Bilanzen zur Deutschen Einheit.

„Deutsche Einheit ist jeden Cent wert!“ Wer wollte BILD im 25. Jahr nach dem Mauerfall widersprechen?

Aber wie viele Cents war denn nun die Einheit wert, darf im Jubiläumsjahr gefragt werden. Um aufzugreifen, was BILD heute richtig feststellt: Runde 200 000 Milliarden Cents.

Oder etwas übersichtlicher: Rund 2 Billionen Euro erreichen der „Wert“ der Deutschen Einheit oder deren „Folgekosten“ – as you like it – , wenn „alle Finanztransfers in die ostdeutschen Bundesländer seit 1990 zusammengerechnet“ *1) werden. Das entspricht fast der Höhe des gesamtdeutschen Volkseinkommens von 2013 (2,12 Bio. €), dh. etwa der Summe aller in Deutschland im Jahr 2013 verdienten Löhne, Gehälter, Zinsen, Dividenden, Mieten, Pachten und Gewinne.

Experten bilanzieren einen eher bescheidenen wirtschaftlichen Ertrag gegenüber diesem Aufwand: nämlich, „dass die Wirtschaftskraft eines Ostdeutschen auch künftig bei gut zwei Drittel eines Westdeutschen stagnieren werde.“ *1)

Der Ministerpräsident Sachsen-Anhalts meldete sich umgehend zu Wort. Er empfinde eine solche „einseitige Transfer-Bilanz … als Zumutung.“ *2)

Bei aller Wertschätzung für den Ministerpräsidenten Haseloff (CDU), der eine sehr erfolgreiche GroKo leitet: Denk-, Analyse- und Meinungsverbote gehören – empfinde er, was er wolle – nun überhaupt nicht in das von Haseloff beschworene „25. Jahr der friedlichen Revolution“. *2)

Zumal die LINKE uns seit der Wende mit Tataren-Bilanzen traktiert. Die Bundesvorsitzende Katja Kipping präsentierte erst im letzten Jahr mit Kollegen eine solche ostdeutsche Bilanz: „Ostdeutschland ist nicht mehr die größte geschlossene Krisenregion Deutschlands, wohl aber die größte Ansammlung von Krisenregionen.“ *3)

Und „Katja Kipping beklagte, dass die Politik seit der Wiedervereinigung nicht nur die soziale Spaltung verschärfe, sondern auch regionale Ungleichgewichte vertiefe. Sie sagte: ´Wir erleben einen schleichenden Abschied von der Solidarität und damit auch vom Verfassungsgebot der Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse.`“ *3)

Katja Kipping, 36 Jahre, ist ein interessanter Fall. Sie gehört zur Generation der “Doppelten Deutschen“, den „zwischen 1975 und 1985 geborenen ´Wendekinder(n)` … , (die) eine doppelte Sozialisation – eine in der DDR, eine in der Bundesrepublik“ durchlaufen haben. *4)

Katja Kippings rückwärtsgewandte Bilanz zu den neuen Bundesländern zeigt, dass sie keineswegs die Gedankenwelt der „Wendekinder“ in den Neuen Bundesländern repräsentiert.

Der zitierte Artikel des „Vorwärts“ informiert über das bürgerschaftliche Engagement der 34-jährigen Adriana Lettrari, in Neustrelitz geboren. Sie hat mit anderen Wendekindern 2010 das Netzwerk „3te Generation Ostdeutschland“ gegründet. Adriana und ihre Mitstreiter sind stolz auf ihre „Transformationskompetenz“, denn: „Wir haben erlebt, dass ein politisches System abgelöst werden kann. Unsere Bereitschaft ist größer, uns auf Veränderungen einzulassen.“ Die Devise des Netzwerks lautet zukunftsorientiert: „Raus aus der Ostecke, hin zum Gesamtbild einer gesamtdeutschen dritten Generation.“ *4)

Dieses Jahr, am 9. November, jährt sich der Mauerfall zum 25. Mal. Dann schlägt uns – wie 2009 zum zwanzigsten Jahrestag – die Stunde für Feierlichkeiten, um im Sinne des Ministerpräsidenten Haseloff und wohl aller deutschen Spitzenpolitiker „die große Solidarleistung in ganz Deutschland zu würdigen“. *2) Da wird sicher wieder eine angemessen korrekte politische Bilanz der Einheit gezogen werden.

Die LINKE wird erneut mit Katja Kipping eine rückwärtsgewandte, traurige Bilanz zum ostdeutschen Opfergang vorlegen, wenn sie sich nicht radikal von ihrer Regionalanalyse aus 2013 abwendet. *3) Das ist jedoch nicht zu erwarten.

Hoffen wir deshalb auf eine zukunftsorientierte Bilanz der „Wendekinder“ des Netzwerks „3te Generation Ostdeutschland.“

Sicher wird die „rechnerische ´Wahrheit` der deutschen Vereinigungsbilanz irgendwo zwischen dem publizistisch beschworenen ´Supergau Deutsche Einheit` und bloßen Erfolgsmeldungen vom Stile ´blühender Landschaften` liegen.“ *5)

Mit diesem Fazit schließt Professor Stephan Lessenich seine Analyse und Bilanz des Vereinigungsprozesses. Aber nicht nur damit. Der Autor der Bundeszentrale für politische Bildung erfreut den Leser mit einem Zitat des großen Gestalters der deutschen Einheit, des Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf.

Professor Biedenkopf zieht den zukunftsweisenden Schluss aus jeder Bilanz zur Deutschen Einheit: „Bei der nächsten Wiedervereinigung machen wir alles besser“! Das wäre mal ein Motto für die Feierlichkeiten zum Fall der Mauer.

*1) Expertenschätzung. Deutsche Einheit hat fast zwei Billionen Euro gekostet; faz.net, 04.05.2014. Der Beitrag der FAZ verweist auf die Schätzung im Auftrag der „Welt am Sonntag“ von Prof. Dr. Klaus Schröder, Forschungsverbund SED-Staat an der FU Berlin. Der habe die „Finanztransfers“ in die ostdeutschen Bundesländer als „Wirtschaftsfördertöpfe, Solidarpakt, Länderfinanzausgleich und EU-Fördermittel sowie Transfers über die Sozialsysteme abzüglich selbst erzeugter Steuern und Sozialabgaben“ definiert und auf knapp 2 Bio. € zwischen 1990 und 2014 geschätzt. „Rund 60 bis 65 Prozent dieses Geldes flossen den Angaben zufolge in den Sozialbereich, davon wiederum ein Großteil in die Rente.“

*2) Reiner Haseloff. Kritik an der Wiedervereinigungs-Rechnung; faz.net, 05.05.2014.

*3) Lederer, Holter, Kipping, Bartsch. Elemente einer neuen Regional- und Strukturpolitik. Das LINKE-Strukturentwicklungsprogramm einer sozial-ökologischen und demokratischen Entwicklungsperspektive der Regionen, 26. Februar 2013.

*4) Die Doppelten Deutschen. Dritte Generation Ost. Wie junge Menschen die Einheit verwirklichen. Von Kai Doering. Vorwärts. Die Zeitung der Deutschen Sozialdemokratie. April 2014. S. 31. Die SPD hat das Engagement des Netzwerks „3te Generation Ostdeutschland“ mit dem Gustav-Heinemann-Bürgerpreis ausgezeichnet.

*5) Die Kosten der Einheit. Stephan Lessenich; www.bpb.de/geschichte/deutsche-einheit/lange-wege-der-deutschen-einheit/47534/, 30.3.2010.