Aprilscherz mit Bismarck?

Derzeit ist uns wenig nach Aprilscherzen zumute. Doch könnte sich auch ein Bürger, der kein Bismarck-Spezialist ist, fragen, ob Altkanzler Gerhard Schröder derartige Neigungen verspürt. Denn Gerhard Schröder werden sonderbare Äußerungen über Bismarck zugeschrieben.

Auch in Wien erregten sie Aufmerksamkeit. Nutzen wir den heutigen 1. April, Bismarcks 200. Geburtstag, und — April, April — begeben wir uns von Berlin nach Wien.

Niemand weiß, was den Sozialdemokraten (!) Gerhard Schröder bewogen hat, zum heutigen 1. April über Bismarck zu sprechen.

Nehmen wir an, Gerhard Schröder dachte mitfühlend an die erbarmungslose Repression, die Sozialdemokraten unter Bismarcks Sozialistengesetz traf.

Bismarck sah im „Sozialistengesetz“ (in Kraft von 1878 bis 1890), das von einem „willfährigen Parlament“ verabschiedet worden war, die Möglichkeit, gegen die zunehmende politische Akzeptanz der Sozialdemokratie — „der bedrohlichen Räuberbande, mit der wir gemeinsam unsere Städte bewohnen“ (Bismarck) — einzuschreiten. Sozialdemokraten wurden der Willkür der Polizeibehörden ausgeliefert. „Bereits bis zum November 1878 waren 153 Vereine und 175 Zeitungen und Zeitschriften verboten und 67 Sozialdemokraten allein aus Berlin verbannt. Insgesamt wurden in den 12 Jahren des Sozialistengesetzes zwischen 800 und 900 ´Verdächtige` mit nahezu 1500 Familienangehörigen aus ihrer Heimat verwiesen. Allein in den beiden Jahren 1878/79 verhängten die Gerichte 600 Jahre Gefängnis wegen Vergehen gegen das Unterdrückungsgesetz und Majestätsbeleidigung und bis 1888 noch einmal 881 weitere Jahre.“ *1)

Sicher haben Gerhard Schröder die traurigen Schicksale tausender sozialdemokratischer Frauen und Männer mit ihren Familien in jener Zeit tief bewegt.

Jedoch findet sich am heutigen 1. April im Wiener „Der Standard“ folgender Hinweis zu weiteren Gedanken Schröders über den „Eisernen Kanzler“ Fürst Otto von Bismarck: „Schröder gibt Tipps. Altkanzler Gerhard Schröder empfiehlt seiner Nachfolgerin Angela Merkel im aktuellen ´Spiegel`, sich in ihrer Russlandpolitik am ´Eisernen Kanzler` zu orientieren: Der habe sich um ´Russland bemüht.` Und, so Schröder: ´Europa, gerade auch Deutschland, braucht Russland, und Russland braucht Europa. An dieser Tatsache hat sich seit den Tagen Otto von Bismarcks nichts geändert.`“ *2)

Sollte sich Gerhard Schröder mit seiner als Bundeskanzler verfolgten Russlandpolitik in der Nachfolge Bismarcks sehen? Ein Aprilscherz?

Der bedeutende Historiker Heinrich August Winkler setzt diesem „Aprilscherz“ unseres Amateurhistorikers, Altkanzler Gerhard Schröder, sein Urteil entgegen: „´Ich wäre da außerordentlich skeptisch.` Deutsch-russische Sonderbeziehungen würden Polen und die baltischen Länder vor den Kopf stoßen.“ *2)

Gerhard Schröder ist dieser Gedanke des Historikers Professor H. A. Winkler sicher gleichgültig. Seine Missachtung der Anliegen Polens und der Baltischen Länder im Vergleich zu seiner Freundschaft mit Präsident Putin ist seit Beginn der Verhandlungen über die „North-Stream“-Gas-Pipeline europaweit bekannt.

Die Absurdität der Empfehlung Schröders — leider muss man dies feststellen — wird dem Bürger deutlich, wenn er bei Bismarck nachliest. Da zeigt sich, dass Bismarcks „Bemühung“ (Gerhard Schröder) um Russland vor allem ein „europapolitisches“ Motiv hatte: Militärische Absicherung des deutschen Kaiserreichs gegen den Erbfeind, die Republik Frankreich!

Im Zusammenhang mit seiner Entlassung durch Kaiser Wilhelm II schreibt Bismarck: „Ich musste es als eine Laune des Zufalls ansehn, und die Geschichte wird es vielleicht verhängnisvoll zu nennen haben, dass … der in der Nacht aus Petersburg eingetroffene Botschafter Graf Paul Schuwalow sich bei mir mit der Erklärung meldete, er sei ermächtigt, in gewisse Vertragsverhandlungen *) einzutreten und dass diese Verhandlungen sich demnächst zerschlugen, als ich nicht Reichskanzler blieb. *): Über Verlängerung eines im Juni 1890 ablaufenden Vertrages, der uns für den Fall, dass wir von Frankreich angegriffen würden, die Neutralität Russlands sicherte.“ *3)

Hier wird der Kern Bismarckscher Außen- und auch Russlandpolitik deutlich: Eine Politik Bismarcks, die auf Allianzen in einem tief verfeindeten Europa mit ständiger Kriegsgefahr abzielte. Drei Kriege hatte Bismarck in Europa geführt: gegen Dänemark (1864), gegen Österreich (1866) und gegen Frankreich (1870-71). Die dabei gemachten Eroberungen waren dann durch Allianzen, vielleicht auch mit Russland, oder notfalls mit „Eisen und Blut“ (Bismarck) abzusichern.

Bismarcks Russlandpolitik — die „Bemühung“ um Russland Gerhard Schröder zufolge — muss im Urteil namhafter Historiker auch im Kontext seiner Landwirtschaftspolitik beurteilt werden: Bismarcks Politik der Zollerhöhungen zugunsten des deutschen Agrarsektors hatte verheerende Auswirkungen auf den traditionellen Getreideanbau und Getreideexport des zaristischen Russland. Dadurch wurden feindselige Tendenzen in Russland gegen Deutschland gestärkt. Innenpolitische Klientelpolitik hatte Bismarck damit über die von Gerhard Schröder behauptete „Bemühung“ um Russland gestellt.

Es ist hier nicht Kritik an Bismarck beabsichtigt. Es soll nur aufgezeigt werden, wie unsinnig es ist, eine im heutigen Europa sicher gebotene kooperative Russlandpolitik mit der Rußlandpolitik Bismarcks zu begründen und in deren Kontinuität zu sehen. Dies hat Gerhard Schröder nicht nur der Bundeskanzlerin Merkel, sondern auch dem Außenminister Steinmeier zugemutet.

Altkanzler Schröders außenpolitische Empfehlung, sich an Bismarcks Russlandpolitik zu orientieren, geht wohl für viele Europäer weit über einen gerade noch tolerierbaren Aprilscherz hinaus. Und völlig daneben!

*1) Susanne Miller/Heinrich Potthoff, Kleine Geschichte der SPD, 6. durchgesehene Auflage 1988, Bonn 1988, S. 46 f.

*2) 200 Jahre Bismarck: Das russische Erbe des „Eisernen Kanzlers“. BIRGIT BAUMANN AUS BERLIN; DER STANDARD, 01.04.2015.

*3) Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, Vollständige Ausgabe, J. G. Cotta´sche Buchhandlung Nachfolger, Stuttgart und Berlin, Bd. 1 und 2, 1898, Band 3, 1919; S. 647.