Bürokratie schreddern?

Schlagworte wie “Bürokratie schreddern“ *1) scheinen in Deutschland populär zu werden. Nicht selten dürften die Trump/Musk-Kampagnen dazu anregen …

1. USA: Demokratieabbau durch “Bürokratieabbau“?

Maßnahmen des “Bürokratieabbaus“ der Trump-Regierung mit der “Kettensäge“ des Elon Musk führten nicht nur zu absurden Ergebnissen. Es genüge hier ein Beispiel unter vielen, die in den USA für Empörung sorgen: Rund 20 % des Fachpersonals der “National Nuclear Security Administration“ seien gefeuert worden. Menschen, die radioaktive Strahlung kontrollieren, die Plutoniumbestände überwachen und vor Diebstahl schützen, die vorbeugend Unglücksfälle verhindern. *2)    

Was bezweckt die “Kettensäge“-Haltung des Trump/Musk-Handelns gegen die Regierungsverwaltung, die Gewaltenteilung durch unabhängige Justiz und Parlamente? 

Sicher ist ein Ziel, das Defizit im Bundeshaushalt und damit die öffentliche Verschuldung zu reduzieren. Bisher setze die Trump-Regierung allerdings eher auf Abbau von rechtsstaatlicher Machtkontrolle durch massive Entlassungen von Mitarbeitenden und deren Ersatz durch Anhänger Trumps und seiner „coterie of billionaires pushing for more oligarchic control of America“. *3) 

Denn die wirklich sehr großen US-Haushaltspositionen im Sozialbereich (Soziale Sicherung bei Arbeitslosigkeit, Alter, für Food stamps, Medicare and Medicaid), die den Amerikanern wichtig sind, werden und wurden auch von republikanischen Regierungen — entgegen ihrer Wahlkampf-Rhetorik — bisher kaum angetastet. *2) 

In den USA und ihren demokratischen Partnerländern mehrt sich schon jetzt die Sorge, dass statt unnötiger Bürokratie die Demokratie der USA abgebaut werde. 

2. Import der US-“Kettensäge“-Feindschaft gegen demokratisch legitimierte Verwaltung?

Damit besteht die Gefahr, dass eine vermeintlich populäre Feindseligkeit gegen die “Bürokratie“ aus den USA nach Deutschland importiert wird. Die richtet sich gegen notwendige Verwaltungsarbeit unseres demokratischen Staates. 

Das ist gefährlich. Gerade weil derzeit unsere Demokratie äußerster Anstrengungen auf allen administrativen Ebenen bedarf:

  • Nachholen jahrelanger Versäumnisse, die Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung durchzusetzen. 
  • Verstärkung sicherheitspolitischer Maßnahmen gegen das breite Arsenal hybrider Aggression durch Russland. 
  • Die auch administrativ besonders hohen Anforderungen an die Aufrüstung der Bundeswehr wegen des drohenden Rückzugs der USA durch Trump aus der NATO-Solidarität. Dies mindert die Abschreckungskraft der NATO gegen den Kriegstreiber Putin. 
  • Und zugleich bedroht Trump die Wirtschaftskraft der NATO-Partner mit Zöllen und Handelskrieg. Die Unsicherheit für die vom Außenhandel stark abhängige deutsche Wirtschaft führt auch in der staatlichen Verwaltung zu steigendem Aufwand für wirtschaftliche Analyse und Zusammenarbeit mit Unternehmen bei der Suche nach neuen Handelspartnern.

Die Sorge gegenüber maßloser Diskreditierung der administrativen Kraft unserer Demokratie erscheint nicht übertrieben. Julia Jäkel, Medienmanagerin, die früheren Bundesminister Thomas de Maizière und Peer Steinbrück und der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Andreas Voßkuhle, warnen: „Systemgegner und Moraleliten säen Misstrauen und schüren Ressentiments gegen staatliche Institutionen und demokratisch legitimierte politische Entscheidungsträger.“ *4, S. 12)

Diese Warnung gilt auch für die Gemeindeebene, die für die Bürgerschaft wichtige Dienste erbringt — sauberes Trinkwasser, Abfallwirtschaft, Sozialleistungen, Verkehrs- und Kommunikationsmittel, Energie, Gesundheits- und Notfalldienste, Schutz von Umwelt und Biodiversität, leistungsfähige Schulen und Kitas … bis hin zum Personalausweis.

