Salut Maître!

Jean-Claude Trichet hat Ende Oktober 2011 seine Aufgabe an der Spitze der Europäischen Zentralbank erfüllt.

Die Quintessenz der Begründung, mit der Herrn Trichet im  Juni der Karlspreis 2011 der Stadt Aachen verliehen wurde, drückt aus, was ihm die Bürger Europas verdanken: Die EZB und und der Euro haben sich als Anker der Stabilität und des Vertrauens erwiesen.

Solche Leistungsbilanz hinderte Herrn Kleber vom ZDF am 6. Oktober 2011 nicht an leicht hochfahrender Attitüde im Gespräch mit Präsident Trichet (s. http://wstreaming.zdf.de/zdf/300/111006_trichet_hjo.asx). Zunächst teilte Herr Kleber uns mit, Herr Trichet „tritt Ende des Monats ab.“ Dieser sensiblen Wortwahl folgte das Fazit eines unrühmlichen Endes der Amtszeit: „Am Ende haben Sie für über 150 Milliarden Euro riskante, schadhafte Schuldpapiere gekauft, die keiner haben wollte, und damit die EZB zur Bad Bank Europas gemacht.“ Und dann, etwas erregt: „Wie konnten Sie das erlauben?“

Herr Trichet erklärte geduldig und freundlich die Sachlage. Konnte Herr Kleber dem nicht folgen? Er wiederholte wenig elegant den Vorwurf, Herr Trichet habe die „Prinzipien eines Notenbankers verlassen, die Probleme in die Zukunft und auf den Nachfolger geschoben“. Herr Trichet blieb bei lateinischer Serenität und erläuterte die wesentlichen Perspektiven für die Zukunft des Euro. Alle langfristigen Transaktionen an den Kapitalmärkten und die damit zusammenhängenden Daten, z.B. langfristige Zinsen, deuteten derzeit auf ein zentrales Ergebnis: „Die Erwartungen für Preisstabilität des Euro sind für die nächsten 10 Jahre fest im Zielrahmen der EZB von unter, aber nahe an 2 % Jahresrate verankert.“

Dennoch fiel Herrn Kleber für die abschließende Frage nichts Besseres ein: „Beneiden Sie Ihren Nachfolger um sein neues Amt?“ Als habe Herr Trichet Herrn Draghi eine unzumutbare Bürde hinterlassen! Dieser Auftritt Klebers hat den Bürger-„Journalisten“ zu dem Versuch veranlasst, seine Dankbarkeit für die Leistung des EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet etwas ausführlicher darzulegen.

Journalisten und Wissenschaftler können ja reden, was sie wollen. Mitglieder unseres höchsten Staatsorgans, des deutschen Bundestags, die sich als Vertreter des Gemeinwohls darstellen, sollten sich allerdings hüten, durch Gerede von „EZB-Bad-Bank“ unser Vertrauen in die Stabilität des Euro und in die Unabhängigkeit der EZB zu zerstören. Solche Äußerungen gerade mancher Sozialdemokraten grenzen an Verantwortungslosigkeit. Vielleicht hatte Herr Kleber von dieser Seite Orientierung bezogen.

Vor diesem Hintergrund sind wir Bürger Bundeskanzler Helmut Schmidt für seine Rede dankbar, mit der er am 19. 0ktober in Frankfurt EZB-Präsident Trichet ehrte. Helmut Schmidt fand deutliche Worte: „Das Gerede von einer Krise des Euro ist leichtfertiges Geschwätz von Politikern und Journalisten.“ Und er benannte die eigentliche Krise, nämlich die „Krise der Handlungsfähigkeit der politischen Organe … Für die weitere Zukunft Europas ist das eine viel größere Bedrohung als die Überschuldung einiger Euro-Länder … Allein die EZB hat sich als handlungsfähig und als wirksam erwiesen.“ Dieses Urteil fällte der Staatsmann, der gemeinsam mit Staatspräsident Giscard d`Estaing die Grundlagen der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion schuf.

Das Gewicht dieses Urteils mag helfen, Bemerkungen über die EZB in einer Rede einzuordnen, die Bundespräsident Christian Wulff am 24. August 2011 hielt. „Mich stimmt nachdenklich … wenn die obersten Währungshüter … weit über ihr Mandat hinausgehen und massiv Staatsanleihen … aufkaufen … Ich sage es hier mit Bedacht, ich halte den massiven Aufkauf von Anleihen einzelner Staaten durch die Europäische Zentralbank für politisch und rechtlich bedenklich.“ (Hervorhebung, RS).

