USA – handelspolitische Willkür!
Am 2. April 2025 hat US-Präsident Trump den Nationalen Notstand ausgerufen: Die hohen und andauernden Defizite im US-Außenhandel mit Waren hätten zu De-Industrialisierung geführt und die industrielle Basis des Landes untergraben. *1)
1. Trumps handelspolitische Abrechnung.
Präsident Trump macht vor allem seine Vorgänger im Amt dafür verantwortlich, dass die USA von ihren Handelspartnern ausgenutzt würden. Diese Länder hätten ihre Exporte in die USA manipulativ verbilligt zum Nachteil von US-Exporten — u. a. durch exorbitante Mehrwert-Steuern auf US-Exporte, durch künstlich niedrige Wechselkurse ihrer Währung zum US-Dollar ($) und sonstige für US-Produzenten nachteilige Vorschriften.
Solche für die USA „schädlichen Wirtschaftspolitiken und Praktiken unserer Handelspartner untergraben unsere Fähigkeit, die wichtigsten Güter für unser Volk und das Militär zu produzieren und bedrohen damit die nationale Sicherheit“ — heißt es in Trumps Ausruf des Nationalen Notstands. *1)
Trump sieht sich selbst als der erste US-Präsident seit Jahrzehnten, der den unfairen Handelspraktiken anderer Länder entgegentrete, um die amerikanischen Unternehmen und die Arbeiterschaft zu schützen. Seit Generationen seien die USA ausgenutzt worden durch „Ungleichheit der Belastung durch Zölle und andere Barrieren für US-Exporte („unfair tariff disparities and non-tariff barriers imposed by other countries“). *1)
Trump bezichtigt die US-Handelspartner, zu Lasten der USA unfaire Handelspraktiken anzuwenden. Dies wird von vielen Ländern bestritten. Gerade gegenüber der Europäischen Union (EU) erscheinen Trumps Feststellungen pauschal und ungerechtfertigt.
Ein so reicher Wirtschaftsraum wie die USA kann sich Importüberschüsse leisten. Die Ausgaben der USA (Privat und Staat) für Investitionen und Konsum übersteigen den Wert ihrer Produktion; den Ausgabenüberschuss stellt das Ausland bereit. Diese Ursache des Handelsdefizits ist wirtschaftliches Allgemeinwissen: Übersteigen in einem Jahr die Investitionen den Konsumverzicht (= das Sparen), ist die Folge ein Handelsdefizit, der Importwert ist höher als der Exportwert.
Ob sich amerikanische Konsumenten und Investoren von ihrer Importnachfrage nach ausländischen Produkten durch Trumps Zollpolitik abbringen lassen, kann hier nicht beantwortet werden. Dazu bedarf es mindestens einiger Jahre der Beobachtung. Dies sei der folgenden Untersuchung zu Trumps Zollpolitik vorausgeschickt.
2. Ziel der Zollpolitik Präsident Trumps.
Gestützt auf den “International Emergency Economic Powers Act of 1977 (IEEPA)“ hat Trump den Nationalen Notstand erklärt und folgende zollpolitische Maßnahmen ergriffen: *2)
- Einen Zollsatz von 10 % auf den Wert aller Importe in die USA, zu zahlen von den in die USA importierenden Firmen an die US-Regierung.
- Einen Zollsatz von 25 % auf den Wert aller im Ausland produzierten Automobile.
- Zusätzlich einen “individualized reciprocal higher tariff“, einen auf den jeweiligen Handelspartner der USA bezogenen “reziproken Zollsatz“, der den Charakter eines Strafzolls hat. Denn Trump hat ihn in seiner öffentlichen Erklärung zu seiner Zollpolitik vom 2. April 2025 so beschrieben: “For nations that treat us badly, we will calculate the combined rate of all their tariffs, nonmonetary barriers and other forms of cheating.” *2)
Das hohe und andauernde Defizit im Warenhandel angeblich infolge der zum Nachteil der USA missachteten Gegenseitigkeit (“absence of reciprocity in our trade relationships“) durch die Handelspartner der USA solle reduziert werden. Insbesondere durch die “reziproken Zollsätze“ auf den US-Import von Ländern, die gegenüber den USA besonders hohe Export-Überschüsse erzielt hätten.
