NATO – Militärbündnis?

Heute sehr informativer „Internationaler Frühschoppen“ im TV zur Krim-Krise: Die Standpunkte Chinas, der Russländischen Föderation, der Ukraine, der EU und Deutschlands wurden erklärt und diskutiert.

Der deutsche Journalist Christoph von Marshall überzeugte bei der politischen und völkerrechtlichen Beurteilung des russischen Vorgehens.

Gegen Ende des Gesprächs, als das Publikum einbezogen wurde, konnte die russische Journalistin Anna Rose ohne Widerspruch behaupten: „Die Nato ist ein Militärbündnis.“ Mit dem Unterton, den wir immer wieder hören, dass die NATO-Osterweiterung von Russland als bedrohlich empfunden werden müsse.

Das kann als reine Kreml-Propaganda bewertet werden. Schon wegen langjähriger Bemühungen, mit Russland im NATO-Russland-Rat sicherheitspolitisch zusammenzuarbeiten. Und weil deshalb Georgien wie der Ukraine auf viele Jahre hinaus der von diesen Ländern angestrebte Beitritt zur NATO verweigert wird.

Daher soll Frau Roses Definition der NATO als Militärbündnis hier widersprochen werden. Einrichtungen für politische Bildung mögen dieser Sachfrage die angemessene Aufmerksamkeit widmen. Damit die Menschen in Deutschland und Europa die NATO-Allianz besser verstehen.

Die NATO ist nämlich keineswegs in erster Linie ein Militärbündnis. Es mag zwar sein, dass die „militaristische“ Wahrnehmung der NATO weit verbreitet ist und von interessierten „linken Kreisen“ gern geschürt wird. Damit wird sie jedoch nicht richtiger.

Ein Blick in den Nordatlantikvertrag vom 4. April 1949 hilft *1) – neben dem Blick in die Geschichte konkreten Handelns der NATO-Allianz.

Die Lektüre der Vertrags-Präambel zeigt, welche politischen Ziele, Werte und Grundsätze die NATO zusammenhalten.

„Die Parteien dieses Vertrags bekräftigen erneut ihren Glauben an die Ziele und Grundsätze der Satzung der Vereinten Nationen und ihren Wunsch, mit allen Völkern und Regierungen in Frieden zu leben. Sie sind entschlossen, die Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation ihrer Völker, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts beruhen, zu gewährleisten. Sie sind bestrebt, die innere Festigkeit und das Wohlergehen im nordatlantischen Gebiet zu fördern. Sie sind entschlossen, ihre Bemühungen für die gemeinsame Verteidigung und für die Erhaltung des Friedens und der Sicherheit zu vereinigen.“

Der Artikel 1 verpflichtet die NATO-Mitglieder, „jeden internationalen Streitfall, an dem sie beteiligt sind, auf friedlichem Wege so zu regeln, daß der internationale Friede, die Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden.“ Ferner müssen sich NATO-Mitglieder „in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung .. enthalten, die mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar sind.“

Artikel 2 verpflichtet die NATO-Mitglieder noch einmal ausdrücklich, dieses Verhalten in „ihren internationalen Beziehungen“ und den dabei geschaffenen „freien Einrichtungen“ zu beachten.

Ferner verpflichtet Artikel 2 die NATO-Mitglieder auf das Bestreben, „Gegensätze in ihrer internationalen Wirtschaftspolitik zu beseitigen und die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen einzelnen oder allen Parteien zu fördern.“ Hier wird das Themenspektrum der NATO jenseits verteidigungspolitischer Fragen besonders deutlich.

Natürlich wurden im TV-„Frühschoppen“ wieder der NATO-Einsatz gegen den abgeurteilten Kriegsverbrecher Milosevic bemüht und auch die „illegale“ Unabhängigkeit des Kosovo.

Dazu sollte die völkerrechtliche Klarstellung – auch zum Krim-„Referendum“ – durch Christoph von Marshall hervorgehoben werden: „Eine Provinz hat nicht das Recht über die Grenzen eines Staates abzustimmen.“ Und zum Kosovo: Erst durch serbischen „Massenmord“ und „Vertreibung“ von Kosovo-Albanern aus ihrer Heimat habe der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zugestanden, dass eine Rückkehr des Kosovo in den serbisch-jugoslawischen Staatsverband den Kosovaren „nicht zumutbar“ sei.