Über Beleidigungen und Gewalt gegen Kommunalpolitiker müssen die Medien immer häufiger informieren. Auch „Verwaltungsmitarbeitende berichteten … von Unzufriedenheit mit kommunalen Entscheidungen als Motiv für die Anfeindungen“ *5) 

3. “Wehret den Anfängen“! 

Leider ergibt sich aus Untersuchungen und persönlichen Berichten ein beschämender Eindruck über die Umgangsformen gegenüber den öffentlich Bediensteten gerade auf der Ebene der Gemeinden. Hier breitet sich ein bedenkliches Ressentiment gegen die öffentliche Verwaltung aus, das auf die Länder- und Bundesebene übergreifen kann. Und schließlich kann sich solche Feindseligkeit gegen die demokratische Ordnung richten, wovor herausragende Kenner unseres Staates bereits warnten. *4) Also: “Wehret den Anfängen“!

Deshalb muss hier ein Leitartikel kritisiert werden, den ein wichtiger Medienmultiplikator und Chefredakteur, Florian Harms, kürzlich verbreitet hat: „Erlebnis mit einer deutschen Behörde. Es fühlte sich an wie in Absurdistan. Ich ahne: Unter Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, gibt es womöglich den einen oder die andere, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben.“ *6) Wie dem eigentlich absurden Telefonat von Harms bei einer rheinländischen Stadtverwaltung zu entnehmen ist, ging es ihm um die Bestätigung, ob sein vor Monaten abgeschicktes Schreiben wegen einer “Einspruchsfrist“ angekommen sei. 

Zu seiner “Ahnung“ über ähnliche Erfahrungen seiner „lieben Leserinnen und Leser“ kann nur gehofft werden, dass diese nicht so dumm sind, auf Harms` Zumutung hereinzufallen. Kurz: Wer ist denn so töricht, ein wichtiges Schreiben — z.B. wie bei Harms wegen einer Einspruchsfrist — als einfachen Brief und nicht als “Einschreiben mit Rückschein“ zu senden? Harms hätte sich damit seine endlosen Versuche erspart, den Eingang seines Schreibens bestätigt zu bekommen.

Chefredakteur Florian Harms` “Ahnung“ mag zutreffen, dass im Urteil vieler Menschen die behördlichen Vorschriften überhand nehmen. Deshalb behauptet Harms: „Friedrich Merz und die CDU haben … ´im Wahlkampf versprochen, mit der politischen Machete Schneisen ins Vorschriftengestrüpp zu schlagen.` Die Menschen sind es leid, nur noch mit Verboten, Regulierungen, unkalkulierbaren Kosten und bürokratischen Auflagen konfrontiert zu werden“. *6) 

Die “politische Machete“ ähnelt so fatal den wüsten “Kettensägen“-Auftritten von Trump/Musk gegen das “Vorschriftengestrüpp“, dass durchaus von einem Import der US-Feindseligkeit gegen den öffentlichen Dienst gesprochen werden kann. Daher: “Wehret den Anfängen“! 

“Bürokratieabbau“ — das heißt der Abbau von Vorschriften und Gesetzen, die Unternehmen und Privatleute unnötig belasten — ist gewiss ein wichtiges Reformvorhaben. Wie kann es gelingen?

