Mehr Demokratie – danke, Herr Dr. Gysi!

Gestern, am 9. November, wird Herr Gysi Reste der Berliner Mauer aufgesucht und in stillem Gedenken über sein Leiden in der DDR reflektiert haben.

Wie er sich als Wissenschaftler an der „Vervollkommnung und Verwirklichung sozialistischen Rechts“ abarbeitete. Wie er seit früher Jeunesse dorée in der SED wirkte, um das System „von innen heraus“ zu demokratisieren.

Aus diesem Wirken wird er die Kraft geschöpft haben, im September 1989 als Vorsitzender des DDR-„Kollegiums“ der Rechtsanwälte mit seinem Kollegen Dr. Wolfgang Vogel nach Prag zu reisen. Dort sollen beide Herren die DDR-Flüchtlinge, die Schutz in der Botschaft der Bundesrepublik gesucht hatten, aufgefordert haben, in die Heimat zurückzukehren (wikipedia).

Jahrzehnte lang hat er mit geballter Faust in der Hosentasche zusehen müssen, wie 99,9% der Wählerstimmen in der DDR seiner SED etc. zugeschlagen wurden. Daran muss er gestern – noch immer von diesem Erleben traumatisiert – gedacht haben. Aber Gregor Gysi wäre nicht der Gregor Gysi, wie wir ihn kennen lernen durften, wenn es dabei geblieben wäre.

Fröhlich, fit und kregel, zu früher Stunde heute morgen im Deutschlandfunk, missversteht er  – natürlich nicht nur scheinbar, sondern bewusst – die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts, das die in der Bundesrepublik geltende 5%-Hürde für die Wahl zum Europäischen Parlament verworfen hatte.

Nun sucht er nach Wegen, hier und jetzt die deutsche Demokratie zu „vervollkommnen“. Und – gelernt ist gelernt – dies durch einen „Rechtsverwirklichungsprozess“ (so heißt es im Titel seiner Dissertation). Also kündigt er an, seine Heutige, „Die Linke“, werde juristische Wege prüfen, auch für alle Wahlen in der Bundesrepublik die 5%-Klausel abzuschaffen. Und für mehr Volksentscheide ist er ohnehin.

Entwaffnend offen sagt er uns, mehr Demokratie zu wagen, sei jetzt besonders dringend. Da „Die Linke“ so hoch über der 5%-Hürde schwebe, sei es glaubwürdig, wenn diese Reformen von ihr angestoßen würden. Man stelle sich vor, solche Initiativen kämen von der 3%-FDP. Und SPD und CDU seien ohnehin die größten Profiteure schamloser Aneignung von Wählerstimmen für Kleinparteien; keine demokratischen Impulse seien von denen zu erwarten.

Dennoch – er scheint schon wieder aus dem Fundus seiner früh trainierten „Fertigkeiten“ zu schöpfen. Das heißt z.B., so merkt er im DLF an, „die Stimmung in der Gesellschaft“ zu wittern. Wie früher bei Zentralkomitee und Politbüro. Da fiel er uns zum ersten Mal im TV auf, als er zur Zeit von Honneckers Rücktritt in jenem Dunstkreis geschäftig seine Runden drehte, um die Stimmungslage zu wittern. Wittert er jetzt kommenden Unrat für „Die Linke“?

Keine Frage, Gregor Florian („Verschon mein Haus, zünd andre an“) Gysi ist einer der parteipolitischen Großmeister seiner Generation.