Belassen wir es nicht bei „Gewichtungen“, sondern nutzen die große Qualität der öffentlichen Kommunikation des EZB-Präsidenten Trichet.

„Massiver Aufkauf“. Präsident Trichet hat gerade diesen Sachverhalt der Öffentlichkeit mehrfach erläutert. Er wählte dazu die Perspektive des angemessenen Vergleichs zwischen der US-Notenbank und der EZB. Ankäufe von Staatspapieren erhöhen den Bestand der Forderungen einer Notenbank und damit deren Bilanzsumme. Seit Beginn der Krise habe sich die Bilanzsumme, so Trichets Vergleich, bei der EZB um 80 %, bei der US-Notenbank um 226 % erhöht. Damit unterstreicht Trichet, dass die EZB bei diesen geldpolitischen Operationen „verantwortlich, vorsichtig und umsichtig“ verfahre (vgl. FAZ-Interview mit G. Braunberger, St. Ruhkamp, 13.10.2011).

„Politisch und rechtlich bedenklich“. Bekanntlich kam es zum „Ankauf von Anleihen einzelner Staaten“ durch die EZB in folgender Situation: Erstens, sehr niedrige, unterhalb der Inflationsrate liegende Leitzinsen der EZB für Banken bei, zweitens, vollständiger Zuteilung des Liquiditätsbedarfs der Banken durch die EZB. Und dies erfolgte im Kontext spekulativer Verzerrung in der Bewertung von Staatsanleihen an den Finanzmärkten, während die Politik noch am Aufbau des EFSF-Rettungsschirms arbeitete.

Bereits fünf Monate, bevor der Bundespräsident seine Bedenken vortrug, hatte EZB-Präsident Trichet am 21. März 2011 vor dem Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments seine Auffassung zu solchen „politischen und rechtlichen“ Bedenken dargelegt (www. europarl.europa.eu … 1-043, 1-044. 1-056).

Zur europarechtlichen Beurteilung der Ankäufe von Staatsanleihen stellte Herr Trichet auf Frage des Abgeordneten Markus Ferber (EVP) fest: „Was wir tun ist selbstverständlich vereinbar mit dem Rahmen des Europäischen Vertrags. Dies ist überhaupt keine Frage. Dies ist, meines Wissens, natürlich die Beurteilung durch die Juristen der EZB, durch die Juristen des Europäischen Rates und durch die Juristen der Europäischen Kommission.“ Soviel zur angeblichen Überschreitung des Mandats der EZB.

Und zur „politischen“ Beurteilung der Anleihekäufe führte Herr Trichet auf Fragen der Abgeordneten Markus Ferber und Thomas Mann (EVP) aus: „Wir haben im Rahmen unserer Geldpolitik als Teil von geldpolitischen Sondermaßnahmen (wörtlich: „non-standard part of monetary policy“, RS) entschieden, dabei zu helfen, ein normaleres Funktionieren unseres geldpolitischen Transmissionsmechanismus wieder herzustellen. Und das ist der Grund, warum wir dieses Programm eingeleitet haben (Ankauf von Staatsanleihen, RS) – mit geldpolitischem Ziel, nicht mit dem Ziel der Finanzmarktstabilität. Es gibt (geldpolitische, RS) Standardmaßnahmen – Zinssätze – , die Preisstabilität liefern sollen, und Nicht-Standard-Maßnahmen in dem Umfang, wie die Krise zu Verwerfungen auf den Märkten geführt hat.“

Diese Ausführungen Präsident Trichets verdeutlichen: Die EZB wollte durch Ankäufe von Staatsanleihen den Markt beruhigen. Das sollte die Banken ermutigen, die ihnen von der EZB zu sehr niedrigen Leitzinsen zugeteilten Liquiditätskredite nicht in Sicherheitsreserven zu parken. Vielmehr sollte ein Klima der Beruhigung am Anleihemarkt helfen, dass die Geschäftsbanken den Zentralbankkredit ihrerseits in Form günstiger Kredite an die Wirtschaft und die Konsumenten weiterleiten. Das entspräche der von Herrn Trichet angesprochenen normalen, erwünschten Funktionsweise des geldpolitischen Mechanismus der Transmission von Kredit.

