Bürger als Kunden.

Am vergangenen Freitag die Rede des Ministerpräsidenten Seehofer auf dem CSU-Parteitag. Sozialdemokraten könnten Sinnloseres tun, als die Leistungsbilanz des Chefs der bayerischen Konkurrenz zu verfolgen. Aber diesmal geht es nicht um eine politische Analyse.

Es geht um einen besonderen Aspekt der Rede: „Franz-Josef Strauß hat Bayern industrialisiert, Edmund Stoiber hat aus Bayern ein „high-tech“-Land gemacht – ich will Bayern in die … ticki, trickitall … – es klappte einfach nicht mit gutturalem Bayerisch.

Das lenkte ab, und ein Schlüsselwort längst vergessenen Ärgers fiel wieder ein: „digital-terrestrisch“ – gut, dass Horst Seehofer dieses Doppelwort nicht in die Quere kam. Denn der bayerische Chef hielt eine bemerkenswerte Rede. Er warnte seine Partei vor Bequemlichkeit, Triumphalismus und Überheblichkeit. Strich den Mandatsträgern den Sommerurlaub. Trieb sie an zum Dialog mit dem Bürger, mit ihren Kunden.

Die hätten – geißelte Seehofer sicher aus vielfach gegebenen Anlässen seine Pappenheimer – das Recht, auf Briefe, selbst auf querulatorische, unverzüglich Antwort zu erhalten, zumindest eine vorläufige. Die Bürger sind unsere Kunden – „Gruzefix! Sakrament noamol!“ Dieser bayerische Fluch sei nur angeführt, um zu illustrieren, dass Herr Seehofer seinen Pappenheimern sehr energisch heimleuchtete.*1)

Damit zu einer Erfahrung als Bürger, als zahlender Kunde von mit Staat und Politik verquickten Großorganisationen.

Am Vormittag des 2. Juli sehe ich „Hart aber Fair“ von Frank Plasberg v.a. wegen Günter Wallraff.*2)

Dessen Meisterwerk „Ganz Unten“ über Ali-„letzter Dreck“ (S.12) – von einer Leihbücherei am Urlaubsort im Sommer 2012 auf einem Mitnehm-Tisch ausgesondert – erinnerte nach über einem Vierteljahrhundert an den 17.10.1986. Da zeigte das Buch Wirkung im Deutschen Bundestag (S. 278). Rudolf Dreßler und die SPD-Fraktion legten damals einen Antrag vor: Bekämpfung der illegalen Beschäftigung und des Missbrauchs der Arbeitnehmerüberlassung. Das Thema beschäftigt bis heute …

Herr Wallraff also rechnete am 2. Juli im TV mit der Politik ab. Und gerade als der Liberale Johannes Vogel, MdB, zur Gegenrede ansetzte – sämtliche TV-Programme weg. Nur noch Anzeige „nicht eingestellt“ oä.. Das geschah ohne jede Vorwarnung, ohne jeden Hinweis auf ein Ende dieser ärgerlichen Unterbrechung. Die wurde jedoch durch einen freundlichen Anruf unterbrochen: „Ist bei Dir auch das Fernsehen weg?“ / „Was gucktest Du denn?“ / „Notruf Hafenkante“.

Dieser Hinweis auf Hamburg motivierte mich zu der leichtsinnigen Zusage, Klarheit über die Dauer des TV-Stopps zu schaffen. Zunächst als nicht zu knapp zahlender Kunde bei der Deutschen Telekom – Telefon, Internet, TV – „Erleben verbindet“. Es bedurfte auch nur gut einer halben Stunde, um eine Telefonnummer und einen Ansprechpartner, Herrn L., zu finden.

Der reagierte auf die Schilderung des Sachverhalts wie folgt: TV-Gerät, Kabel oder Antenne (daher digital-terrestrisch!) kaputt / Werter Herr L., dann würde das Gerät gar nichts anzeigen. Ich wäre nur dankbar, wenn Sie mir einen Hinweis gäben, wo ich Auskunft über Grund und Dauer der Programmunterbrechungen auf allen Känalen erhalten könnte./ Sie nutzen aber unser TV-Komfort-Programm nicht/ Gewiss, aber ich bin Telekom-Kunde und sehe gerade den Betrag ihrer Monatsrechnung, wo könnte ich denn …/ Bei der Telefonauskunft oder der GEZ, ich bin nicht zuständig, Sie gehen ja auch zum Arzt, wenn Sie Schmerzen haben, wir drehen uns im Kreis …/ Abgehängt war ich vom Herrn L.!

So heiter eingestimmt, suchte ich unbeirrt bei https://www.rundfunkbeitrag.de/. Erwartungsgemäß beschäftigt sich diese Seite mit Fragen rund ums Kassieren bei den Kunden, was jährlich immerhin rd. 7,4 Mrd. Euro bringt. Klar, dass die Kohle, nicht der einzelne Kunde wichtig ist. Dort anzurufen, macht auch keine Freude, da die Einladung zum Service-Telefon recht frostig klingt: Besondere Hinweise auf „geringere Erreichbarkeit“, auf „Geduld“ und „versuchen zu einem späteren Zeitpunkt“ werden mit 6,5 Cent/Min. Anrufkosten bekräftigt.