Denn — so führte Präsident Trump aus — diese Handelsvorteile benachteiligten die USA seit Jahrzehnten, weil die Handelspartner im Gegensatz zu den USA „massive Zölle auf unsere Produkte erhoben und empörende nicht-monetäre Barrieren errichtet haben, um unsere Industrien zu dezimieren … Sie manipulierten ihre Währungen, subventionierten ihre Exporte, stahlen unser geistiges Eigentum, erhoben exorbitante Mehrwert-Steuern, schufen unfaire Vorschriften, technische Standards und schmutzige Umweltregeln — alles zum Nachteil unserer Produkte.“ *2)
Seine Zollpolitik, so Trump, werde die ausländischen Handelsbarrieren gegen die USA-Produkte zerbrechen, “Jobs and factories will come roaring back into our country … more production at home will mean stronger competition and lower prices for consumers. This will be indeed the Golden Age of America.“ *2)
Trump feierte sich und seine Regierung für den 2. April 2025 als “Liberation Day“, als Tag der “Declaration of Economic Independence“: „April 2nd, 2025 will forever be remembered as the day American industry was reborn, the day America’s destiny was reclaimed, and the day that we began to make America wealthy again.“ *2)
3. US-Kalkulation “reziproker Zollsätze“ auf US-Importe von Handelspartnern.
Von der Drohung mit “reziproken Zollsätzen“ gegen die US-Warenimporte erwartet die Trump-Regierung, das Defizit der US-Handelsbilanz zu verringern. Die US-Handelsbilanz ist dabei definiert als $-Wert der US-Warenexporte an andere Länder minus $-Wert der US-Warenimporte aus anderen Ländern.
Das Defizit der US-Handelsbilanz in Bezug auf Waren (goods) besteht seit Jahrzehnten, es wächst, und es betrug 2024 etwa 1.2 Bio. US-$. Um diesen Betrag war der $-Wert der US-Warenexporte geringer als der $-Wert der US-Warenimporte. Unterschlagen wird von Trump-Protektionisten gern, dass die USA im Handel mit Dienstleistungen (services) einen Überschuss aufweisen, allerdings könnte dieser Überschuss 2024 nur etwa ein Viertel des Defizits im Warenhandel ausgleichen. *3)
Versucht sei hier eine vereinfachte Erklärung des von der Trump-Regierung angewendeten “reziproken Zollsatzes“ (abgekürzt: RZeu) am Beispiel des US-Warenhandels mit der Europäischen Union (EU) *4). Ausgeführt werden die Berechnungen durch das US-Handelsministerium unter US-Secretary of Commerce, Howard Lutnick, United States Trade Representative (USTR).
- Die angestrebte Wirkung der “reziproken Zollsätze“ ist, das bilaterale Handelsdefizit zwischen den USA und jedem Handelspartner auszugleichen. RZeu müsste also um so höher sein, je höher das Handelsdefizit zwischen den USA und der EU ist: (US-Export in die EU (EXeu) minus US-Import aus der EU (IMeu) < Null.
- Je stärker die $-Preise für Importe aus der EU steigen, wenn der US-Zollsatz gegen die EU erhöht wird, desto niedriger könnte dieser “reziproke Zollsatz“ RZeu angesetzt werden. USTR nimmt an, wenn der Zollsatz RZeu um 1 $ steigt, steigen die $-Importpreise aus der EU um 0.25 $.
- Je stärker die US-Import-Nachfrage (IMeu) fällt, wenn der $-Preis für Importe aus der EU steigt, desto niedriger kann RZeu (wegen 1. und 2.) angesetzt werden. USTR nimmt an, wenn der $-Preis für Importe aus der EU um 1 $ steigt, falle die US-Import-Nachfrage (IMeu) um 4 $.
- Aus den extrem vereinfachenden Annahmen der USTR zu “reziproken Zollsätzen“ (sog, „ceteris paribus-Klausel“, d. h. alle anderen ökonomischen Größen bleiben gleich bzw. unberücksichtigt) folgt: Die Einführung des zusätzlichen “reziproken Zollsatzes“ RZeu gegen die EU führt zu einer so starken $-Preisreaktion (Annahme 2), dass die preisempfindliche US-Importnachfrage (IMeu) (Annahme 3) das Handelsbilanz-Defizit der USA gegenüber der EU ausgleichen könne.
- Das wird gemäß der USTR-Formel für den “reziproken Zollsatz“ gegen die EU rechnerisch ausgedrückt: „the reciprocal tariff that results in a bilateral trade balance of zero satisfies“: RZeu (0.25 x 4 x IMeu) = (EXeu – IMeu) = oder < 0. Somit: RZeu (1 x IMeu) = (EXeu – IMeu). Der “reziproke Zollsatz“, den USTR in Bezug auf den Warenhandel USA -EU kalkuliert, ist demnach: 0 < RZeu = (EXeu – IMeu) : IMeu. Anders dargestellt: RZeu = (EXeu : IMeu) – 1. Das heißt: Der “reziproke Zollsatz“ RZeu gegen US-Import von Waren aus der EU wird Null, wenn kein US-Handelsdefizit mehr mit der EU besteht.