Um neuen Anforderungen an und neuen Bedrohungen für die Sicherheit „der Bürgerinnen und Bürger der Mitgliedstaaten gerecht zu werden“, wurde „2010 beim Gipfel in Lissabon (das) Strategische Konzept“ verabschiedet. *2)

Dieses Strategische Konzept legt fest, die drei Kernaufgaben der NATO – kollektive Verteidigung, Krisenbewältigung, Kooperative Sicherheit – „stets im Einklang mit dem Völkerrecht“ zu verfolgen (*2) Kernaufgaben, Punkt 4).

Deshalb bekennt sich das Bündnis „mit Nachdruck zu den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen und zum Washingtoner Vertrag, der die Hauptverantwortung des Sicherheitsrats für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit bekräftigt.“ (*2) Kernaufgaben, Punkt 2)

Für die demokratisch verfassten NATO-Mitglieder bleibt diese Allianz „das einzigartige und essenzielle transatlantische Forum für Konsultationen in allen Fragen, die die territoriale Unversehrtheit, die politische Unabhängigkeit und die Sicherheit ihrer Mitglieder berühren“ (*2), Punkt 5).

Der Blick auf das internationale „Sicherheitsumfeld“ im Rahmen des Strategischen Konzepts zeigt, wie unberechenbar neue Bedrohungen die demokratische Zivilisation, die Freiheit und die Sicherheit gefährden.

Regionale Konflikte und Aufrüstungsprozesse „mit schwer vorhersehbaren Folgen für die internationale Stabilität und die euro-atlantische Sicherheit.“ (*2), Sicherheitumfeld, Punkt 8).

„Die Verbreitung von Kernwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen und ihrer Trägersysteme droht unberechenbare Folgen für Stabilität und Wohlstand weltweit zu haben. Im nächsten Jahrzehnt wird das Proliferationsproblem in einigen der instabilsten Regionen der Welt am größten sein.“ (*2), Punkt 9).

„Moderne Technologien erhöhen die Bedrohung und potenzielle Auswirkungen terroristischer Anschläge, vor allem wenn Terroristen nukleare, chemische, biologische oder radiologische Fähigkeiten erlangen sollten.“ (*2) Punkte 10, 11, 12).

Terrorismus, Extremismus, Waffen-, Drogen- , Menschenhandel, Angriffe auf Computernetze können unabsehbare Schäden anrichten. Können Infrastruktur, Stromnetze, Transportwege, die Versorgung mit Gütern und damit Wohlstand, Sicherheit und die Stabilität aller Länder gefährden.

Schon dieser kurze Blick auf aktuelle Resultate von Bedrohungsanalysen und die im Rahmen der NATO entwickelten Instrumente für Konfliktprävention macht deutlich: Den heutigen Bedrohungen unserer Sicherheit kann allein mit militärischen Kapazitäten überhaupt nicht wirksam begegnet werden.

Muss im Lichte der militärischen Aggression Russlands gegen die Ukraine bei Putin auch noch um Verständnis geworben werden, wenn die NATO im Rahmen ihres umfassenden sicherheitspolitischen Strategischen Konzepts militärische Kapazitäten vorhält?

Dieser Frage möge die sonst wohlinformierte russische Journalistin Anna Rose doch einmal nachgehen, wenn sie schon die NATO als „Militärbündnis“ definiert.

*1) www.nato.diplo.de/Vertretung/nato/de/04/Rechtliche Grundlagen Nordatlantikvertrag.

*2) Strategisches Konzept für die Verteidigung und Sicherheit der Mitglieder der Nordatlantikvertrags-Organisation, von den Staats- und Regierungschefs in Lissabon verabschiedet (2010).

Kernsätze des Vorworts zum Strategischen Konzept: „Zwar ändert sich die Welt, doch bleibt die wesentliche Mission der NATO dieselbe: zu gewährleisten, dass das Bündnis eine beispiellose Gemeinschaft der Freiheit, des Friedens, der Sicherheit und gemeinsamer Werte bleibt.“ (Hervorhebung RS).

Das Strategische Konzept verpflichtet das Bündnis, „Krisen zu verhindern, Konflikte zu bewältigen und die Lage nach einem Konflikt zu stabilisieren, auch indem es enger mit unseren internationalen Partnern zusammenarbeitet, in erster Linie mit den Vereinten Nationen und der Europäischen Union.“

Das Strategische Konzept „bietet unseren Partnern rund um den Globus stärkeres politisches Engagement mit dem Bündnis und eine substanzielle Rolle bei der Gestaltung der NATO-geführten Operationen an, zu denen sie beitragen.“