Bundeskanzler Schröder äußert sich.

Durch klare Worte oder durch Schweigen oder vielleicht durch einen Anwalt.

Dies scheint klug, wenn die Erfahrungen mit medialen Hetzmeuten im Fall des Bundespräsidenten Christian Wulff berücksichtigt werden.

Die beiden ersten Stellungnahmen Schröders — durch Worte und durch Schweigen — sind als politische Lehrstücke von bleibendem Wert im Rahmen einer beginnenden Medienkampagne gegen den letzten sozialdemokratischen Bundeskanzler. Deshalb werden sie hier ausführlicher beleuchtet.

Klare Worte zum 9. November.

Das Datum des 9. November habe schicksalhafte Symbolkraft für die deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert.

Der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann rief am 9. November 1918 vom Balkon des Reichstags den Menschen zu: „Es lebe das Neue; es lebe die Deutsche Republik!“ Diese Initiative Scheidemanns drückte Hoffnung und Aufbruch für Demokratie aus. Und nahm „der extremen Linken das Heft aus der Hand.“ *1)

Am 25. Jahrestag des Mauerfalls, am 9. November 2014, gelte es — so Bundeskanzler Schröder — den Menschen zu danken, „die mit ihrem Mut … die Mauer zum Einsturz brachten.“ Diese Dankesschuld schließe die Menschen in Osteuropa ein, die — beginnend in den 1980er-Jahren mit der Gewerkschaft Solidarność in Polen — jahrzehntelange Unterdrückung abschütteln konnten. „Die Bedeutung des 9. November 1989 ist nur im europäischen Kontext zu verstehen … Daraus erwächst auch eine Verantwortung für eine Perspektive auf Frieden, Freiheit und Wohlstand in Europa.“ *2) Und dies gilt auch für den europäischen Staat Ukraine, sollte hinzugefügt werden!

Der 9. November stehe aber nicht nur für diese beiden Ereignisse historischen Aufbruchs, sondern auch für „einen Tag der Scham, an dem 1938 mit den nationalsozialistischen Pogromen gegen die deutschen Juden eine systematische Verfolgung begann, die im Holocaust mündete“. *2)

Drei Tage des 9. November im 20. Jahrhundert — 1918, 1938, 1989 — für Gerhard Schröder Anlass, an zwei seiner fundamentalen außen- und sicherheitspolitischen Ziele zu erinnern: Erstens, den „Prozess der europäischen Einigung von West- und Osteuropa fortzusetzen.“ Zweitens, nachdem Deutschland durch den „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ die staatliche Souveränität erhalten hatte, dieser Souveränität durch Übernahme „internationaler Verantwortung“ zu entsprechen.*2) *3)

Erstens: Europäische Einigung.

Mit dem Beitritt der mittelosteuropäischen Staaten zur Europäischen Union am 1. Mai 2004 wurde „die Spaltung, unter der unser Kontinent im Kalten Krieg gelitten hatte, überwunden.“

Zehn Jahre danach erinnert uns Bundeskanzler Schröder an die notwendigen Grundlagen, die „eine Vision Wirklichkeit“ werden ließen: „die Verankerung im transatlantischen Bündnis, die von Willy Brandt eingeleitete Politik der Entspannung, die bis heute wirke, aber ebenso ein auf Zusammenarbeit basierendes europäisch-russisches Verhältnis“. *2)

Damit stellt Gerhard Schröder für die europäische Außen- und Sicherheitspolitik fest: Noch sei nicht gelungen, „eine Sicherheitsarchitektur zu schaffen, die Frieden auf dem ganzen europäischen Kontinent einschließlich Russlands gewährleistet … Sie zu bauen ist eine Herausforderung und Verantwortung für die heute politisch Handelnden in Europa und Russland.“ *2) Und diese Verantwortung umfasst die Garantie für territoriale Integrität der selbstbestimmten, demokratisch verfassten Ukraine, sollte hinzugefügt werden!