RZeu, den USTR in Bezug auf den Warenhandel USA-EU kalkuliert, ist zugleich der Zollsatz, den die EU gegen die USA nach Auffassung von USTR anwende — nicht nur durch Zölle, auch durch den angeblich manipulierten, unterbewerteten Wechselkurs des € gegen den $ und sonstige Vorschriften und Handelsbarrieren, die Exporte der USA in die EU verteuern und umgekehrt EU-Exporte in die USA kostengünstig gestalten.
Das Vorgehen der USTR-Behörde sei am Beispiel der US-Handelspolitik gegenüber der EU illustriert, nach der Tabelle, die Präsident Trump der Weltöffentlichkeit präsentiert hat. Die USA sollten, dem oft gehörten handelspolitischen Trump-Motto “Auge um Auge – Zahn um Zahn“ folgend, den Importen aus der EU den “reziproken Zollsatz“ RZeu auferlegen. Dessen Berechnung ergibt sich für USTR gemäß 5. durch die folgenden einfachen Rechenschritte: *5)
- Das US-Defizit im Warenhandel mit der EU betrug 2024 (EXeu – IMeu): 235.6 Mrd. US-Dollar.
- Die US-Warenimporte aus der EU betrugen 605.8 Mrd. US-Dollar.
- Der “reziproke Zollsatz“ RZeu ist somit: 235.6 : 605.8 = 0.39 bzw. 39 %.
4. US-Zollpolitik: Trump zeigt/simuliert handelspolitische Milde …
Die Ansagen von Präsident Trump gegenüber der EU werden wegen ihrer handelspolitischen Bedeutung im folgenden wörtlich zitiert. Die EU habe die USA sehr schlecht behandelt. Trump gibt ein Beispiel: *2)
- „Through non-tariff barriers, the European Union bans imports of most American poultry (Geflügel). You understand? They say we want to send you our cars, we want to send you everything, but we are not going to take anything that you have.“ *2)
- Und Trump fährt fort: „We take care of countries all over the world. We pay for their military. We pay for everything they have to pay, and then when you want to cut back a little bit, they get upset that you’re not taking care of them any longer, but we have to take care of our people, and we are going to take care of our people first, and I am sorry to say that. And today we are standing up for the American worker, and we are finally putting America first.“ *2)
Unter Beifall zeigt Trump das gute Herz: „We are being very kind, we are a kind people, very kind“. *2)
Deshalb verlange Trump gar nicht, dass die US-Handelspartner bei ihren Warenexporten in die USA mit dem vom US-Handelsministerium (United States Trade Representative, USTR) ermittelten vollen “reziproken Zollsatz“ belastet werden. Trump begnügt sich mit der Hälfte dieses “reziproken Zollsatzes“: „We will charge them approximately half of what they are and have been charging us. So the tariffs will be not a full reciprocal, I could have done that, yes, but it would have been tough for a lot of countries. We didn’t want to do that“. *2)
Und dann gibt sich Trump großherzig gegenüber der EU: „But now we are going to charge. European Union, they are very tough, very, very tough traders. You know, you think of European Union, very friendly. They rip us off. It is so sad to see. It is so pathetic, 39 percent. We are going to charge them 20 percent. So we are charging them essentially half.“ *2)
Trump nimmt also für sich in Anspruch, aus Großherzigkeit die EU bei ihren Warenexporten in die USA nicht mit dem vollen “reziproken Zollsatz von 39 %“ zu belasten, mit dem die EU nach USTR-Kalkulation die Warenexporte der USA in die EU behindere. Trump begnügt sich — “we are a kind people, very kind“ — mit dem “reziproken Straf-Zollsatz von 20 %“ auf EU-Warenexporte in die USA.
5. Globale handelspolitische Unsicherheit: Verhandlung oder Vergeltung?
Die sogenannten “reziproken Zölle“, die vom US-Handelsministerium (USTR) gegen angebliche handelspolitische Diskriminierung von US-Warenexporten durch viele Länder verhängt wurden, beruhen auf stark vereinfachenden Annahmen: über die $-Preis-Reaktion für US-Warenimporte auf eine US-Zollerhöhung und die Reaktion der US-Importnachfrage für Waren auf $-Preissteigerungen (Siehe Abschnitt 3. USTR-Annahmen 2 und 3).
Zu diesen Berechnungen über tatsächliche Strafzölle hat sich USTR auf komplizierte Modellanalysen renommierter Ökonomen berufen. Jeder halbwegs Wirtschaftskundige vermutet jedoch in solchen mathematischen Modellen ein anspruchsvolles theoretisches “Glasperlenspiel“ und hütet sich, diese Wissenschaftler und ihre Analysen für seine politischen Entscheidungen in Anspruch zu nehmen. Deshalb finden sich jetzt in den US-Medien Hinweise der von USTR zitierten Ökonomen, die sich von Trump „falsch verstanden“ fühlen.
