Aufstand gegen Rechts.

Der Präsident des Deutschen Bundestags, Dr. Norbert Lammert, verlas im Gedenken an die Opfer der neonazistischen Mörder eine würdige gemeinsame Erklärung aller Fraktionen.

Diese Worte haben sich eingeprägt: „Im Namen des ganzen Hauses, aller Mitglieder des Deutschen Bundestages, will ich unsere Trauer, Betroffenheit und Bestürzung zum Ausdruck bringen über die erschreckende Serie von Morden und Anschlägen einer kriminellen neonazistischen Bande. Wir sind beschämt, dass die Sicherheitsbehörden der Länder wie des Bundes die über Jahre hinweg geplanten und ausgeführten Verbrechen weder rechtzeitig aufdecken noch verhindern konnten. Unsere Anteilnahme gilt den Angehörigen und eine besondere Bitte der Entschuldigung für manche Verdächtigungen von Opfern und Angehörigen, die sie während der Ermittlungen vor Ort erleben mussten. Wir wissen um unsere Verantwortung….“

Wir sind sicher, dass nunmehr diese Verantwortung wahrgenommen wird. Dazu kamen von Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich überzeugende Vorgaben: Eine bessere Verzahnung der Bekämpfung des Terrorismus durch Polizei und Verfassungsschutz sowie von Bund und Ländern. „Verbunddateien“ und ein gemeinsames Terrorabwehrzentrum sind einzurichten. Der Extremismus muss durch Information und ein Lagebild erfasst werden, nicht nur der gewaltbereite, auch der sogenannte gewaltfreie.

Das Lachen Herrn Trittins, das laut Plenarprotokoll (vom 22.11.2011) die Ausführungen des Ministers zu einem Verbotsverfahren gegen die NPD begleitete, erscheint schäbig. Es kündigte den Verfall einer würdig begonnenen Gedenkstunde und Debatte in parteipolitische Abrechnungen an.

Der Oppositionsführer, Dr. Frank-Walter Steinmeier, fand zunächst angemessene Worte für die Opfer. Doch warum hielt er es danach für nötig, mit der etwas nahe liegenden Wortspielerei „Anstand der Zuständigen“ den Generalverdacht einer Unanständigkeit gegenüber Behörden und Beamten auszusprechen? Und dies, bevor Ergebnisse der Untersuchung vorliegen, die bis in das Jahr 1998 zurückgehen werden, als die Verbrecher untertauchten? Warum der Vorwurf der „Äquidistanz“ gegenüber Rechts- und Linksextremismus an Frau Ministerin Schröder in dieser Stunde, in der sich alle Regierungen in Bund und Ländern seit 1998 der Frage stellen müssen, wie es zu diesem jetzt offenbarten Versagen kommen konnte?

Wozu führt Herr Steinmeier jetzt noch einen Konflikt mit Frau Schröder auf der Ebene zurückliegender finanzieller Zuwendungen an zivilgesellschaftliche Gruppen? Und wozu in dieser Stunde die laut vorgetragene, zur Anklage aufgeladene Behauptung „Es gibt sie nicht die linksextremen Schlägertrupps“ mit der pedantisch wirkenden Absicherung „die ganze Regionen terrorisieren, die mit dieser Haltung in Parlamente einziehen“. Wohl wahr, Links-Terroristen, die über keine nahe stehende Partei verfügen, treiben ihr Unwesen vor allem in urbanen Metropolen.

Ungläubig sehen wir einen Oppositionsführer, der sich in solcher Stunde auf die kleine Ebene begibt, über vergangene Mittelkürzungen zu streiten. Der dann entgegen bisheriger Praxis fordert, Zuwendungsbescheide zu erteilen ohne die Auflage, dass die Verwendung der Mittel verfassungsgemäß erfolgen solle („Extremismusklausel“)! Solche selbstverständliche, bisher immer geübte Sorgfalt bei der Mittelvergabe an „zivilgesellschaftliche“ Aktivistengruppen sieht er nun als „Gängelei“.