4. Bürokratie und Staatsreform — ein US-Erfolgsmodell.

CNN-Moderator Fareed Zakaria erinnert an eine gelungene Reform der US-Staatstätigkeit, die Effizienz, Bürokratieabbau und Einsparungen anstrebte und in eindrucksvoller Weise erreichen konnte. *7)

Dieser Erfolg sei Resultat der “Reinventing Government Commission“ (“Rego“) gewesen, die unter der US-Präsidentschaft Bill Clintons (1993 – 2001) vom damaligen Vizepräsidenten Al Gore geleitet wurde. Als die US-Regierung Bill Clinton/Al Gore endete, waren 

  • mehr als 400.000 Arbeitsplätze auf der US-Bundesebene eingespart und 
  • Vorschriften/Regulierungen im Umfang von tausenden Seiten gestrichen worden.  
  • Die gesamten Einsparungen betrugen etwa $ 140 Mrd., was seinerzeit erstaunlichen 10 % des ersten Bundeshaushalts der Clinton-Regierung entsprochen hatte.

Was erklärt den “Rego“-Erfolg der Staats- und Bürokratiereform Al Gores? Zakaria betont: *7)

  • “Rego“ habe in ruhiger, gesetzlicher Weise mit den Bundesbehörden kooperiert und gemeinschaftlich Positionen identifiziert, die gestrichen oder reorganisiert werden konnten.
  • Ferner sei eng mit dem US-Kongress zusammengearbeitet worden, um Gesetze ändern zu können.
  • Vizepräsident Al Gores “Rego“-Kommission sei aufgrund ihrer Arbeit für Reorganisation und Einsparungen in Bundesbehörden nicht ein einziges Mal mit Gerichtsprozessen konfrontiert worden.

Auch Bill Clinton hat „den großen Erfolg“ der “Rego“-Initiative Al Gores damit begründet, dass sämtliche Maßnahmen nach folgenden Grundsätzen entwickelt worden waren: *8)

  • „protect people, not burocracy,
  • promote results, not rules, 
  • get action, not rhetoric“.

Zudem sei darauf geachtet worden, dass die “Rego“-Kommission Al Gores gegenüber der Öffentlichkeit zurückhaltend aufgetreten sei, und es weder auf politische Sensationshascherei noch auf Kontroversen angelegt habe. *8)

Zakaria urteilt deshalb: „Gore’s methods could not have been more different than those of DOGE.“ *7)  

Dies Urteil Zakarias über die Gore/“Rego“-Arbeitsmethode überzeugt gerade im Vergleich zur bisher von Elon Musk öffentlich und propagandistisch praktizierten “Kettensäge“-Methode des “Department of Government Efficiency“ (DOGE):

  • Mit chaotischen Massenentlassungen, gefolgt von Wiedereinstellungen, 
  • weil das gekündigte Personal in unentbehrlichen Bereichen des öffentlichen Dienstes beschäftigt war (z. B. für Nukleare Sicherheit, für Schutz vor gefährlichen Masseninfektionen oder für den Internal Revenue Service (IRS), der gebraucht wird, um Steuern zu erheben und übermäßige Budgetdefizite zu vermeiden).
  • Außerdem führten die nahezu willkürlichen Entlassungen und die Auflösung von öffentlichen Institutionen zu “Dutzenden Gerichtsverfahren“ (Zakaria) und landesweiten Protesten. 

5. Fazit. 

Die kommende Bundesregierung von CDU/CSU und SPD unter Regierungschef Friedrich Merz hat sich auch das Ziel der Staatsreform und des Bürokratieabbaus gesetzt. 

Nimmt man das Friedrich Merz (CDU) von Florian Harms *6) zugeschriebene “Versprechen“ ernst, er habe im Wahlkampf zugesagt, “mit der politischen Machete Schneisen ins Vorschriftengestrüpp zu schlagen“, kann nur gewarnt werden. Denn hier drängt sich der Verdacht auf, die “Kettensäge-Rhetorik“ von Trump/Musk mit ihrem bisher offenkundig verursachten Chaos sei von Merz und der CDU nach Deutschland importiert worden.

Hoffentlich nehmen die möglichen Koalitionspartner den Vergleich Fareed Zakarias zwischen der Al Gore/“Rego“-Arbeitsmethode und der Trump/Musk-“Kettensäge“-Methode zur Kenntnis.

