Besatzer-Party.

Kürzlich im TV: Für ein Interview wurde der Leiter einer ostdeutschen Behörde gesucht. Auskunft: „Der ist weg. Bei der Besatzer-Party.“

Auch drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall sollte man sich nicht wundern, wie aus Westdeutschland kommende Führungskräfte in den neuen Bundesländern vielfach wahrgenommen werden.

Die rhetorischen Anregungen für solche Sicht kommen nicht nur aus der SED/PDS/LINKEN und ihren radikalen antikapitalistischen Arbeitsgemeinschaften: “Annexion der DDR, Kohls Coup des DDR-Anschlusses“. *1)

Auch für Matthias Platzeck, seinerzeit SPD-Ministerpräsident in Brandenburg, war die Wiedervereinigung von westdeutscher “Anschlusshaltung“ geprägt. Eine wohlüberlegte Feststellung Platzecks, „womöglich benutzte der Ministerpräsident diesen Terminus in Anlehnung an die Einverleibung Österreichs durch das nationalsozialistische Deutschland im Jahre 1938. Diktator Adolf Hitler hatte diesen Schritt damals „Anschluss“ genannt.“ *2) 

Rechtzeitig kam also Platzecks Anschluss-Begriff für die Besatzerpartys zum 20. Jahrestag der Unterzeichnung des “Vertrags zur deutschen Einheit“ durch Bundesinnenminister Schäuble und DDR-Staatssekretär Krause. Großer Beifall für Platzeck von Bodo Ramelow, Wessi, damals schon Mitglied der Linkspartei, heute oberster Besatzer — Entschuldigung! — Ministerpräsident von Thüringen.

Denn Platzeck hatte seine Anschluss-Rhetorik kräftig gewürzt: „gnadenlose Deindustrialisierung Ostdeutschlands. Es fehlten selbst kleinste symbolische Gesten gen Osten“. *2)

Folgt man dagegen den Berechnungen der Forschungsinstitute DIW oder ifo *3), so sind trotz Platzecks Anschluß-Abrechnung zwischen 1991 und 2013 als “kleinste symbolische Geste gen Osten“ (Platzeck) Nettotransferzahlungen von West- nach Ostdeutschland in Höhe von immerhin mindestens 15oo Milliarden Euro festzuhalten. Das entspricht fast der Hälfte der gesamten jährlichen Wirtschaftsleistung des heutigen Deutschlands bzw. fast der Höhe der in 2018 von Arbeitgebern an Arbeitnehmer gezahlten Bruttolöhne und -gehälter.

Damit kein Missverständnis aufkommt: Die Einheit musste schnell vollzogen werden, weil die Menschen in der DDR dies wollten und weil die Entwicklung in der UdSSR nicht abzusehen war. Dabei sind sicher Fehler passiert. Aber auch ostdeutsche Sachkenner der DDR-Wirtschaft sahen wenig mehr als von der SED-Führung abgewirtschaftete Unternehmen ohne Perspektiven auf westlichen Märkten. 

Und hätten die Transfers das Doppelte betragen, sie wären dennoch geleistet worden. Denn — um der Anschluß-Abrechnung Platzecks zu entgegnen — hier eine andere Sichtweise. Der Bundesfinanzminister Theo Waigel, der zur Zeit der Wiedervereinigung amtierte: „Wenn dein Bruder vor der Tür steht, lässt du ihn rein und fragst nicht, was es kostet.“ *4)

1991 wurde ich Augenzeuge einer unmittelbaren Wirkung des Vertrags zur deutschen Einheit vom 31. August 1990.

Dieser Vertrag regelte z. B., hier vereinfacht dargestellt, im Rahmen der Gesetzlichen Rentenversicherung, dass arbeitslos gewordene Frauen (ab 55 Jahren) und Männer (ab 57 Jahren) als Vorruhestandsregelung ein Altersübergangsgeld von 65 % des letzten durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelts erhalten. *5)

Also im Juni 1991 auf Rügen in einem Keramik-Geschäft in Juliusruh erstanden wir gerade zwei Keramiken — einen Krug (schilfgrün) und eine Deckel-Vase (weiß-blau). Da kam eine ältere Dame herein, erleichtert fiel sie der Verkäuferin um den Hals und rief: „Gott sei Dank, ich hab` die Vorruhe durch!“ Eine unvergessene Szene, wir gratulierten herzlich.

Alle guten Wünsche, wenn auf den Besatzer-Partys die DDR-Annexion gefeiert wird.

*1) Vom Anschluss der DDR. Das hässliche Deutschland kehrte spätestens 1989 auf das diplomatische Parkett der politischen Weltbühne zurück. 03. Oktober 2013; https://www.proletarische-plattform.org/2013/10/03/20-vom-anschluss-der-ddr/ (RS Hinweis: Die proletarische Plattform ist Teil der AG Antikapitalistische Linke der Linkspartei).

*2) Oliver Das Gupta. Streit um deutsche Einheit. Wiedervereinigung oder Anschluss? 30. August 2010; https://www.sueddeutsche.de/politik/streit-um-deutsche-einheit-wiedervereinigung-oder-anschluss-1.993920

*3) Wissenschaftliche Dienste. Sachstand. Transferzahlungen an die ostdeutschen Bundesländer. WD 4 – 3000 – 033/18. 22. Februar 2018; https://www.bundestag.de/resource/blob. RS: “Transferzahlung“ heißt: Zahlung ohne direkte wirtschaftliche Gegenleistung, also keine Zahlungen für Güter-Käufe aus Ostdeutschland. Fast zwei Drittel dieser Transfers von West- nach Ostdeutschland flossen in Sozialausgaben wie Renten für Ostdeutsche. Das waren zwischen 1991 und 2013 nach Berechnung des ifo-Instituts etwa 2.2 Billionen Euro. Insgesamt betrugen die Brutto-Transfers von Westdeutschland nach Ostdeutschland 3.4 Billionen Euro zwischen 1991 und 2013. Zieht man davon die in Ostdeutschland zwischen 1991 und 2013 gezahlten Steuern und Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 1.8 Billionen Euro ab, erhält man die Netto-Transferzahlungen von Westdeutschland nach Ostdeutschland: 1.6 Billionen Euro. 1600 Milliarden Euro! 

*4) Die Frage nach den Kosten der Wiedervereinigung. 28.9.2015; http://www.bpb.de/geschichte/deutsche-einheit/zahlen-und-fakten-zur-deutschen-einheit/212659/die-frage-nach-den-kosten-der-wiedervereinigung

*5) Der Vertrag zur Deutschen Einheit. Ausgewählte Texte. Erläutert von Günter Bannas, Klaus Broichhausen, Carl Graf Hohenthal und Kerstin Schwenn, eingeleitet von Fritz Ullrich Fack. Mit einer Chronik “Stationen der deutschen Nachkriegsgeschichte von 1949 bis 1990“, zusammengestellt von Eckhard Fuhr. Erste Auflage. Baden Baden, Berlin, Frankfurt a. M., Leipzig 1990. S. 29, 75 (Kapitel VII Arbeit, Soziales, Familie, Frauen, Gesundheitswesen und Umweltschutz; Artikel 30 Arbeit und Soziales).