Vollends entgleiste die Debatte durch Attacken wegen offensichtlicher Mängel in der Opferstatistik – „49 gegen 182“. Was ging wohl Herrn Steinmeier durch den Kopf, als wohlkalkuliert Herr Dr. Gysi fragte, wieso sechs Opfer rechtsextremer Mordtaten, die am 14. Juni 2000 und am 7. Oktober 2003 verübt wurden, nicht dem Rechtsterrorismus zugeordnet wurden? Da regierte bekanntlich Rot-Grün und Herr Steinmeier leitete das Kanzleramt.

Überhaupt machte Herr Gysi gute Figur in dieser Debatte. Übersehen wir seine kürzlich erhobene Forderung, die 5%-Klausel abzuschaffen. Dann säße die NPD in allen Parlamenten. Sehen wir auch über seine strittigen Forderungen hinweg, alle V-Leute abzuziehen und die „Extremismusklausel“ bei den Zuwendungen zu streichen. Aber sein ernster Ton und Auftritt beeindruckten ebenso wie sein großer Schlusssatz zur Bedeutung der ersten gemeinsamen Erklärung aller Abgeordneten des Deutschen Bundestages: „Die Bedeutung besteht darin, dass wir trotz unterschiedlichster Auffassung in vielen Fragen den Rechtsterroristen in Deutschland sagen: Ihr scheitert an uns gemeinsam – von der CSU bis zur Linken.“

Leider mussten wir uns danach Frau Künast anhören. Auch sie setzte den Streit um Verteilung von Geldmitteln an engagierte „junge Menschen“ durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend fort. Dann nahm sie die Tragödie, der die gemeinsame Erklärung des Bundestages galt, zum Anlass einer ganz niedrigen Attacke auf Frau Schröder. Gleich zweimal warf sie Frau Schröder „einen Mangel an Herzensbildung“ vor. Ausgerechnet Frau Künast! Seit vielen Jahren haben wir uns an ihr Mundwerk und die dazugehörige Mimik gewöhnt. Wir haben dies akzeptiert mit Rücksicht auf ihre Politik, die wir oft für richtig hielten. Und nun kommt uns dieser Schrecken aller street fighter mit „Herzensbildung“! Wo mag die Ursache für diese nahezu unglaubwürdigste aller politischen Metamorphosen zu suchen sein?

Warum entgleiste diese Stunde des Bundestags durch parteitaktische Aufrechnungen, Rechts-Links-Denken, Lärmen und Heucheln? Der Bürger kann nur rätseln, welche Motive Spitzenpolitiker veranlassten, diesen parlamentarischen Akt des Gedenkens herabzuwürdigen.

Und dann die Forderungen, Geld „an die jungen Menschen“ für den „Aufstand der Anständigen gegen Rechts“ zu verteilen. Das ist ja grundsätzlich in Ordnung. Aber ist die Befürchtung so abwegig, dass jugendlicher Aktivismus „gegen Rechts“ die Gewaltkonflikte eskalieren lassen könnte? In einem wechselseitig provozierenden Rechts-Links-Aufschaukeln, das vor allem der NPD nützt?

Wäre es nicht sinnvoller, stärker auf die Bildungsarbeit und den Einfluss von Schulen, Kirchen und Vereinen, auf die Gewerkschaft der Polizei oder auf die politischen Stiftungen zu setzen? Diese Einrichtungen haben ausgebildete Kräfte und Netzwerke, die einwirken können ohne Provokation und Eskalation. Weil sie langjährig und intensiv mit Fachleuten der Sicherheitsbehörden, der Friedens-, Extremismus-, Gewalt- und Konfliktforschung zusammenarbeiten. Könnten die jungen Aktivisten gegen Rechts dort eingebunden und beraten werden?

Der Bürger hofft, dass diese zivilgesellschaftliche Arbeit nicht von Parteienstreit, sondern von Kooperation und Sachverstand geprägt wird.