Salva Italia …

Was wird aus dem Sanierungsprogramm des Ministerpräsidenten Mario Monti?

Hoffnungen richten sich auf einen ehemaligen Kommunisten: Pier Luigi Bersani, 62 Jahre, Vorsitzender der Partito Democratico (PD).

Deutschen Bürgern wird solche Botschaft zunächst nicht die Sorge vor finanziellen Belastungen und einer erneuten Verschärfung der Krise im Euroraum nehmen. Zumal die italienische Politik immer wieder einem von Jean Cocteau eigentlich für die Kunst reservierten Grundsatz folgt: „Überraschen Sie mich!“

So grüßen aus Italien Nachrichten wie die von der Rückkehr des „Cavaliere“ Silvio Berlusconi. Oder die von politischen Erfolgen eines Starkomikers und -bloggers namens Beppe Grillo und dessen Politikprotest: Den „Vaffanculo-Day“ (nach V(ictory)-Day; s. Götz von Berlichingen) und die Partei „MoVimento 5 Stelle“, die bei Kommunalwahlen punktet, hat er ins Leben gerufen.

In der Großstadt Parma hat Grillos Partei gut 60 % geholt und stellt seit Mai 2012 mit Federico Pizzarotti den Bürgermeister. Der 38-jährige Informatiker wird durchaus erfrischend beschrieben: Mit Klapprad angeradelt, erzählt er Journalisten, dass er zwar keine Ahnung von Politik, aber dafür Lebenserfahrung habe. Und die sagt ihm und uns: „Bevor wir Millionen für ein Projekt ausgeben, müssen wir die Bürger konsultieren und übereinkommen, dass wir dies Projekt wirklich durchführen wollen.“*) Transparenz statt Politik im Hinterzimmer. Die „5 Sterne“-Partei Grillos hält derzeit mit 20% den zweiten Platz in den nationalen Wahlumfragen.

Parma liegt in der italienischen Region Emilia-Romagna, der Heimat von Pier Luigi Bersani. Das heißt, der als Sohn eines Mechanikers geerdete, studierte Philosoph und Experte für Industrie- und Wirtschaftspolitik ist von Haus aus: Automann (Ferrari, Lamborghini, Maserati), Motorradmann (Ducati, Moto Morini), Kenner der Fabriken für Pumpen und Industrie-Reiniger und der Lebensmittelindustrie, vom Parmaschinken bis zum Balsamico-Essig.

Der Berufspolitiker Bersani kennt also die italienische Wirtschaft und hat sie als Minister gefördert. In zwei Regierungen unter Ministerpräsident Romano Prodi (1996-1998, 2006-2008) und einer Regierung unter Massimo D`Alema (Oktober 1998 – April 2000). Profunde Sachkunde und auf Privatisierung, Marktliberalisierung und Förderung des Wettbewerbs gegen privilegierte Kartelle gerichtete Industrie-, Wirtschafts- und Verkehrspolitik zeichneten den Minister Bersani aus.

Die Parteien-Allianz aus Bersanis PD und der linksradikalen Ökologie-Partei SEL (Sinistra Ecologia Libertà) unter Nichi Vendola, ebenfalls Ex-Kommunist, hat etwas Ungewöhnliches zustande gebracht. Bersanis Freund Sigmar Gabriel wollte dies auch, wurde aber von seiner lokal verbonzten SPD daran gehindert. Was ist da geschehen?

Ecco – als Parteienallianz haben PD und SEL mehr als 3 Millionen Sympathisanten mobilisiert, um in zwei Primär-Wahlgängen den Kandidaten dieses Parteienbündnisses für das Amt des Ministerpräsidenten der Republik Italien zu bestimmen. Vendola erreichte mit 15% die zweite Runde nicht, in der sich Bersani dem 37-jährigen PD-Bürgermeister von Florenz, Matteo Renzi, gegenüber sah.

Matteo Renzi ist ein aufstrebender Politikstar, „auf den Schrottplatz“ mit der alten Garde sein Schlachtruf gegen Bersani. Tony Blairs „Drittem Weg“ zwischen sozialistischer Linker und sozialem Liberalismus verbunden, tritt er für eine moderne aktive Arbeitsmarktpolitik ein. „Flexicurity“ und „outplacement“ – d.h. verminderter Kündigungsschutz in Kombination mit besonders intensiver Unterstützung Arbeitsloser bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz oder einer selbständigen Perspektive – sind Elemente seines „serio programma“**) für Abbau der Staatsschulden und für wirtschaftliche Modernisierung.

Nichi Vendola und die übrigen Verlierer der ersten Runde haben sich Matteo Renzi in den Weg gestellt, indem sie ihre Anhänger aufriefen, in der Stichwahl für Bersani zu votieren. Das mag beigetragen haben zu dem klaren 61%-Sieg Bersanis, eines Mannes, „von dem die meisten Italiener ohne Zögern einen Gebrauchtwagen kaufen würden. Auch politische Gegner halten ihn für verlässlich und unbescholten.“***).

Die PD-SEL-Allianz erreicht in Wahl-Umfragen derzeit etwa 36% Zustimmung. Sollte sich nach Jahren des dominanten Cavaliere-Irrlichts bei den Italienern eine Erkenntnis verfestigen, die Romano Prodi formulierte? Berlusconi habe „die politische Kultur korrumpiert … es an jenem Sinn für Ethik und Strenge fehlen lassen, den ein Land immer benötigt … Auch das schlechte Vorbild im persönlichen Umgang hat Italien wirtschaftlich enorm geschadet. Sie können sich kaum vorstellen, wie mein Land, in dem so viele ernsthafte und rechtschaffene Menschen leben, sich durch dieses Verhalten gegenüber dem Ausland erniedrigt fühlte.“ ****)

Nun steht spätestens im Frühjahr 2013 die Wahl für das Parlament der Republik Italien an. Nicht nur die Finanzmärkte, auch viele deutsche Bürger sind besorgt, ob das Ergebnis Stabilität und Kontinuität der Politik Montis erwarten lässt.

Pier Luigi Bersani steht dem Denken François Hollandes und Romano Prodis nahe.**) Dieses Denken geht bekanntlich in die Richtung stärkerer gemeinschaftlicher Haftung für die Staatsschulden Europas. Prodi sieht das so: „Deutschland ist das führende Land in Europa und würde ohne den Euro viel verlieren. Deutsche Unternehmer wissen, dass die Italiener und Franzosen nicht vergessen haben, wie man abwertet.“ *****)

Wünschen wir den politisch Verantwortlichen in Deutschland bei solchen Tönen eiserne Nerven. Und dieser Bürger mobilisiert alle Zuneigung zu Italien und seinen Menschen aus Ressourcen früher Jugend: Eskapismusgedanken, wenn in Nordstemmen der Zug nach Rimini hielt. Das Lachen mit Salvatore und Enrico in der Tapetenfabrik Emmerke vor 50 Jahren. Wenn sie beim Nähern eines besonders ungeschlachten und unleidlichen deutschen Kollegen flüsterten: „Fare attenzione, Annibale!“

*) Parma testing ground for people politics in Italy. By Alan Johnston, BBC News, 15 August 2012.

**) www.repubblica.it/static/speciale/2012/primarie-pd/candidati/

***) Pier Luigi Bersani peilt die Monti-Nachfolge an; derstandard.at, 3. Dezember 2012.

****) Romano Prodi, Interview Christoph Heinemann, dradio.de, 02.12.2011.

*****) EurActiv.de, Mittwoch 24 Oktober 2012 – Europa 2020 und Reformen, Interview mit Romano Prodi.