Spekulanten unter sich.

Spekulanten haben keinen guten Ruf.

Banalitäten beiseite, handelt es sich um Intellektuelle, die über das hinausdenken, was unmittelbar ins Auge springt. Daher gibt es diese Denker in der Philosophie, der Religion, der Politik, der Wirtschaft.

Große Spekulanten analysieren, was kommen könnte, was erwartet werden kann. Sie kalkulieren für künftige Ereignisse mit welcher Wahrscheinlichkeit sie eintreten und riskieren Kapital oder ihre Reputation für eine unsichere Position, eine Wette.

In der von Präsident Putins Annexionspolitik ausgelösten gefährlichen Krisenzeit können Spekulanten auf den Finanz- und Gütermärkten und in der Politik mehr bewirken als alle Diplomatie.

Gegenüber unverhüllter Aggression geraten die sicher vernünftigen diplomatischen Bemühungen der Regierenden um Ausgleich schnell in den Verdacht des Appeasement, der Hinnahme verbrecherischer Rechtsbrüche durch Putin.

In solcher Lage kann der Blick auf große Spekulanten orientieren.

Doch gebieten Höflichkeit und Rücksicht auf das Bild in den Medien, ab jetzt den leider negativ besetzten Begriff „Spekulant“ zu vermeiden.

Go – nennen wir den Investor und Philanthropen. Go beobachtet die Folgen westlicher Sanktionen gegen das Putin-Regime.

Ratingagenturen bewerten Russlands Aussichten negativ. Die Bonität Russlands als Kreditnehmer könnte herabgestuft werden. Schon jetzt steigen die Kosten für Gläubiger Russlands, wenn sie sich absichern wollen für den Fall, dass die Kreml-Regierung die dem Land gewährten Kredite nicht zurückzahlt – das heißt: die Prämien für „CDS“-Kreditsicherungsverträge werden teurer (sog. Credit Default Swap-Verträge zwischen dem Gläubiger, der seine Forderung sichern will, und dem, der Rückzahlung gewährleistet, wenn der Schuldner nicht zahlt).

Daher wollen westliche Banken ihre Kreditforderungen gegen Russland verkaufen. Sie haben bereits genug Ärger mit staatlichen Schuldnern.

Go mag kalkulieren (so spekuliert dieser interessierte Blogger): Wenn harte Haltung Deutschlands und Europas in der Sanktionsfrage gegen das Putinregime und wenn Suche nach Alternativen für Erdgaslieferung den derzeitigen Wert russischer Kredite weiter sinken ließe … Da könnte – bei langfristig optimistischem Urteil über Russlands Perspektiven – Investition in die abgewerteten Kreditforderungen an Russland lohnen, ganz beträchtlich lohnen. Gerade auch für die Go am Herzen liegenden philanthropischen Werke.

Yo – nennen wir seinen Freund, den elder statesman. Der hat zwei Ideen entwickelt.

Die größte heißt „Vereinigte Staaten von Europa“. Die andere Idee war eine von Russlands Energiequellen unabhängige Pipeline. Hämische Kommentare wie „Die Oper ist fast zu Ende“ (taz.de, 25.05.2012) begleiteten dieses weitblickende Vorhaben.

Doch Yo wäre nicht Staatsmann, hielte er trotz widriger Jahre nicht an seinen Projekten politischer Investition eisern fest.

Die derzeitige Krise scheint für Yo´s Ideen zu sprechen.

So kommen die beiden Freunde, der Finanzinvestor Go und der politische Investor Yo zusammen. Spekulieren wir darüber, was sich die großen Strategen zu sagen haben.

Go: Mein lieber Yo, „Flieg, Gedanke der Sehnsucht in jene Gefilde, wo in Freiheit wir glücklich einst lebten“ – welch‘ böse Überraschungen seit unseren Hochzeiten, wie sieht die Zukunft für unsere lieben, jungen Frauen aus?

Yo: Dein freundlicher Gruß stärkt meinen strategischen Optimismus, lieber Go. Wenn der Westen jetzt fest bleibt! Russland und die Ukraine sind unsere europäischen Nachbarn. Und mein politisches Projekt der wirtschaftlichen Integration und Modernisierungspartnerschaft mit diesen Nachbarn bleibt richtig. Auch wenn Putin diese Zusammenarbeit nun plötzlich für Schwäche hält und Groß-Russland wieder errichten will. Die Folgen dieser Politik für Russland werden dramatisch.

Go: „Schwäche“ ist das richtige Stichwort: Putin handelt aus Schwäche. Durch wirtschaftlichen Misserfolg hat er Ansehen bei der Bevölkerung verloren. Das versucht er durch repressive Innenpolitik und außenpolitisches Abenteurertum zu kompensieren.

