Bitte um Vertrauen?

„Ich bitte Dich vor allem um dein Vertrauen.“ *1) Zu dieser Bitte des SPD-Schatzmeisters ein Einfall, der alsbald erklärt wird: „Es hatte ein Mann einen Esel, der schon viele Jahre die Säcke unverdrossen zur Mühle getragen hatte, dessen Kräfte aber nun zu Ende gingen … Da dachte der Herr daran, ihn aus dem Futter zu schaffen, aber der Esel merkte, dass kein guter Wind wehte, lief fort und machte sich auf den Weg nach Bremen“. *2)

Die Symbole sollten leicht erkennbar sein.

  • Der Esel stehe für den Bürger und Steuerzahler.
  • Der Herr für die „Herrschaft“ von Bundesregierung, Parteiführungen und den Abgeordneten des Deutschen Bundestags.
  • Der üble Wind, den der Esel wittert, ist der dreiste Anschlag, den die „politischen Herrschaften“ auf unser Wahlrecht als Bürger vorbereiten: Wahlperiode auf 5 Jahre verlängern.

Die „geheimen“ Sondierungsverhandlungen für die Große Koalition (GroKo) aus CDU/CSU und SPD sollen heute zwar zu Ende gehen. Das seit der GroKo-Regierung von 2013 und bei bester Konjunktur nicht gerade erschreckende „Weiter So“ von steigenden Ausgaben (für „Investitionen“ selbstverständlich), Umverteilung gegen Armut und hoher Abgabenlast war von der SPD angekündigt. Koalitionsregierungen zwischen politischen Wettbewerbern kommen nur durch Kompromissbereitschaft zustande. Dies haben gerade die gescheiterten Jamaika-Sondierungen gezeigt.

Die Wahl- und Regierungsprogramme von CDU/CSU und SPD wird der unvoreingenommene Bürger mit Respekt lesen. Die Erwartung auf eine stabile GroKo-Regierung stützt sich auf bereits in zwei Koalitionsregierungen (2005-2009 und 2013 bis 2017) für unser Land bewährte politische Gemeinsamkeiten und im Regierungsgeschäft erfahrenes Führungspersonal. Die Sondierung erfolgt mit beispielhafter Professionalität.

Stark vereinfacht lassen sich die politischen Unterschiede der GroKo-Parteien zusammenfassen:

  • CDU/CSU sind vielleicht etwas unternehmerfreundlicher, stärker dem Subsidiaritätsprinzip, der Eigenverantwortung der politischen Handlungsebenen verpflichtet, eher „Mitte-Rechts“ im politischen Spektrum verortet.
  • Die SPD ist sicher eher gewerkschafts- und arbeitnehmergeneigt, stärker dem Solidaritätsprinzip verbunden, sieht sich auch betonter in europäischer und globaler Verantwortung, ist also eher „Mitte-Links“.

Wie gesagt, die politische Kärrnerarbeit, die zu den Wahl- und Regierungsprogrammen von CDU/CSU und SPD führte, verdient ebenso Hochachtung wie ihr Verhalten bei der GroKo-Sondierung — vor allem im Vergleich zu dem Jamaika-Getue von FDP und Grünen.

Was den WählerInnen dennoch Sorge bereiten sollte, sind die seit gewiss anderthalb Jahrzehnten festzustellenden Versuche, den Wähler politisch zu „enteignen“. Indem die Wahlperiode für den Deutschen Bundestag von 4 auf 5 Jahre verlängert werden soll. Das heißt bei gegebener Lebensspanne als Wähler: Bürger können weniger wählen, je älter sie sind, desto weniger Gelegenheit werden sie haben, auf den Bundestag und damit die Regierung Einfluss zu nehmen. „Weniger wählen bedeutet weniger Demokratie“, schrieb der Jurist und Journalist Heribert Prantl im Dezember 2013. *3)

Nun scheint es ernst zu werden mit dem Demokratieabbau. Bis Ostern, so berichtet die Presse, „wollen die Bundestagsparteien klären, ob sie sich auf eine Wahlrechtsreform zur Begrenzung der Größe des Bundestages verständigen können.“ *4) Zwar wurden den neugewählten Bundestagsabgeordneten schon die Diäten erhöht, zwar konnten sie noch nicht die klare Trennung von Regierung und Opposition vorweisen, aber alle 6 Bundestagsfraktionen haben bereits in Absprache mit Bundestagspräsident Schäuble Beauftragte für die Wahlrechtsreform berufen.