Wir Bürger müssen uns nun entscheiden, wie wir die Bedenken des Herrn Bundespräsidenten und die Erklärungen des Herrn Präsidenten der EZB werten. Dieser Bürger-„Journalist“ entscheidet sich, der Argumentation Herrn Trichets zu folgen. Dennoch bleiben die öffentlich geäußerten Bedenken des Bundespräsidenten Wulff bedeutsam, da sie der EZB vermitteln, wie wichtig ihre Kommunikation mit der Öffentlichkeit ist.

Herr Trichet hat sich jedoch auf diesem Gebiet kein Versäumnis vorzuwerfen. Im Gegenteil: Wer sich mit seinen öffentlichen Stellungnahmen und Reden beschäftigt hat, kann für diese glasklare Kommunikation zur Geldpolitik nur Hochachtung empfinden. Präsident Trichets Dialog mit der Öffentlichkeit Europas erwies sich in der Krise als Anker der Stabilität und des Vertrauens in unsere Währung! Einige Belege für dieses Aussage möchte ich anführen.

In seiner Abschiedsrede am 19. Oktober hat Präsident Trichet noch einmal auf die Bedeutung des „seit Beginn der Finanzmarktturbulenzen am 9. August 2007“ angewendeten „Separationsprinzips“ hingewiesen: „Der EZB-Rat … trennt zwischen den Standardmaßnahmen, also den Zinssätzen, die der Gewährleistung von Preisstabilität auf mittlere Sicht dienen, und den Sondermaßnahmen, die in Zeiten der Marktstörungen dazu beitragen sollen, wieder eine bessere Transmission unserer regulären Maßnahmen herzustellen … Seit Ausbruch der Krise sehe ich Parallelen zwischen den Qualitäten, die von einer Zentralbank erwartet werden, und den zwei ethischen Tugenden, die Max Weber vor fast einem Jahrhundert formulierte, nämlich die Gesinnungs- und die Verantwortungsethik. So lassen sich meiner Auffassung nach die geldpolitischen Standardmaßnahmen mit der Gesinnungsethik und die Sondermaßnahmen mit der Verantwortungsethik in Verbindung bringen. Von ebenso großer Bedeutung ist die Wahrung der Integrität zwischen Absicht und Handlung sowie zwischen Handlung und Konsequenzen. Mit unserem „Separationsprinzip“ kann dies gewährleistet werden.“

Immer wieder hat Herr Trichet öffentlich vor der Aufweichung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes gewarnt, die wesentlich zur gegenwärtigen Staatsschuldenkrise beitrug. Dieser Pakt sei „essentieller Bestandteil der Wirtschafts- und Währungsunion. Er kompensiert die Abwesenheit einer europäischen Regierung und eines europäischen föderalen Budgets, und daher sichert er die Kohäsion in einem Gebiet mit einheitlicher Währung. Deshalb bestehen wir darauf, dass er streng angewendet werden sollte. Das wünschen auch die Menschen, die heute kein großes Vertrauen in die Budgetpolitik einer Reihe von Ländern setzen. Wenn Vertrauen schwindet, konsumieren die Menschen weniger aus Angst vor künftigen Steuern, aus den gleichen Gründen investieren die Unternehmen nicht genug. Vernünftiges Management der öffentlichen Finanzen stärkt in mittelfristiger Sicht das Vertrauen, fördert das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigung.“ (Die Welt, La Stampa, Libération; 24. November 2005!).

Beim Führungstreffen Wirtschaft am 17. November 2011 würdigte Bundeskanzlerin Merkel einen weiteren verdienstvollen Rat Präsident Trichets an die europäische Politik. „Jean-Claude Trichet, ehemaliger EZB-Präsident, hat oft erzählt, wie er in die Sitzungen der Finanzminister immer wieder mit Gehaltssteigerungslisten im öffentlichen Raum gekommen ist, denen stark divergierende Lohnentwicklungen in Europa zu entnehmen waren. Er hat immer gesagt: Das wird nicht gutgehen; ihr werdet sehen, dass ihr da auf Spannungen stoßt, die eines Tages irgendwo zu einer Entladung kommen. Wir beschäftigen uns inzwischen selbst damit.“ Das heißt, „die Staats- und Regierungschefs befassen sich mit der ökonomischen, mit der Wettbewerbssituation persönlich.“ (www.bundeskanzlerin.de/nn_683608/Content/DE/Rede/2011/11/2011-11-17-merkel-sz.html)

