Globales Denken und Doppelpass.

Am 10. November ging es im Deutschen Bundestag zur Sache und um die „doppelte Staatsbürgerschaft“.

´Entweder-Oder` hieß es bei Schwarz-Gelb, ´Sowohl als Auch` auf der linken Seite des Parlaments.

Beiden Seiten gemeinsam mangelte es nicht an Heuchelei. Symbolpolitik schien manchmal wichtiger als praktische Politik für Integration.

Manchen Bürger hätte die folgende Frage interessiert: Können „Doppelpässe“ nicht helfen, unsere wirtschaftlichen Beziehungen mit vielen Ländern außerhalb der Europäischen Union zu erleichtern und zu intensivieren? Wie denken z.B. unsere 80 Tausend türkischen Unternehmer darüber? Ist die Möglichkeit mehrfacher Staatsangehörigkeit nicht geeignet, die wirtschaftlichen Chancen der Globalisierung  besser zu nutzen? Doch darüber war nichts zu hören.

Statt dessen schwarz-gelbes Kästchen-Denken: Loyalitätskonflikte – kein erfreulich klingender Generalverdacht. Ein MDB spickte seinen Satz gleich dreimal mit dem feierlichen Wort „Loyalitätsbande“, die wohl durch zwei Pässe reißen könnten. Einem anderen schien staatsbürgerliche Bindung an einen und nur einen Staat so wichtig, dass zwei lebenswichtige Organe bemüht wurden – „Kopf und Herz“ reichen bei diesem Abgeordneten nur für ein Vaterland.

Bei so viel Pathos konnte Heiterkeit nicht ausbleiben. MdB Florian Pronold fragte, wie hatte wohl Otto von Habsburg (1912 – 2011) den vierfachen Loyalitätskonflikt im Europäischen Parlament zum Wohle Bayerns und der CSU aushalten können?

Wir erinnern uns dankbar: Wie oft durften wir uns über die geistreichen politischen Kommentare, den Humor, das ungeheure historische Wissen dieses Weltbürgers  freuen! Und dies alles schaffte er mit deutschem, österreichischem, ungarischem und kroatischem Pass! Natürlich wurde den um Loyalität besorgten MdB`s der Union auch der deutsch-britische Ministerpräsident Niedersachsens, David McAllister, nicht erspart.

Doch ganz so uneigennützig, wie von der Opposition vorgegeben, erschien ihr vehementer Meinungswechsel vom „Entweder-Oder“- Optionsmodell hin zum Recht auf Doppelpass auch nicht gerade. Wahlen werfen eben ihre Schatten voraus.

Recht erhellend für die politischen Motive hinter der Debatte sind Zahlen der Wahlforschung zu Parteipräferenzen von „Personen mit Migrationshintergrund Türkei“ aus dem Jahr 2009 (vgl. Deutschland-Zoom, 28.05.2010; Andreas Wüst, dw-world Migranten). Danach stellt sich deren Bindung an Parteien so dar: SPD (38%), Die Linke (15%), Grüne (13%), Union (4%), ohne Parteibindung (30%; 2002 noch 50%).

Kein Wunder, dass eine in diesem Wählerpotential derart chancenlose Union sich nicht um dessen Ausweitung bemüht. Während bei der Opposition das Gegenteil der Fall ist. Außerdem verschärft sich der Wettbewerb um rund 700 Tausend Wahlberechtigte mit türkischen Wurzeln. Seit 2002 ist der Anteil, den hier „Die Linke“ erreicht, von nahe Null auf 15% gesprungen! Bei knappem Wahlausgang zwischen den politischen Lagern kann durch diese Wählergruppe die Entscheidung fallen, wie bei der Bundestagswahl 2002 (Vgl. welt.de, Parteipräferenzen…, 17.03.2009).

Zurück zur Debatte im Bundestag. Nehmen wir Frank-Walter Steinmeier ab, dass es ihm um die Menschen geht, die bei einer zwangsweisen Entscheidung zwischen zwei Staatsbürgerschaften einen „Identitätskonflikt in sich spüren.“ Und dass er deshalb für die Möglichkeit doppelter Staatsbürgerschaft eintritt.

Diese Position des Oppositionsführers regt zu folgender Überlegung an: Wenn das „Kästchendenken“ auf der hoheitlichen Ebene der Staatsangehörigkeit überwunden werden kann, warum dann nicht auch in manchen Bereichen der Zivilgesellschaft? Besonders dort, wo sozialliberal denkende Bürger den „Identitätskonflikt in sich spüren“ (Steinmeier). Und zwar umso schmerzhafter, je lauter z.B. Ottmar Schreiner, Michael Sommer oder Andrea Ypsilanti sich bemerkbar machen.

Demokratische Parteien, helft ihm doch, dem besorgten Bürger! Helft ihm mit der Möglichkeit einer doppelten „Partei-Angehörigkeit“! Sein Identitätskonflikt könnte geheilt werden. Zum Loyalitätskonflikt käme es nicht; denn er will kein Amt, er verhält und äußert sich nicht parteischädigend. Er ist nur bereit, doppelte Beiträge zu zahlen für ein wenig mehr Bandbreite in der Information und Diskussion. Keinesfalls würde er Gesprächspartnern die doppelte Identität verheimlichen.

Lassen sich die Partei-„Kasernen“ öffnen? In einem ersten Schritt wie bei den französischen Sozialisten, die bei der Nominierung ihres Kandidaten für das Amt des Staatspräsidenten auch Nicht-Mitglieder entscheiden ließen? Vielleicht später wie bei den Demokraten in den USA? Ist dies Hoffen auf Modernisierung zu viel verlangt? Warum konnte Sigmar Gabriel seine Vision, dem Beispiel der französischen Freunde zu folgen, nicht verwirklichen? Zu viel Sektierertum?