Und weil die „Politik-Herrschaften“ sich mit dem Geld des Steuerzahlers um das „Gemeinwohl“ bemühen — zum Beispiel mit „Investitionen“ in die armutsfeste Solidarrente, die Bildung, die „Digitalisierung“, die Infrastruktur, in eine familienfreundliche Arbeitswelt und in Europa — verlangen sie auch vom Wähler, „im Gegenzug“ (Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann) etwas beizutragen. Die entrichteten Steuern zählen natürlich nicht als “Beitrag“, da sie dem Staat ohnehin zustehen …

Und genau daher weht der üble Wind für den Wähler-Esel. Von den „Politik-Herrschaften“, zunächst von Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD).

Denn Oppermann will den Wähler gleich doppelt enteignen, so drastisch fingert er am Grundgesetz. Die Amtszeit des Bundeskanzlers soll begrenzt werden, auf 8 bzw. 10 Jahre, also zwei Legislaturperioden, lockt er mit Kanzlerin Merkel Unzufriedene.

Das ist eine Manipulation und ein Eingriff in Wählermotive, die bei einer Partei nicht überraschen, die noch jede Kanzlerschaft ihrer Großen — Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder — politisch geschwächt oder zerstört hat. Wie weit Oppermann als SPD-Fraktionsvorsitzender den sicher zum Bundeskanzler befähigten SPD-Chef Sigmar Gabriel in die Resignation getrieben hat, sei dahingestellt.

Oppermanns Vorschlag wird hier zurückgewiesen; denn die Erfahrung unseres Landes hat gezeigt, dass wir gerade in Zeiten des Wandels (Nachkriegszeit, neue Ostpolitik, deutsche Einheit) und der Krisen (Finanz-, Wirtschafts-, Staatsschuldenkrise) nicht schlecht mit dem Grundgesetz Artikel 63 (2) gefahren sind: Danach wird als Bundeskanzler gewählt, „wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereinigt. Der Gewählte ist vom Bundespräsidenten zu ernennen.“

Die Deutschen haben in unsicheren Zeiten für stabile Verhältnisse gewählt und sich deshalb an die überzeugenden Kanzlerkandidaten gehalten: Adenauer (CDU), Brandt und Schmidt (SPD), Kohl (CDU), Schröder (SPD) und Merkel (CDU).

Und nun kommt der Winkelzug des Juristen Oppermann: Im „Gegenzug“ für die Begrenzung der Amtszeit des Kanzlers „könnte man die Wahlperiode des Bundestages von vier auf fünf Jahre verlängern.“ *5)

Dieser Vorschlag für weniger wählen, also für weniger Entscheidungsmacht des Wählers, also für weniger Demokratie, kommt nun nach Ex-Bundestagspräsident Lammert (CDU) erneut von Oppermann als Bundestags-Vizepräsident der SPD.

Ohne jede Einsicht, wie dieses „Weniger Demokratie“ des höchsten parlamentarischen Repräsentanten der SPD auf die Wähler wirken mag, gerade wenn sie demokratische Bekundungen der SPD ernstgenommen haben:

  • „Wir wollen mehr Demokratie wagen“ (Bundeskanzler Willy Brandt, 28. Oktober 1969, Regierungserklärung).
  • „Wahlkämpfe und Wahlen sind Festtage der Demokratie. Dieses demokratische Grundverständnis wollen wir erneuern.“ (SPD-Regierungsprogramm für die Bundestagswahl 2017).

Das also plant der sozialdemokratische Bundestags-Vizepräsident Thomas Oppermann: Weniger Wahlen, weniger „Festtage der Demokratie“ (SPD), nur noch alle 5 Jahre! Dazu Oppermans Forderung, dass eine bei den Wahlbürgern besonders angesehene Persönlichkeit per Grundgesetzänderung nur für zwei Legislaturperioden Kanzler sein darf. Wählerwille hin oder her! Recht der Abgeordneten, den Bundeskanzler zu wählen, hin oder her!

