präsidenten Putin: In feierlichem Zeremoniell wurde der Landraub der Krim und ihre Eingliederung in die Russländische Föderation „vertraglich“ besiegelt.

*1) Address by President of the Russian Federation, March 18, 2014, 15:50 The Kremlin, Moscow; http://eng.kremlin.ru/news/6889 (Übersetzung von Zitaten aus der Rede Präsident Putins nach diesem Text und Hervorhebungen von RS).

*2) TV-Kritik: Maischberger. Der Westen ist ahnungslos. Von FRANK LÜBBERDING; faz.net 19.03.2014.

*3) Interview vom 18.03.2014. KRIM-KRISE. Grünen-Politiker: Putin ist ein Verbrecher und ein Lügner. Werner Schulz im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann; http://www.deutschlandradio.de. Werner Schulz ist stellvertretender Vorsitzender der Delegation des Europäischen Parlaments im Parlamentarischen Kooperationsausschuss EU-Russland und profilierter Vertreter in der parlamentarischen Zusammenarbeit mit dem östlichen Europa.