Herr Trichet hat nicht nur rechtzeitig vor Fehlentwicklungen in der Eurozone gewarnt. In seiner Rede zur Verleihung des Karlspreises der Stadt Aachen im Juni 2011 unterbreitete er den Vorschlag, die europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik zusammenzuführen. Präsident Trichet fragte: „Wäre es zu kühn, sich eine Union vorzustellen, die nicht nur einen gemeinsamen Markt, eine gemeinsame Währung und eine gemeinsame Zentralbank hat, sondern auch ein gemeinsames Finanzministerium?“

Wesentliche Aufgabe eines solchen „europäischen Finanzministeriums“ wäre die Aufsicht über Haushaltspolitik, Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschaftspolitik und den integrierten Finanzsektor der Union. Da „eine unsolide Politik in einem Land .. zu einer Krise in einem anderen Land führen“ kann, sollte auch die Befugnis, Entscheidungen zur Korrektur von Fehlverhalten durchzusetzen, in solche europäische Zuständigkeit fallen. Damit würde der wirtschafts- und finanzpolitischen „Interdependenz“ in der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion entsprochen.

Anerkennend stellte Herr Bundesminister Hans-Dietrich Genscher fest, dass Bundeskanzlerin Merkel und Staatspräsident Sarkozy diesen Gedanken Trichets aufgegriffen haben und für eine europäische Wirtschafts- und Finanzunion eintreten (DLF, 06.09.2011).

Am Ende seiner acht-jährigen Amtszeit zeigte uns EZB-Präsident Trichet, wem er sich verpflichtet fühlte: „Die Bürgerinnen und Bürger Europas haben uns auf länder- und parteiübergreifender Grundlage den Auftrag zur Gewährleistung von Preisstabilität erteilt, und sie haben uns zur Erfüllung dieser Aufgabe mit Unabhängigkeit ausgestattet. Indem wir diesen Auftrag erfüllen, stehen wir treu zum demokratischen Willen der Mitgliedstaaten.“

Und Herr Trichet legt uns Rechenschaft über die „Errungenschaften des Euro als Währung“ ab: „Seit nahezu 13 Jahren liegt die durchschnittliche jährliche Inflation in einem Gebiet mit 332 Millionen Einwohnern bei 2 %; und dies, obwohl weltweit eine Reihe großer wirtschaftlicher und finanzieller Schocks verzeichnet wurde… In Deutschland betrug die durchschnittliche jährliche Teuerungsrate über die 13 Jahre hinweg 1,6 % und war somit niedriger als vor der Euro-Einführung. Ebenso wichtig sind niedrige Inflationserwartungen. Der EZB-Rat hat dafür gesorgt, dass die Preisstabilität für die nächsten zehn Jahre sehr fest verankert ist und voll und ganz mit unserer Definition von unter, aber nahe 2 % im Einklang steht.“ (Rede von Jean-Claude Trichet, Präsident der EZB, Frankfurt am Main,19. Oktober 2011).

Das ist die Leistungsbilanz, die der EZB-Präsident vorweisen kann.

Diese Bilanz, die Persönlichkeit Präsident Trichets und seine Leistung, hat Bundeskanzler Helmut Schmidt am 19. Oktober in Frankfurt gewürdigt. Und dann wandte er sich an Jean-Claude Trichet: „Hier spricht einer, der Ihnen dankbar ist.“

Helmut Schmidts noblen Worten können Europas Bürger, für die der Euro gesetzliches Zahlungs- und Wertaufbewahrungsmittel ist, aufrichtig zustimmen. Auch dieser Bürger-„Journalist“ möchte seine Dankbarkeit zeigen. Die eigenen Worte reichen dafür nicht. Angemessen erscheinen mir Gruß und Glückwunsch eines fernen Volkes von Fischern und Seeleuten, um ganz außergewöhnliches Handeln zu ehren: „Salut Maître, Salut Maître!“

(Frederick Forsyth, The Emperor)