Politische Triangulation.

Die Bundeskanzlerin „kam ungeschoren davon“ (G. Bannas, FAZ, 16.11.11); denn die CDU ist „eine Partei im politischen Koma“ (P. Müller, Der Spiegel, 15.11.11).

Dazu der Dauervorwurf: „nihilistische Beliebigkeit“ (M. Lohmann, Domradio, 15.11.11). Die Liste der Kritik an den „Kehrtwenden“ der Kanzlerin ließe sich beträchtlich verlängern. Das sollte die SPD nicht beruhigen.

Dies alles geht nämlich am Kern des CDU-Parteitags vorbei. Denn hier wird eine politische Strategie erkennbar, die Kernideen der New Labour Tony Blairs aufgreift. Mit dem Ziel, wie Tony Blair, die dritte Wahl in Folge zu gewinnen.

Einige New Labour-Klassiker tauchten schon auf: Sagte nicht Angela Merkel, „Ich bin konservativ, liberal und sozial“? Und Ursula von der Leyen: „Es gibt keine rechte oder linke Politik, nur richtige oder falsche“. Auch Tony Blairs Umgang mit der Partei erkennt man wieder: Wahlen entscheiden die Wähler, nicht die Delegierten. Wenn ihr einen Parteiführer gewählt habt, dann lasst ihn auch führen.

Und genau das tat Frau Merkel: „Atomkraft, Wehrpflicht, Mindestlohn, Schulreform – überall gab es kein Werben, sondern klare Ansagen … und das gilt auch für den .. Weg zur Rettung des Euro.“ (B. Kohler, FAZ, 14.11.11). Wer dabei nicht mitkam, blieb eben zurück. G. Bannas schätzt die Zahl der von den „Kehrtwenden“ Abgehängten: „Großzügig gerechnet … ein Viertel der Delegierten“. Damit kommt Frau Merkel voran. Womit kommt sie voran?

Eine denkfaule Antwort der Opposition könnte diese Frage mit den geläufigen Schlagworten beantworten: „Wahlopportunismus“, „Machtgier“, „Machiavellismus“. Weiter denkende SPD-Strategen werden solchen Kurzschlüssen nicht verfallen. Denn die scheinbare „Beliebigkeit“ der „Kehrtwendungen“ lässt sich zu einer Strategie „politischer Triangulation“ zusammenfügen.

Einer der frühen Praktiker von Triangulation, Bill Clintons Berater im Wahlkampf 1996, Dick Morris, hat diese politische Strategie so definiert: „Nimm das Beste aus der Agenda jeder Partei (übertragen auf Deutschland: rechtes vs. linkes Lager, RS), und suche die Lösung oberhalb der Parteipositionen.“ Angestrebt wird also nicht Konfrontation des anderen politischen Lagers, sondern Werben um eine Mehrheit von Wechselwählern und Wählern der „Mitte“.

Morris kalkulierte, dass man damit den „Biss“ des politischen Gegners „zahnlos“ macht („defang them politically“). Das „Beste aus der Agenda“ beider Lager bzw. die „Lösung oberhalb der Parteipositionen“ ist durch die Präferenzen bzw. Zukunftsinteressen von Wählern beider (!) Lager bestimmt (politicaldictionary.com).

Tony Blair und Gerhard Schröder haben diese Idee adaptiert. Gerhard Schröder hatte um die „solidarische Mitte“ geworben und zugesichert, nicht alles anders zu machen, sondern vor allem bessere, zeitgemäße Politik umzusetzen. Wer Frau Merkel nicht unterschätzt, wird vermuten, dass nach der „Triangulation“ auf dem Leipziger Parteitag ein Wahlprogramm „aus einem Guss“ folgt.

Soviel zur CDU und der Kanzlerin Merkel. Währenddessen Schweigen bei der SPD. Wo bleiben beherzte Attacken? Sollte im intellektuellen Umfeld der führenden Oppositionspartei das derzeit modische „Changieren, Oszillieren, Nuancieren“ um sich greifen? Das zupackendes Handeln verhindert? Oder deutet das Schweigen auf harte Programmarbeit?

Jedenfalls freut es, wenn sich Bundeskanzler Gerhard Schröder mit zwei starken Impulsen meldet:

Erstens: „Der Rat an meine eigene Partei ist, die Agenda 2010 (Leitbild: Wirtschaftliche Modernisierung und Gerechtigkeit, RS) als eigenes Projekt zu begreifen und auch als solches in der Öffentlichkeit zu vertreten. Hätte sie das von Anfang an in aller Entschiedenheit getan, wäre sie heute die stärkste und erfolgreichste sozialdemokratische Partei in Europa.“ (Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, VBW Magazin, August 2011).

Zweitens: Zur Kanzlerkandidatur. „Die SPD hat drei fähige und gute Kandidaten dafür … Der Vorsitzende wird eine weise Entscheidung treffen. Ich bin nur dafür, dass das möglichst schnell geschieht. Politik lässt sich am besten durch Personalisierung vermitteln. Dort die Kanzlerin – hier der Kanzlerkandidat der SPD“ (BILD).

Wird die SPD weiter im Dreieck ihrer Kanzlerkandidaten springen oder bald den Richtigen triangulieren? Nostalgisch wird Gerhard Schröders entschiedene Haltung vermerkt.