Diese Feststellung Schröders erklärt uns Bürgern, warum die Bundesregierung, die NATO und die Europäische Union, ungeachtet der Brüche von Vereinbarungen, von Verträgen und des Völkerrechts durch Präsident Putin, an Verhandlungen und Diplomatie festhalten. Obwohl dieser Weg durch den Kreml immer wieder diskreditiert wird.

Nur wenige haben das Dilemma der europäischen Verhandlungsdiplomatie gegenüber Präsident Putin so klar formuliert wie Josef Kirchengast, Redakteur Außenpolitik des STANDARD:

„Worüber aber soll verhandelt werden? Ob die von der EU als verfassungswidrig bezeichneten Wahlen in den Separatistengebieten doch anerkannt werden? Ob Russland die Vereinbarungen von Minsk so auslegen darf, wie es will? Ob Moskau auch ganz offiziell Truppen in der Ostukraine einsetzen darf? Sind diese Punkte aufgrund der Prinzipien, zu denen sich die EU bekennt, tabu, dann können Verhandlungen nur eine verlogene Scheindiplomatie sein. Und das bedeutet die Anerkennung der Fakten, die Russland gewaltsam geschaffen hat.“ *4)

Gerhard Schröders Darlegungen helfen, das „Trotz alledem“ des unendlich mühseligen Verhandlungsprozesses zu verstehen, der mit Sanktionen gegen Russland verbunden werden muss. Damit es nicht zu „verlogener Scheindiplomatie“ kommt.

Zweitens: Übernahme internationaler Verantwortung.

Bundeskanzler Schröders Regierungszeit war mit zwei schwerwiegenden sicherheitspolitischen Problemen konfrontiert, auf die nicht nur diplomatisch und entwicklungspolitisch, sondern auch durch militärisches Engagement zu reagieren war.

Zuerst kam der NATO-Einsatz 1999 wegen des drohenden Massenmordes an den Kosovaren und der Vertreibung aus ihrem Land durch den Staatspräsidenten der Bundesrepublik Jugoslawien Slobodan Milošević.

Dann ereigneten sich die Anschläge des 11. September 2001 durch Terroristen, die aus Deutschland kamen.

Bundeskanzler Schröder sicherte dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, George W. Bush, die „uneingeschränkte Solidarität“ Deutschlands zu. *5) Und Deutschland übernahm „im Rahmen des Afghanistan-Einsatzes ein hohes Maß an internationaler Verantwortung.“ *2)

Gerhard Schröder schließt seine Betrachtung zum 9. November: „Unser Land handelt souverän und im Bewusstsein seiner Geschichte – das ist auch eine Konsequenz aus der Erinnerung an den 9. November.“ *2) Und dieses souveräne Handeln im Bewusstsein der Geschichte ist auch unveräußerliches Recht der Ukraine, sollte hinzugefügt werden!

Das Schweigen des Bundeskanzlers Gerhard Schröder.

Was soll der Bürger von einer beginnenden Medienkampagne gegen einen Bundeskanzler vom Format Gerhard Schröders halten?

Dessen politische Entscheidungen und Verdienste nachwirken. Von dessen Agenda 2010 die deutsche Wirtschaft noch immer profitiert. Überdies suchte die Agendapolitik unseren Sozialstaat langfristig und demografiefest zu stabilisieren.

Das Erstaunliche an dieser Kampagne ist der Ansatz in einem durchaus schäbigen Klein-Klein, das man von renommierten Journalisten nicht erwartet hätte.

Da ist Michael Spreng, der ehemalige Wahlkampfleiter des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU), der 2002 am Wahlkämpfer Gerhard Schröder scheiterte.

