Angst-Hasen?

„Hase, du bleibst hier!“ *1) So der Ordnungsruf einer Sächsin im Video von Antifa-Zeckenbiss, dessen Interpretation — fremdenfeindliche „Hetzjagd“ oder nicht — höchste Verantwortliche für die Innere Sicherheit unseres Landes in Verruf zu bringen droht.

Innenminister Horst Seehofer (CSU-Vorsitzender) hat Aussagen in BILD *2) zu den rechtsextremen Ausschreitungen in Chemnitz durch den ihm unterstellten Verfassungsschutz-Präsidenten Hans-Georg Maaßen zugelassen, die beider Ansehen beschädigen können. Und das in einer Zeit, in der ihre gemeinsame Pflicht wichtiger ist denn je: „Die Untergrund- und staatsgefährdende Arbeit staatsfeindlicher Gruppen und Einzelgänger im Inland zu überwachen.“ *3)

August Hanning, ehemaliger Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) und bis zum 10. November 2009 Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, hat die Öffentlichkeit auf eine „explosive“ Sicherheitslage hingewiesen. *4)

In den letzten drei Jahren seien 1.6 Mio. Migranten nach Deutschland gekommen. Von kriminellen Ausreisepflichtigen ohne Bleibeperspektive gehe Gefahr aus; sie verlassen jedoch das Land nicht. Der Kontrollverlust an den deutschen Grenzen halte bis heute an: „In den Sicherheitsbehörden möchte man, dass die Außengrenze wieder kontrolliert und deutsches Recht wieder durchgesetzt wird … Wir erleben einen Stresstest für unsere Innere Sicherheit.“

Hanning warnt vor politischen Folgen — Stichworte: „besorgte Bürger“ als „Resonanzboden“. Die Relevanz dieser Warnung Hannings lässt sich an den Ergebnissen einer Langzeit-Studie erkennen: Die repräsentative Umfrage „Die Ängste der Deutschen 2018“ *5) nennt als Gegenstand der wichtigsten Ängste ausschließlich aktuelle politische Probleme.

Beschränken wir uns hier auf die fünf wichtigsten Ängste der Deutschen in 2018:

  • Gefährlichere Welt durch Trump-Politik (neu aufgenommen in 2018; benannt von 69 % der Befragten).
  • Überforderung von Deutschen/Behörden durch Flüchtlinge (63 %; + 6 Prozentpunkte gegen 2017).
  • Spannungen durch Zuzug von Ausländern (63 %; + 2 Prozentpunkte).
  • Überforderung der Politiker (61 %; + 6 Prozentpunkte).
  • Terrorismus (59 %; – 12 Prozentpunkte).

Am stärksten sind zwei Angst-Faktoren in 2018 gegenüber dem Vorjahr gewachsen: Überforderung von Deutschen/Behörden durch Flüchtlinge (+ 6 Prozentpunkte) und Überforderung der Politiker (+ 6 Prozentpunkte). Die Angst vor Terrorismus ist dagegen um 12 Prozentpunkte gesunken.

Regionale Unterschiede in den aktuellen Stimmungsbildern zeigen sich beim Faktor Überforderung von Deutschen/Behörden durch Flüchtlinge — im Norden sind 59 %, im Süden 68 %, im Osten 69%, im Westen 62 % besorgt. Ähnliches gilt für Ängste wegen überforderter Politiker: im Norden 58 %, im Süden 64 %, im Osten 67%, im Westen 60 %. Liegt dies an der von Migranten bevorzugten „Grenzland-Situation“ in südlichen bzw. östlichen Grenzgebieten?

Markante Unterschiede zu den Gesamtzahlen für Deutschland zeigen die Ergebnisse für Bayern und Sachsen.

Als die drei größten Ängste weist Bayern aus:

  • Spannungen durch Zuzug von Ausländern (75 %).
  • Überforderung von Deutschen/Behörden durch Flüchtlinge (73 %).
  • Terrorismus (72 %).

Trump (68 %) und überforderte Politiker (67 %) liegen auf Platz 5 und 6 der Sorgenliste.

Ganz anders als die Bayern scheinen sich die Sachsen zu ängstigen:

  • Überforderung von Deutschen/Behörden durch Flüchtlinge (74 %).
  • Überforderung der Politiker (68 %).
  • Gefährlichere Welt durch Trump-Politik (66 %).