Andere Politiker (z.B. Ex-Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) oder Manfred Weber (MdEP, CSU)) treiben die Entrechtung der Wähler so weit, dass sie sogar die Veröffentlichung von Wahl-Umfragen kurz vor Wahlen verbieten wollen. Und damit genau die parteiunabhängigen, strategisch denkenden Wechselwähler im Recht auf Information schädigen, selbst aber natürlich bis zum Wahltag Umfragen nutzen. *6)

Oppermanns Enteignungs-Vorschlag, die Wahlperiode auf 5 Jahre zu verlängern, uns Bürgern also weniger Wahlen, weniger „Festtage der Demokratie“ (SPD) zu ermöglichen, findet gleichwohl im Bundestag bei allen Fraktionen Beifall, wie die WELT dokumentierte: *7)

  • Michael Grosse-Brömer (CDU), Fraktionsgeschäftsführer der CDU/CSU-Union betone, „dass vor der Wahl der Wahlkampf seine Zeit erfordert und nach der Wahl Zeit für Koalitionsverhandlungen benötigt wird, was jeweils zulasten der Regierungszeit geht“. Zugleich verweist er auf die fünf-jährige Wahlperiode der meisten Landtage. Dazu sei schon hier bemerkt, dass in den USA Präsident und damit Regierung sich alle vier Jahre dem Urteil der Wähler stellen.
  • Sogar der Liberale Wolfgang Kubicki, stellvertretender Vorsitzender der FDP, „schätzt, in seiner Partei gebe es mehr Unterstützer als Gegner des Vorhabens.“
  • Alice Weidel, Fraktionsvorsitzende der AfD: „Eine Verlängerung der Legislaturperiode auf fünf Jahre ist eine kluge Idee, denn sie würde mehr Kontinuität bedeuten.“
  • Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann „erklärte, ihre Partei sei ´offen für eine Verlängerung der Wahlperiode auf fünf Jahre`. Allerdings wünschen sich die Grünen andere direkte Einflussmöglichkeiten, etwa Volksentscheide.“
  • Von Dietmar Bartsch, Fraktionschef der LINKEN, ist schon seit Jahren bekannt, dass er die Verlängerung der Wahlperiode unterstützt.

Bei solch kaum vermuteter Gemeinsamkeit der Fraktionsspitzen im Deutschen Bundestag kommen mir fast Zweifel an der Angemessenheit meiner Empörung. Deshalb werden hier zwei ablehnende Stellungnahmen dankbar hervorgehoben:

  • Der aus Baden-Württemberg stammende Parteivorsitzende der LINKEN, Bernd Riexinger: „Die Linke befürwortet keine verlängerte Legislaturperiode, wir werten das als Demokratieverlust, wenn die Menschen noch ein Jahr länger darauf warten müssen, eine ungewollte Regierung abzuwählen“. *7)
  • Der Politikwissenschaftler Professor Jürgen Falter, Universität Mainz: „Das ist reine Interessenpolitik. Die Abgeordneten sind mit vollen Diäten ein Jahr länger im Amt, verbessern ihre Pensionen und müssen sich ein Jahr lang weniger Sorgen um ihre Zukunft machen. Der Bürger verliert im Gegenzug aber an Mitspracherecht. Das kommt einer Entdemokratisierung gleich. Im Ergebnis, so Falter, blieben ´schlechte Regierungen ein Jahr länger im Amt, während gute Regierungen mit der jetzt gültigen Regelung früher wiedergewählt werden` könnten.“ *8)

Häufig wird vorgeschlagen (Grüne), Volksentscheide auf Bundesebene mit der Verlängerung der Wahlperiode zu verbinden. Gegen dieses Angebot einer „Kompensation“ für „weniger Demokratie“ wird von Sozialwissenschaftlern eingewendet: „Empirisch lässt sich .. zeigen, dass … die soziale Schieflage bei der Beteiligung an Referenden größer ist als bei Wahlen.“ *9)

So ermutigt, durch zunehmenden öffentlichen Widerstand, macht sich — wie eingangs in Grimms Märchen beschrieben — der „Esel-Wähler“ auf den Weg nach Bremen. Warum? Weil hier ein sauberer Wind weht als in Berlin!

In Bremen wurde die Bundestagswahl im September 2017 mit einem Volksentscheid darüber verbunden, die dort bestehende 4-jährige Landtagswahlperiode auf 5 Jahre auszudehnen. Mit 51.6 Prozent der Stimmen wurde dieses Ansinnen von den Wählern abgelehnt. *10) Herzlichen Glückwunsch an die Wählerinnen und Wähler in Bremen!

Und der öffentliche Beifall bleibt nicht aus. Die Hamburger ZEIT: „Legislaturperiode. Bremen gegen den Strom. Die Bremer wollen, anders als alle anderen Bundesländer, nicht nur alle fünf Jahre wählen dürfen. Gut so. Das Wahlrecht ist das höchste Gut der Demokratie.“ *11)

Und so fordert der Esel-Wähler von Bremen nach Berlin zum Deutschen Bundestag: Kehrt ab von eurer „Interessenpolitik“ (Prof. Falter) und von dem Ansinnen, unser Wahlrecht einzuschränken!