Politikberater und Publizist Spreng öffnet den Mund weit: „Ein Bundeskanzler muss sich nicht nur an Recht und Gesetz halten, was Schröder ohne Zweifel getan hat, sondern er hat auch eine besondere moralische Verpflichtung. Da geht es um die alten Begriffe wie Anstand und was man tut und was man nicht tut.“ *6)

Gemeint sind Kontakte zu dem niedersächsischen Finanzunternehmer Carsten Maschmeyer u.a. wegen der Verwertungsrechte an Schröders Autobiografie. Laut Spreng hat Maschmeyer „ein Beziehungsgeflecht aufgebaut, er hat sich zielstrebig an prominente Politiker herangewanzt, die hatten nicht die Charakterstärke, dieses Heranwanzen zu erkennen und abzuwehren, und sind fragwürdige Duzfreundschaften eingegangen.“ *6)

Auf solchen Experten im „Heranwanzen“ kann der Bundeskanzler Schröder allerdings nur mit Schweigen reagieren.

Schweigen — auch gegen den herausragenden Journalisten Günter Bannas bleibt nichts anderes: „Schröders Engagement für das Pipeline-Projekt Nord Stream, bekannt geworden nur wenige Wochen nach seiner Kanzlerschaft, brachte ihn, den Sozialdemokraten, in den Ruf, des Geldes wegen in die Dienste fremder (russischer) Mächte zu treten.“ *7)

Bekanntlich sind die Anteilseigner der Nord Stream AG: OAO Gazprom, die deutsche Wintershall Holding GmbH (eine BASF-Tochtergesellschaft), die deutsche E.ON SE, die N.V. Nederlandse Gasunie und die französische GDF SUEZ SA. 51 % der AG-Anteile hält Gazprom, 49 % halten die angesehenen deutschen, holländischen und französischen Energieunternehmen. *8) In der unternehmerischen Praxis bedeutet dies, Entscheidungen werden im Konsens getroffen.

Mit Gerhard Schröder als Vorsitzendem des Gesellschafterausschusses der Nord Stream AG gewährleisten diese Unternehmen immerhin die Energiesicherheit in Europa. Wie ein Journalist vom Range Bannas` zu der Wertung kommt, der ehemalige Bundeskanzler Schröder sei „in die Dienste fremder (russischer) Mächte“ getreten, ist für den Leser der F.A.Z. unverständlich.

Nur noch ein Journalist sei hier angeführt: Nikolaus Blome, ein Herr von Intellekt und hohem Rang als Politikanalytiker. Blome weiß: „Ehemaliger Bundeskanzler ist man sein Leben lang; von diesem Amt, und es ist ein Amt, gibt es keinen Rücktritt. Das bringt einiges mit sich, Grenzen für das eigene Handeln und Pflichten.“ *9) Dem ist zuzustimmen.

Dann betritt Blome das dünne Eis, auf dem er — schließlich nach Jahren — schon in der Kampagne gegen den gerichtlich rehabilitierten Bundespräsidenten Wulff eingebrochen und durchaus diskreditiert ist: „Offenbar hat Finanzunternehmer Maschmeyer Millionenbeträge an Gerhard Schröder gezahlt, ohne von ihm eine adäquate Gegenleistung zu erhalten. Der Ex-Kanzler schweigt – dreister geht es kaum.“ *9)

Dieser schwammige Satz ist sicher von den SPIEGEL-Juristen nach den Regeln der Kunst geprüft und freigegeben worden.

Warum schreibt Blome so etwas? Weil ich seine Analysen sehr achte, sei einer respektvollen Vermutung nachgegangen. Die läuft darauf hinaus: Der Politikanalytiker ist mit ihm durchgegangen.

Nikolaus Blome ist ein lesenswertes Buch zur politischen Bildung gelungen: „Der kleine Wählerhasser“.*10) Blome will zeigen, dass sich Wähler und Gewählte immer mehr voneinander entfernen — als Fall von „Entfremdung“.