Lassen wir Putin links liegen, und konzentrieren wir uns auf Hilfe für die Ukraine. Denn Putins großrussische Träume werden scheitern. Schon weil sein Appell an russisch-ethnischen Nationalismus den Wünschen der vielen nicht-russischen Gemeinschaften der Föderation widerspricht. Und deren Anteil wächst, während der Anteil ethnischer Russen sinkt. Russlands Aussichten unter Putin: dire, very dire.

Yo: Trouble is our business, lieber Go. Der Westen kann nicht zusehen, dass Putin die Ukraine ständig am Rande des Chaos hält. Die Ukraine durfte – aus Putins Sicht – nicht mit europäischer Hilfe erfolgreich modernisiert werden. Eine gelungene Demokratie in der Ukraine hätte sein Regime zusammenbrechen lassen. Die Sanktionen gegen Russland werden nicht viel bringen. Möglichst viele junge, modern denkende Russinnen und Russen sollten zu uns kommen, statt sie in ihrem Land zu isolieren.

Go: Der Westen sollte „smart sanctions“ anwenden. Die USA haben für Jahre ausreichende Ölreserven. Verkauft Öl, dann sinken die Preise für Öl und Gas. Putin braucht einen Ölpreis von mindestens 100 US-Dollar, um seinen Staatshaushalt auszugleichen. Und außerdem – reduziert Putins Einnahmen, kauft Öl und Gas von anderen Lieferanten!

Lieber Yo, Du wirst es bei meinem Gruß gemerkt haben. Ich sehe die Zeit wieder reif für Dein großes Werk – die von Russland unabhängige Nabucco-Pipeline. Gas direkt aus Aserbaidschan! Leider 2012 von kurzsichtigen Krämer-Geistern totgesagt. Du hast zwar Recht, dass ein ausgeglichener Staatshaushalt Putin nicht interessiert. Noch nicht! Im Moment hat er scheinbar viel erreicht. Aber Putins Aggressionspolitik wird scheitern. Je länger er sie fortsetzt, desto schneller kommt der Fall.

Denn Kredit bekommt er nicht mehr. Und Russlands Wirtschaft „is hollowed out“, wenn die „smart sanctions“ wirken.

Yo: Ich glaube nicht, dass Putin einlenkt. Die Konfliktdynamik kann er nicht stoppen. Der status quo reicht ihm nicht. Im Westen wird die Stimmung gegen Eskalation kippen. Der Westen wird zum Handeln gezwungen. Und er wird handeln. Demokratien handeln nie schnell. Sie handeln langsam, dann aber entschieden. Das ist die Lektion aus unserer Geschichte.

Go: Lieber Yo, wie siehst Du Zukunft?

Yo: „I see trouble ahead“. Entweder schafft es Putin, Europa auf den Stand des späten 19. oder des frühen 20. Jahrhunderts zurückzuwerfen. Oder Putin wird der Gründungsvater der Vereinigten Staaten von Europa. Ich hoffe, es kommt zu der zweiten Option.

GO: Danke Yo, wir sehen uns ja bald mit unseren lieben Gattinnen. Und Du weißt ja, dass ich die Schritte Europas – gerade die Eurozone – auf dem Weg zu Deiner großen Vision immer unterstützt habe.

Politikinvestor Yo wendet sich wieder seinen politischen Investionen zu – von Nabucco bis zum künftigen Europa.

Finanzinvestor Go hat genug erfahren, verliert jetzt keine Zeit – er investiert im Baisse-Markt für Russlandkredite. Damit wirkt er deren Wertverfall entgegen. Und mit dieser stabilisierenden Spekulation tut Go ganz gewiss mehr für die Zukunft der Menschen in Russland als ihr Präsident Wladimir Putin.

Hier endet dieser ohnehin leider verkürzte Dialog. Gleichwohl hat das fiktive Gespräch zwischen den Investoren Go und Yo einen realen Hintergrund.

Es stützt sich auf ein tatsächliches Ereignis. Auf eine herausragende Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung (HBS) am 20. März 2014 in Berlin. George Soros, Joschka Fischer und die Osteuropa-Spezialistin Rebecca Harms, MdEP, boten mit dem Moderator Ralf Fücks, HBS-Vorstand, eine Podiumsdiskussion zum Thema „European Union and crisis to the East“.

Es ist nur angemessen festzustellen: Dieses Gespräch war mit Abstand in der Form das Angenehmste und im Inhalt das Informativste, was derzeit zum Konflikt um die Ukraine angeboten wird. Den Video-Mitschnitt *1) sehen Interessierte mehrfach mit Gewinn.

*1) https://www.youtube.com/watch?v=7grXvQBPoqU. Ich habe versucht, zentrale Äußerungen von Herrn Fischer und Herrn Soros sinn- und möglichst wortgetreu in den „fiktiven“ Dialog zu übernehmen. Die Veranstaltung der HBS war ein Beitrag zu politischer Bildung von bleibendem Wert: Überzeugend, weil sie an politische Standfestigkeit gegen Putins Aggression appellierte. Statt über Rückfall in den Kalten Krieg oder ängstliche Konfliktvermeidung um jeden Preis zu klagen.