Solange dies nicht geschehen ist, weisen wir Bürger, Steuerzahler, wohlgemerkt, eure „Kunden“ für den politischen Dienst, jede „Bitte um Vertrauen“ (SPD-Schatzmeister Nietan) zurück!

*1) Aus dem Brief des SPD-Schatzmeisters Dietmar Nietan an alle SPD-Mitglieder, verbunden mit der Bitte um eine Spende.

*2) Die Bremer Stadtmusikanten. Grimms Märchen. Kinder- und Hausmärchen. Lechner Verlag. Wien, Genf, München, New York 1992. S. 83 ff.

*3) Politik. 29. Dezember 2013. Mögliche Verlängerung der Legislaturperiode. Wahltage sind Festtage. Die große Koalition möchte die Wahlperiode des Bundestags von vier auf fünf Jahre verlängern. Doch weniger wählen bedeutet weniger Demokratie. Der Plan von Union und SPD wäre nur unter einer Bedingung akzeptabel — wenn die Beteiligung der Bürger an anderer Stelle gestärkt wird. Ein Kommentar von Heribert Prantl; www.sueddeutsche.de.

*4) DTS-Meldung vom 21.12.2017, 05:00 Uhr. Bundestagsfraktionen wollen Wahlrechtsreform bis Ostern angehen.

*5) Bundestags-Vizepräsident. Oppermann für Begrenzung der Kanzler-Amtszeit. 7. Januar 2018; http://www.deutschlandfunk.de/bundestags-vizepraesident-oppermann-fuer-begrenzung-der.1939.de.html?drn:news_id=835979.

*6) Hinweis: Diese geplante Verkürzung des Wahlrechts bei Bundestagswahlen sehe ich sicher extrem kritisch — als Staatsbürger, Sozialdemokrat und strategischer Wähler, dem es weniger um die Partei als um die Qualität der Regierungsführung geht. Vgl. nur zur Klarstellung meiner Position meine Blogbeiträge: Politische Enteignung … Blog vom 28. Dezember 2013; Oppermann: Weniger Demokratie! Blog vom 17. Oktober 2016; Demokratieabbau — nach der Wahl! Blog vom 14. September 2017; Politikelite vs Wähler. Blog vom 15. Oktober 2017.

*7) DEUTSCHLAND. BUNDESTAG. Nach zehn Jahren soll Schluss sein mit der Kanzlerschaft. Alle Parteien im Bundestag wollen Wahlperiode verlängern. Geht es nach den Fraktionsspitzen der Bundestagsparteien, soll der Bundestag demnächst für fünf statt für vier Jahre gewählt werden. Dies würde voraussichtlich 2021 das erste Mal greifen.

Von Tobias Heimbach, Matthias Kamann, Marcel Leubecher. Veröffentlicht am 14.09.2017;https://www.welt.de/politik/deutschland/article168655296/Nach-zehn-Jahren-soll-Schluss-sein-mit-der-Kanzlerschaft.html.

*8) „MITNAHME-MENTALITÄT“. Parteienforscher gegen 5-Jahre-Bundestag. Absage an SPD-Vorstoß: Parteienforscher Jürgen Falter lehnt 5-Jahre Legislatur für den Bundestag ab. Von: FRANZ SOLMS-LAUBACH, veröffentlicht am 07.01.2018; http://www.bild.de/politik/inland/bundestag/parteienforscher-falter-lehnt-lange-legislaturperiode-ab-54403878.bild.html.

*9) Neue Politiker braucht das Land? Attraktivität und Besetzung politischer Ämter. Michael Edinger. 31.3.2017. Aus Politik und Zeitgeschichte; http://www.bpb.de/apuz/245586/neue-politiker-braucht-das-land-attraktivitaet-und-besetzung-politischer-aemter?.

*10) Volksentscheid und Bundestagwahl: So hat Bremen abgestimmt. 25.09.2017; https://www.weser-kurier.de/deutschland-welt/bundestagswahl-2017_artikel,-volksentscheid-und-bundestagwahl-so-hat-bremen-abgestimmt.

*11) Legislaturperiode. Bremen gegen den Strom. Ein Kommentar von Ludwig Greven. 25. September 2017; http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-09/legislaturperiode-bremen-volksabstimmung-wahlrecht-demokratie.