Robuster sind Kommentare von Politikern, die langjährige Erfahrungen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik vorweisen können. So kommentiert Peer Steinbrück (SPD, ehemaliger Ministerpräsident von NRW und Bundesminister der Finanzen) die Zollpolitik Trumps: „Völlig bescheuert, aber er (Trump) weiß genau, dass er für diese Zollpolitik in weiten Teilen der Beschäftigten im amerikanischen Industriebereich Zustimmung hat. Dort wird das empfunden als Schutz der Arbeitsplätze. Als America First … Der Mann denkt nicht. Er haut einem zunächst mal eins, auf Deutsch gesagt, in die Fresse — in der Annahme, dass man dann schon zähneknirschend bereit ist, ihm etwas zu geben und zu konzedieren“.*6)
Ob Präsident Trump mit seiner zollpolitischen “Schocktherapie“ gegen langjährige Handelspartner sein Ziel erreicht, neue und bedeutende Industriezweige in den USA anzusiedeln, ist fraglich und kann ohnehin nur auf lange Sicht geprüft werden.
Kurzfristig dominieren weltweit Kursstürze an Aktienbörsen und erhöhte Unsicherheit, ob es zu einer Eskalation von Handelskonflikten kommen wird. Das ist auch weltweit Gift für Investitionen, wirtschaftliches Wachstum und stabile Währungen und Preisniveaus. Ein selektives handelspolitisches Feilschen droht, Handelsströme könnten die Länder-Richtung ändern (Handelsumlenkung durch US-Zölle und davon ausgelöste Vergeltungszölle), Währungs- und Börsenspekulationen verschlimmern die Unsicherheit, die Handelskonflikte, die Krisengefahr.
Deshalb erscheint es abschließend angemessen, auf die warnenden Worte von Frau Dr. Ngozi Okonjo-Iweala, Director-General of the WTO, zu verweisen: *7)
“The WTO Secretariat is closely monitoring and analysing the measures announced by the United States on April 2, 2025 … The recent announcements will have substantial implications for global trade and economic growth prospects. While the situation is rapidly evolving, our initial estimates suggest that these measures, coupled with those introduced since the beginning of the year, could lead to an overall contraction of around 1% in global merchandise trade volumes this year, representing a downward revision of nearly four percentage points from previous projections. I’m deeply concerned about this decline and the potential for escalation into a tariff war with a cycle of retaliatory measures that lead to further declines in trade.“
*1) Fact Sheet: President Donald J. Trump Declares National Emergency to Increase our Competitive Edge, Protect our Sovereignty, and Strengthen our National and Economic Security. April 2, 2025; https://www.whitehouse.gov/fact-sheets/2025/04/fact-sheet-president-donald-j-trump-declares-national-emergency-to-increase-our-competitive-edge-protect-our-sovereignty-and-strengthen-our-national-and-economic-security/
*2) Präsident Trumps Rede zur Zollpolitik am 02.04.2025. Siehe Transkript in: RICHARD QUEST, CNN INTERNATIONAL HOST; https://transcripts.cnn.com/show/qmb/date/2025-04-02/segment/02 (Übertragung RS).
*3) U.S. International Trade in Goods and Services, December and Annual 2024;
https://www.bea.gov/news/2025/us-international-trade-goods-and-services-december-and-annual-2024 (RS Dort finden sich die Angaben für 2024. Handelsdefizit (Waren): Warenimport $ 3.3 Bio. minus Warenexport $ 2.1 Bio. = Handelsdefizit (Waren) $ 1.2 Bio. Handelsüberschuss Dienstleistungen: Dienstleistungsexport $ 1.1 Bio. minus Dienstleistungsimport $ 0.8 Bio. = Handelsüberschuss Dienstleistungen $ 0,3 Bio.)
*4) Office of the United States Trade Representative (USTR). Executive Office of the President. Reciprocal Tariff Calculations. 2 April 2025; https://ustr.gov/issue-areas/reciprocal-tariff-calculations (Hervorhebung und Unterstreichung RS).
*5) Office of the United States Trade Representative (USTR). European Union Trade Summary. Dort finden sich folgende für die Berechnung des RZeu nötige Angaben: „The U.S. goods trade deficit with the European Union was $235.6 billion in 2024 … U.S goods imports from the European Union totaled $605.8 billion in 2024.
*6) Steinbrück haut bei „Markus Lanz“ auf den Putz: „Völlig bescheuert“. Von Benjamin Richter. 03.04.2025; https://www.tag24.de/unterhaltung/promis/markus-lanz/steinbrueck-haut-bei-markus-lanz-auf-den-putz-voellig-bescheuert-3374039
*7) Statement from Dr. Ngozi Okonjo-Iweala, Director-General of the WTO. Ngozi Okonjo-Iweala, Director-General of the WTO, issued the following statement on 3 April; https://www.wto.org/english/news_e/spno_e/spno57_e.htm. (Hervorhebung RS).