Sei es im Wahlkampf, am Info-Stand, in der Bürgersprechstunde, oder bei Durchsicht der Postmappe — Politiker urteilen nach ausgiebigen Kontakten mit ihrem Wahlvolk: „Politik zieht Irre an, wie das Licht die Motten“ (*10, S. 86). Dafür hat Blome einiges an Belegen beigebracht. Und damit das Problem des Politikprofis wie des Presseprofis gegenüber seinen Kunden enthüllt: Wie der eine zum „kleinen Wählerhasser“, wird der andere zum „kleinen Leserhasser.“

Vor diesem Hintergrund mag Nikolaus Blome über Gerhard Schröder schreiben, was er will. Ob Blome legitimiert ist, als selbsternannter Bürgeranwalt Gerhard Schröders Schweigen als „dreiste“ Missachtung des Bürgers zu werten, werden seine „verhassten“ Leser selbst entscheiden. 

Die Frage bleibt offen: Wer sagte im Falle des ehemaligen Bundeskanzlers Schröder „Fass!“?

*1) Gordon A. Craig, Deutsche Geschichte 1866 – 1945, 1. Auflage in der Beck´schen Reihe 1999, S. 433.

*2) Aufruf zur Verständigung mit Russland. Altkanzler Schröder für 9. November als Feiertag; Neue Osnabrücker Zeitung, http://www.noz.de/deutschland-welt/politik/artikel/520367/, 07.11.2014.

*3) Zum „Zwei-plus-Vier-Vertrag“: „Zwei“ — BRD und DDR; „Vier“ — USA, Großbritannien, Frankreich, Sowjetunion. „Der Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland wurde von den Außenministern der Zwei-Plus-Vier-Staaten am 12.9.1990 in Moskau unterzeichnet. Am 1.10.1990 verzichteten die Vier Mächte in einer gemeinsamen Erklärung in New York auf ihre Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Deutschland, wodurch dieses seine volle Souveränität erhielt. Drei Tage darauf wurde der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik vollzogen. Das vereinte Deutschland und die drei Westmächte ratifizierten zügig den Zwei-Plus-Vier-Vertrag. In Moskau ließ man sich dagegen Zeit. Schließlich ratifizierte der Oberste Sowjet nach kontroverser Debatte am 4.3.1991 das Abkommen. Die Ratifikationsurkunde übergab Botschafter Terechow am 15.3.1991 an Außenminister Genscher, erst dadurch trat der Vertrag in Kraft. Nach der Auflösung der Sowjetunion übernahm Rußland die Pflichten der ehemaligen UdSSR aus den Verträgen mit Deutschland.“ Siehe: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/AAmt/Geschichte/ZweiPlusVier/ZweiPlusVier_node.html.

*4) Josef Kirchengast, Neue Eskalation im Ukraine-Konflikt: Verlogene Scheindiplomatie, 11. November 2014; http://derstandard.at/2000008007928/Neue-Eskalation-im-Ukraine-Konflikt.

*5) http://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/69001/der-11-september-2001-09-09-2010.

*6) ALT-KANZLER SCHRÖDER. „Ein Bundeskanzler hat eine besondere Moralische Verpflichtung.“ Michael Spreng im Gespräch mit Friedbert Meurer, 15.11.2014; http://www.deutschlandfunk.de/alt-kanzler-schroeder-ein-bundeskanzler-hat-eine-besondere.694.de.html?dram:article_id=303307.

*7) Gerhard Schröder. Verstoß gegen die guten Sitten, 14.11.2014, von Günter Bannas; Quelle: F.A.Z.

*8) S. Nord Stream AG. Gerhard Schröder ist Vorsitzender des Gesellschafterausschusses.

*9) Kommentar zu Gerhard Schröder. Der dreiste Ex-Kanzler. Ein Kommentar von Nikolaus Blome; http://ml.spiegel.de/article.do?id=1003283.

*10) Nikolaus Blome, Der kleine Wählerhasser. Was Politiker wirklich über die Bürger denken. 2. Auflage, Pantheon, München 2011.