Hier landen Spannungen durch Zuzug von Ausländern (65 %) und Terrorismus (62 %) auf den Plätzen 5 und 6.

Ähnlich empfinden Bayern (68 %) und Sachsen (66 %) die Sorge um die „Kosten für den Steuerzahler durch die EU-Schuldenkrise“; sie liegt in beiden Bundesländern auf Platz 4 der Ängste-Skala. Für die Deutschen insgesamt nimmt diese Sorge immerhin noch Platz 6 ein.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Es scheinen politische Probleme zu sein, die derzeit den Menschen vordringlich Sorgen bereiten. Soziale, ökologische und wirtschaftliche Probleme scheinen in den Hintergrund gerückt; ihr Bezug zu den politischen Sorgen müsste untersucht und erklärt werden. Sonst könnte deren Thematisierung leicht als Ablenkungsmanöver verstanden werden.

Dann würde ein Ziel verfehlt, das SPD-Chefin Andrea Nahles in der heutigen Debatte im Deutschen Bundestag über den Haushalt 2019 beschwor: „Vertrauen in die Demokratie stärken“. Gerade im Hinblick auf dieses staatspolitische Ziel unterstreichen die dargestellten Ergebnisse zur Umfrage „Die Ängste der Deutschen 2018“ August Hannings Warnung an die politische Führung: „besorgte Bürger“ als „Resonanzboden“ für Propaganda von Gegnern unserer Demokratie. Als solche Gegner lassen sich gewaltbereite Gruppen der extremen Rechten und Linken benennen; teilweise mögen sie Presse-Spekulationen zufolge bei der AfD oder der Linkspartei mitlaufen. Gewaltakte von Islamisten/Migranten verstärken das Gefühl vieler Menschen, in unserer Demokratie eben nicht „sicher und frei“ leben zu können, wie es Politiker immer wieder versprechen.

Dass „Überforderung der Politiker“ als Angstfaktor 2018 die höchste Steigerung (6 Prozentpunkte) aufweist, dürfte sinkendes Vertrauen in die Fähigkeit der Politik ausdrücken, jene Probleme zu lösen, die der Bevölkerung Sorgen bereiten.

„Das ist für Deutschlands Politiker ein katastrophales Urteil. 48 % der Befragten bewerten die Arbeit der Politiker mit ´mangelhaft` oder ´ungenügend` … mit einem Anteil von noch nicht einmal sechs Prozent fallen die Noten ´sehr gut` oder ´gut` äußerst spärlich aus.“ *6) Vor allem ist dies eine Besorgnis erregende Botschaft für unsere politische Führung durch den renommierten Politikwissenschaftler Professor Dr. Manfred G. Schmidt, der die Langzeitstudien über die Ängste der Deutschen seit langem wissenschaftlich begleitet.

Deshalb sollte die Botschaft Prof. Schmidts die „staatstragenden“ Parteien (derzeit durch gemeinsam vertretenen innen- und außenpolitischen Grundkonsens: SPD, CDU/CSU, GRÜNE, FDP) erreichen, wenn dem Ziel „Vertrauen in die Demokratie stärken“ (Andrea Nahles) Taten folgen sollen.

Politik, die Ängste der Menschen aufgreift und ihnen im Dialog und mit Bezug auf die Sorgen erklärt wird: „In der Migrationsfrage bündeln sich wie in einem Brennglas soziale, ökonomische und kulturelle Verwerfungen gegenwärtiger Gesellschaften. Diese stellen enorme Herausforderungen für unsere Demokratien dar“, hatte der Politologe Professor Hans Vorländer geurteilt. *7)

Daher dürfen Probleme der Migrationspolitik und der Integration Geflüchteter nicht verschwiegen, nicht durch Tabus wie “rassistisch“ etc. unterdrückt werden. Vielmehr sind diese Fragen wissenschaftlich zu untersuchen und öffentlich zu diskutieren. Anders wird „Vertrauen in die Demokratie stärken“ nicht gelingen.

Nur durch überzeugende politische Leistung und Kommunikation gegen extreme Populisten rechter und linker Herkunft, die Ängste der Menschen schüren und ausnutzen, werden die „staatstragenden“ Parteien „Vertrauen in die Demokratie stärken“ können.

