Lust auf Untergang?

Wer der Einladung der SPD gefolgt ist, zu lesen, worauf sich „die Sondierer im Detail geeinigt“ *1) haben, der kann jetzt der SPD-Linken Lust auf Untergang ihrer Partei bescheinigen.

Ich habe meine anfängliche Ablehnung einer erneuten Großen Koalition (GroKo) aus zwei Gründen geändert.

Erstens, wegen des konstruktiven Engagements unseres Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier für eine stabile Regierungsmehrheit statt einer Minderheitsregierung oder Neuwahlen.

Zweitens, nach eingehender Lektüre der Sondierungsergebnisse mit Blick auf das SPD-Regierungsprogramm 2017 bis 2021. *2)

Die seit 2013 gemeinsam die Regierung führenden CDU/CSU und SPD haben ein respektables Ergebnis vorgelegt, das nun in den Koalitionsvertrag einer stabilen Regierung umgesetzt werden kann.

Dies war auch zu erwarten. Was ebenso zu erwarten war, ist die „#NoGroKo-Tour“ der Jung-Sozialisten (Jusos). Was eher überrascht, ist das schwache Rückgrat einiger führender Sozialdemokraten gegen diesen Aufstand der Jusos und von SPD-Linken.

Das unsinnige Gerede von „Nachbesserungen“, mit dem z. B. Malu Dreyer, Natascha Kohnen, Ralf Stegner, Thorsten Schäfer-Gümbel auf die „#NoGroKo-Tour“ reagieren, ist mehr als peinlich, denn alle vier gehörten zu den 13 SPD-Sondierern.

Der Bürger muss sich auch fragen, ob bei solcher Wackelpartei eine stabile Regierungsführung in schwierigen Zeiten zum Scheitern verurteilt ist. Neuwahlen bei dem Eindruck „gespaltenen Irreseins“ der SPD, den bereits eine Reihe von Pressekommentaren vermittelt — das wäre das Aus für die Sozialdemokratie als Volkspartei.

Da bleibt nur die Hoffnung, dass sich die jetzt imponierende Führungskraft der SPD-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Andrea Nahles, durchsetzt, gemeinsam mit SPD-Chef Martin Schulz, Sigmar Gabriel, Carsten Schneider, Olaf Scholz und Stephan Weil. Die SPD-Sondierer Schulz, Nahles, Schneider, Scholz und Weil stehen fest zu dem erreichten Ergebnis.

Vor allem Andrea Nahles beeindruckt durch kämpferisches Eintreten für den Sondierungskompromiss. Für jeden, der unvoreingenommen lesen kann, sind gerade bei den Zielvereinbarungen sozialer Arbeitsmarkt, armutsfeste Solidarrente, Rückkehr zur paritätisch finanzierten Gesetzlichen Krankenversicherung, Bildungsförderung durch bundesweite Abschaffung des Kooperationsverbotes für den Bund und bei Maßnahmen gegen Kinderarmut sozialdemokratische Werte und Ziele bestätigt worden. Und dies gilt auch für die von Martin Schulz ganz besonders hervorgehobene Bedeutung der Arbeit für ein „demokratisches, solidarisches und soziales Europa“.

Deshalb sagt Nahles zurecht: „Wir haben ein gutes Ergebnis erzielt und konnten eine Menge SPD-Themen durchsetzen. Vor allem sind das aber Politikfelder und konkrete Verbesserungen für die Menschen und deswegen bin ich mit diesem Ergebnis sehr zufrieden … Wir müssen jetzt auch dafür werben. Ich glaube, das kann man auch guten Gefühls als Sozialdemokrat … Ich sage Ihnen ganz klar, da wird jetzt ein Ergebnis schlechtgeredet von einigen, die, egal was wir rausgehandelt hätten, gegen die GroKo sind.“ *3)

Es ist ja nichts gegen eine kritische Debatte zur Koalitionspolitik der SPD-Führung einzuwenden. Auch jugendliches Rebellentum ist zu akzeptieren. Aber irgendwann sollte bei erwachsenen Menschen die politische Vernunft einsetzen. Und die beiden bekannteren Jusos, Frau Uekermann und Herr Kühnert, als besonders langjährige Politik-Studenten mit hoffentlich einigem politischen Urteilsvermögen, sind ja weit dem Teenager-Alter entwachsen.

Ihre „#NoGroKo-Tour“-Kampagne gegen die SPD-Parteiführung wird dem Ansehen der SPD ebenso schaden wie das wankelmütige Auftreten der Sondierer Malu Dreyer, Natascha Kohnen, Ralf Stegner und Thorsten Schäfer-Gümbel.

Über die letztgenannten hochrangigen SPD-Sondierer kann man sich nur wundern. Nicht über die Jusos. Deren „Lust auf Untergang“ der SPD-Führungsriege ist rational erklärbar: Haut sie alle weg; denn wenn man auf Dreißig geht, wird es Zeit für eine bürgerliche Existenz als Berufspolitiker. Nach Kreißsaal und Hörsaal muss endlich der Plenarsaal des Deutschen Bundestags in Reichweite kommen.

„Lust auf Untergang“ mit „#NoGroKo-Tour“— durchaus rationale Karrierepolitik der Jusos!

Andrea Nahles zeigt ihnen wenigstens, wo der Hammer hängt. Alle Achtung!

*1) Die Sondierung. Darauf haben sich die Sondierer im Detail geeinigt. Das haben wir erreicht. Und: Ergebnisse der Sondierungsgespräche von CDU, CSU und SPD. Finale Fassung. 12.01.2018; https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Beschluesse/Auf_den_Punkt_final.pdf.

*2) Es ist Zeit für mehr Gerechtigkeit: Zukunft sichern, Europa stärken. Das Regierungsprogramm 2017 bis 2021; https://www.spd.de/…2017/Es_ist_Zeit_fuer_mehr_Gerechtigkeit

*3) GroKo-Sondierungsergebnis. „Für 20,5 Prozent haben wir sehr viel rausgehandelt“. SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles hat das Ergebnis der Sondierungen als Erfolg bezeichnet. Die SPD habe viele ihrer Themen durchsetzen können, etwa die Absicherung des Rentenniveaus, sagte Nahles im Dlf. Die erzielten Einigungen würden nun aber mutwillig schlechtgeredet von den GroKo-Gegnern.

Andrea Nahles im Gespräch mit Tobias Armbrüster. 15.01.2018; http:/www.deutschlandfunk.de/groko-sondierungsergebnis-fuer-20-5-prozent-haben-wir-sehr.694.de.html?dram:article_id=408301