Werden sie trotz scheinbar populärer Feindseligkeit gegen die öffentliche Verwaltung die richtigen Schlüsse für Bürokratieabbau in Deutschland ziehen? Damit diese Reform gelingt?

*1) FDP und Gesamtmetall-Arbeitgeber verwenden den Slogan, die FAZ greift ihn auf: FAZ, 06.11.2023 — Viele Vorschriften in Deutschland sind überflüssig. Um sie zu schreddern, braucht es allerdings ein bisschen Mut. /„Wir schreddern Bürokratie!“ — FDP 26.9.2024; https://www.youtube.com/watch? / standortretten 2025 | Die Arbeitgeber der Metall- und Elektro-IndustrieINNOVATIONEN RETTEN: BÜROKRATIE SCHREDDERN https://standort-retten.de/buerokratie/

*2) CNN.com – Transcripts. 13.04.2025. The War On Government. A Fareed Zakaria Special; https://transcripts.cnn.com/show/fzgps/date/2025-04-13/segment/02

*3) Robert Reich. Trump’s first week: The Real Story. 26.01.2025; robertreich@substack.com.

*4) Die genannten vier Autoren haben im Sommer 2024 die „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ gegründet. Sie wird von den Stiftungen Hertie, Mercator, Thyssen und Zeit Bucerius unterstützt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Schirmherrschaft übernommen. Ihr Zwischenbericht „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ will „dazu beitragen, Blockaden und Selbstblockaden staatlichen Handelns aufzulösen.“ (S. 4) Ihre Vorschläge und der für Juli 2025 erwartete Abschlussbericht verfolgen Ziele, die für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Demokratie zentrale Bedeutung haben: Identifizierung der strukturellen Bedingungen, die in unserer föderalen Staatsordnung erfüllt sein sollten, damit staatliche Reformen und Politik gelingen können. Von dieser Leistung der vier Autoren und der Mitglieder der 7 Arbeitsgruppen (S. 83 ff.) werden Bürgerinnen und Bürger einen Referenzrahmen für die Arbeit der künftigen Bundesregierung in unserem demokratischen Föderalstaat erwarten. Siehe: Julia Jäkel,Thomas de Maizière, Peer Steinbrück, Andreas Voßkuhle, Zwischenbericht INITITIATIVE FÜR EINEN HANDLUNGSFÄHIGEN STAAT, Berlin, im März 2025; https://www.ghst.de/fileadmin/images/01_Bilddatenbank_Website/Demokratie_staerken/Initiative_für_einen_handlungsfähigen_Staat/20250311_Zwischenbericht_interaktiv.pdf

*5) Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) Jena. Demokratie unter Druck — Anfeindungen auf Amtsträger*innen in der Kommunalpolitik und Beschäftigte der Kommunalverwaltung Thüringens. Forschungsbericht April 2023, S. 21. Eine zunehmende Verrohung zeige sich besonders im Umgang mit den Verwaltungsmitarbeiter*innen. (S. 7, 8 f.); https://www.idz-jena.de/fileadmin/user_upload/Publikationen IDZ_Forschungsbericht_Angriffe_Kommunalpol_verw_2023.pdf. 

*6) TAGESANBRUCH. Willkommen in Absurdistan! MEINUNG. Von Florian Harms. Aktualisiert am 30.03.2025; https://www.t-online.de/nachrichten/tagesanbruch/id_100656668/deutsche-buerokratie-willkommen-in-absurdistan-.html (Hervorhebung RS).

*7) FAREED ZAKARIA, CNN ANCHOR. 02.03. 2025. We’ll start today’s program with that truly extraordinary meeting between Trump, Vance, and Zelenskyy in the Oval Office. The shouting. CNN.com – Transcripts; https://transcripts.cnn.com/show/fzgps/date/2025-03-02/segment/01

*8) Bill Clinton. My Life. London 2004. S. 648