*1) https://www.focus.de/politik/deutschland/chemnitz-nach-maassen-aussage-was-wir-ueber-das-video-wissen-ueber-das-ganz-deutschland-diskutiert_id_9550690.html.

*2) Verfassungsschutz. Hans-Georg Maaßen wird zum Beobachtungsobjekt. Von Kai Biermann, Astrid Geisler und Karsten Polke-Majewski. 11. September 2018; https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-09/maassen-verfassungsschutz-video-seehofer-bundestag.

Hier finden sich die Äußerungen von Maaßen in BILD vom 7. September, die den Eindruck erwecken, als sei die Bundeskanzlerin nicht in der Lage, über die Ausschreitungen in Chemnitz zutreffend zu urteilen. Und die damit den Verdacht einer Intrige Seehofers/Maaßens gegen die Bundeskanzlerin nähren.

„Die Skepsis gegenüber den Medienberichten zu rechtsextremistischen Hetzjagden in Chemnitz werden von mir geteilt. Es liegen dem Verfassungsschutz keine belastbaren Informationen darüber vor, dass solche Hetzjagden stattgefunden haben.“

Maaßen zu dem Video (*1), das Angriffe auf Menschen zeigt, in denen ein pöbelnder Mob Migranten vermutet: „Es liegen keine Belege dafür vor, dass das im Internet kursierende Video zu diesem angeblichen Vorfall authentisch ist.“

Maaßen leistet sich sogar die Spekulation: „Nach meiner vorsichtigen Bewertung sprechen gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken.“

Damit desavouiert Maaßen die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die vorher festgestellt hatte: „Wir haben Videoaufnahmen darüber, dass es Hetzjagden gab, dass es Zusammenrottungen gab, dass es Hass auf der Straße gab, und das hat mit unserem Rechtsstaat nichts zu tun.“

*3) Model, Creifelds, Lichtenberger, Staatsbürger-Taschenbuch, 33. neubearbeitete Auflage. München 2012. Abschnitt 164, S. 368.

*4) Gabor Steingart. Das Morning Briefing. Interview mit August Hanning (podcast). 11.09.2018; news@morning-briefing.gaborsteingart.com.

*5) Als Initiative der R+V Versicherung informiert das R+V-Infocenter in Zusammenarbeit mit Sicherheitsexperten die Öffentlichkeit regelmäßig über Themen rund um Sicherheit und Vorsorge. Professor Dr. Manfred G. Schmidt, Politologe an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg und seit vielen Jahren Berater des R+V-Infocenters, hat die Resultate der Langzeit-Studie „Die Ängste der Deutschen 2018“ kommentiert.

Siehe: Politische Probleme dominieren die Ängste der Deutschen. Berlin, 6. September 2018; https://www.ruv.de/static-files/ruvde/Content/presse/die-aengste-der-deutschen/aengste-presseinfo/ruv-aengste-der-deutschen-ergebnisse.pdf.

Alle Texte und Grafiken der o.a. Studie finden sich auf: www.die-aengste-der-deutschen.de.

Seit 1992 befragt das R+V-Infocenter jährlich im Sommer rund 2400 Männer und Frauen. Der Befragungszeitraum 2018 war vom 8. Juni bis zum 18. Juli mit 21 Fragen. Die Umfrageresultate seien repräsentativ für die Meinungen der deutschen Bevölkerung.

Bayern-Resultat: https://www.ruv.de/static-files/ruvde/downloads/presse/aengste-der-deutschen/bundeslaender/StaticFiles_Auto/bayern-aengste.jpg.

Sachsen-Resultat: https://www.ruv.de/static-files/ruvde/downloads/presse/aengste-der-deutschen/bundeslaender/StaticFiles_Auto/sachsen-aengste.jpg.

*6) https://www.ruv.de/presse/aengste-der-deutschen/presseinformation-aengste-der-deutschen.

*7) Fünf Krisen, die Demokratien unter Druck setzen. USERKOMMENTAR HANS VORLÄNDER. 22. August 2018; derstandard.at/2000085778895/Fuenf-Krisen-die-Demokratien-unter-Druck-setzen. (Hans Vorländer ist Professor für Politikwissenschaft und Direktor des Zentrums für Verfassungs- und Demokratieforschung und des Mercator-Forums für Migration und Demokratie an der TU Dresden. Er diskutiert am 26. August in Alpbach über „Demokratien unter Druck“.)