Bar jeder Vernunft

… könnte als Ehrentitel vielen Kneipen, wichtigen Orten derzeitiger linker politischer Debatten um das Wahljahr 2013, verliehen werden.

Wechselt man vom Ort zum Inhalt, oder – um mit Helmut Kohl zu sprechen – zu dem, was hinten raus kommt, könnte „Bar jeder Vernunft“ allerdings auch stimmen.

Sicher sehen das nicht wenige Sozialliberale so, die Gerhard Schröders Ansicht teilen: „Die deutsche Sozialdemokratie wäre heute die stärkste in Europa, wenn sie die Kraft gefunden hätte zu sagen: Die Agenda 2010 war richtig“*)

Peer Steinbrück hat für seine Kanzlerkandidatur am 9. Dezember in Hannover mit einer großen Rede geworben – würdig der 150 Jahre politischen Ringens deutscher Sozialdemokratie für die Werte Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität.

Was im politischen Geschäft jedoch zählt, hat Herr Gabriel heute im Deutschen Bundestag klar gestellt: Eine von Herrn Trittin vorgegebene steuerpolitische „Finanzrepression“, wie wir sie in der Bundesrepublik bisher noch nicht gesehen haben. Und – bizarr – die Dauer-Attacke auf „Banken“. Obwohl dem Kanzlerkandidaten Steinbrück der Fall West-LB mit Milliarden-Kosten für den Steuerzahler anhängt, was die Regierungsparteien wieder weidlich ausgenutzt haben.

Aber es ist gar nicht der politische Gegner, der Peer Steinbrück die schwersten „Wackersteine“ in den Weg zur politischen Mitte wirft. Dafür sorgen renommierte Parteifreunde.

Kaum war Peer Steinbrück als Kandidat gekürt, trat sein Freund Herr Stegner vor die Kameras. Mit drohendem Blick bekräftigte er den SPD-Linkskurs: „Wir (!) werden in keine Regierung eintreten, die nicht …“ Und dann folgen die Wackersteine: gesetzlicher flächendeckender Mindestlohn, Vermögenssteuer etc., etc., kurz alles, was dem deutschen Mittelstand schaden kann.

Und dann erst die Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, fröhlich wie sie sich selbst sieht,**):

Zur Kandidatenkür: „An der Sturzgeburt war ich nicht direkt beteiligt“. Die Interviewer fragen, wann Sigmar Gabriel um Frau Krafts Meinung bat, „was Sie von einem Kanzlerkandidaten Steinbrück halten?“ Hannelore Kraft trocken: „Die Details lassen wir im Kreis der Parteiführung.“

Zur angedrohten Steuerpolitik von Rot-Grün: „Wenn wir auf immer mehr Steuereinnahmen verzichten, können wir die Schuldenbremse nicht einhalten … (Die) verpflichtet die Länder, von 2020 an keine neuen Schulden mehr zu machen.“ Interessant, dass Frau Kraft sich neuerdings zur Schuldenbremse bekennt, die sie bisher abgelehnt oder relativiert hat. Der deutsche Sparer kann bei ihren Worten zu Rot-Grün alle Hoffnung fahren lassen. Solche Finanzrepression mit negativen Realzinsen mindestens bis 2020 – da bleibt nichts nach.

Zum Wahlziel 2013 sagt uns Frau Kraft: „Rot-Grün. Gleichzeitig ist es richtig, keine Ausschließeritis zu betreiben.“ Dann wird es wieder interessant. „Schnittmengen“ für gemeinsames Regieren mit FDP oder „mit Teilen der Union“ – da kann Frau Kraft „wenig .. erkennen.“ Aber mit ihrer NRW-Erfahrung einer Tolerierung durch die LINKE – da scheint Frau Kraft im Bund nur den „damit verbundenen höheren Abstimmungsbedarf“ als störend zu empfinden.

Was mag denn die LINKE von solchen Strategien gegen „Ausschließeritis“ halten? Derzeit wird ja in der SPD von Peer Steinbrück und Gerhard Schröder noch unfroh reagiert, wenn von Rot-Rot-Grün die Rede ist.

Welches Interesse sollte denn die LINKE an einem Berliner Tolerierungs-Modell nach NRW-Muster haben, wenn sie wegen der rot-grünen Regierungshoffnung unter Quarantäne gestellt wird? Wird sie sich mit der Rolle als stille Reserve von Rot-Grün bescheiden?

Unterschätzt nicht die strategische Intelligenz der LINKEN. Die wird nämlich nicht an den Berliner Orten der Bar jeder Vernunft gepflegt, sondern vor allem an der Saar. Wird da nicht registriert, dass sich die LINKE bei Tolerierung einer Regierung Merkel direkt aus der Quarantäne in die politische Mitte katapultieren könnte?

Achtet mal bei Debatten im Deutschen Bundestag auf die launig-freundlichen Zuruf-Dialoge zwischen Volker Kauder und Gregor Gysi! Auch wenn sich solche politischen Romanzen nicht erfüllen, umso höher wird der Preis, den eine rot-grüne Minderheitsregierung an die LINKE zu entrichten hätte.

So gehen die politischen Diskussionen der ungezählten Wahlstrategen für das Jahr 2013 hin und her, Stunde um Stunde, Runde für Runde, an den vielen Orten der Bar jeder Vernunft.

*) Diese Auffassung, hier schon einmal referiert, hat Herr Schröder kürzlich mit den zitierten Worten in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ bekräftigt. Siehe DTS-Meldung vom 24.11.2012, Schröder wünscht sich SPD-Bekenntnis zu Agenda 2010.

**) „An der Sturzgeburt war ich nicht direkt beteiligt“, Interview mit Hannelore Kraft von Kristian Frigelj und Jochen Gaugele, Welt.de, 12.12.2012.