Jedoch dürfen die zahlenden Kunden Fragen stellen, auch als „Bürgerin und Bürger“. Dazu wird nach dem „Anliegen“ des Bürger-Kunden gefragt. Da schwindet die Hoffnung auf Hilfe: Nur eine Frage zum „Beitragskonto“ oder „zum Rundfunkbeitrag allgemein“ ist gestattet. Ich entscheide mich dennoch, meine Personalien, Wohnort etc. auszufüllen. Bestehe dann auch den Idiotentest mit der Identifizierung schwer lesbarer Zahlen, wofür ich erst die Brille putzen muss. Und schreibe schließlich eine höfliche Nachricht: „… Ich bitte Sie als Ihr Kunde hiermit um einen kundenfreundlichen Weg, wo ich Auskunft über die voraussichtliche Dauer der Störung bekommen kann.“

Und hier komme ich auf Ministerpräsident Seehofers Zorn und Einfordern von Kundennähe – „Gruzefix! Sakrament noamol!“ – zurück. Am Dienstag, den 02. Juli 2013 gegen 11.50 Uhr habe ich die Nachricht mit knappen Angaben zum Zeitpunkt der TV-Störung und der freundlichen Bitte abgeschickt. Der Eingang wurde automatisch bestätigt. Die Antwort – nada, nix, forget it.

Anfang vorigen Jahres habe ich bei der SPD angefragt: Warum wird für private Bürger eine Vermögenssteuer geplant, ohne als Voraussetzung solcher Steuerpflicht ein ausreichend hohes Einkommen zu berücksichtigen. Damit es im Alter nicht zur Substanzbesteuerung kommt, oder schlimmer noch z.B. Immobilien verkauft, Finanzanlagen zur Vorsorge aufgelöst werden müssen, nur um die Vermögenssteuer zahlen zu können.

Dreimal dürft Ihr raten, was aus meiner Anfrage geworden ist.

Der weltberühmte Linguist Noam Chomsky schreibt bekanntlich auch Bücher zur internationalen Politik, die es in sich haben. *3). Er ruft uns Bürger zum Handeln auf: „Though it is natural for doctrinal systems to seek to induce pessimism, hopelessness, and despair, reality is different … Opportunities for education and organizing abound … the tasks require dedicated day-by-day engagement to create … the basis for a functioning democratic culture in which the public plays some role in determining policies …“

Ein Weg, Noam Chomskys Appell zu folgen ist, die heutigen technischen Möglichkeiten zu nutzen. Dem erfinderischen Geist amerikanischer Bürger zu folgen, sich der weltweiten Bewegung des „grass-root-journalism“ anzuschließen. Gegen missbilligende oder missgünstige Kommentare aus dem Reich des Mehltaus, des Konformismus in Staat und Politik.

Von der schweigenden Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger zur bloggenden Mehrheit!

*1) Himmel, Herrgott, Sakrament! Brigitte Vordermayer; http://www.sonntagsblatt-bayern.de/
*2) Günter Wallraff, Ganz unten. Mit einer Dokumentation der Folgen. KiWi. Köln 1985, 1988.
*3) Noam Chomsky, Failed States, The Abuse of Power and the Assault on Democracy, 1st ed.; New York 2007; S. 263.

Nachtrag 23.07.2013

Dankbar unterrichte ich hiermit über eine nicht mehr erwartete Freude. E-mail vom 23. Juli 2013 15:03: Info@Rundfunkbeitrag.de Re: Bürgerin/Bürger – Frage zum Rundfunkbeitrag allgemein

„Sehr geehrter Herr Sohns,

wir bedanken uns für Ihre E-Mail.

Sie kontaktieren uns, da Sie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk derzeit
nicht störungsfrei empfangen können. Gerne helfen wir Ihnen diesbezüglich
weiter:

Bitte prüfen Sie zunächst, ob ein Defekt am eigenen Empfangsgerät oder an
der Antennenanlage vorliegt.

Keine Funkstörung liegt in der Regel vor, wenn das Gerät fehlerhaft
und/oder falsch eingestellt ist. Auch ein defektes oder nicht ausreichend
abgeschirmtes Antennenanschlusskabel (das Koaxial-Kabel zwischen der
Antennensteckdose und dem Fernseh-/Tonrundfunkgerät) ist häufig die
Fehlerursache. Hier hilft der Fachhandel oder ein Reparaturbetrieb.

Bei Funkstörungen kann man sich an „Die Bundesnetzagentur“ wenden (nicht
mehr an den „Funkstörmessdienst“, der bis Ende der 80er-Jahre von der
Deutschen Bundespost und der Deutschen Telekom gemeinsam unterhalten
wurde).

Die erforderlichen Maßnahmen zur Aufklärung von Funkstörungen sind für
denjenigen, der eine Störung meldet, kostenlos. Der Verursacher einer
Störung muss hingegen mit einer Aufforderung zur Zahlung von Gebühren für
den gegebenenfalls entstandenen Aufwand rechnen, wenn er gegen
Nutzungsbestimmungen einer Frequenzzuteilung oder andere Vorschriften
verstoßen hat.

Die bundeseinheitliche Telefonummer lautet: 0180 3 23 23 23.

Haben Sie weitere Fragen? Wir beraten Sie gerne.

Mit freundlichen Grüßen“
(ohne Unterschrift)