Politisches Blumenorakel.

Als politische Variante des Blumenorakels konnten wir gestern den Kommentar von Thomas Oppermann, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, zum rot-rot-grünen Koalitionsvertrag in Thüringen verstehen. *1)

Liebe — ja oder nein — wurde zum rot-roten Blumenorakel. Dabei mag Herrn Oppermann folgende Erinnerung bewegt haben.

Die SPD

… schätzte die PDS in Mecklenburg-Vorpommern von 1998 bis 2006; denn sie sicherte die SPD-Regierungsführung des Ministerpräsidenten Harald Ringstorff.

… schätzte die PDS 1994 in Sachsen-Anhalt; denn sie stützte die SPD-Grüne Minderheitsregierung von Ministerpräsident Reinhard Höppner.

… schätzte die PDS in Berlin; denn sie stützte den rot-grünen Senat des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD). Die Wertschätzung der Berliner SPD für die PDS und dann für die so umgetaufte LINKE entflammte derart, dass schließlich gemeinsam regiert wurde.

… schätzt die LINKE in Brandenburg seit 2009 als Juniorpartner in der SPD-geführten Landesregierung.

… verachtete und schätzte die LINKE in Nordrhein-Westfalen. Solche Doppelzüngigkeit konnte wohl nur das politische Gespann von Frau Hannelore Kraft (SPD) und Frau Sylvia Löhrmann (Grüne) fertigbringen. Diese Beiden verwendeten das Blumenorakel besonders virtuos. Vor der Landtagswahl 2010 erzählten sie den Wählern: Die LINKE ist nicht regierungs-, nicht koalitions-, nicht verhandlungsfähig. Nach der Wahl wendete sich das Blumenorakel blitzartig. Die plötzlich geschätzte LINKE bekam den Posten der Vizepräsidentschaft des NRW-Landtags. Über Nacht buchstäblich brach die Zuneigung zur LINKEN aus; denn diese sicherte die rot-grüne Landesregierung Kraft durch wenigstens Enthaltung, wenn nicht durch gelegentliche Zustimmung im Landtag. Schon Peer Steinbrück hatte 2010 die “politische Gelenkigkeit“ von Frau Kraft vermerkt.

… schätzt die LINKE in Thüringen 2014 so sehr, dass sie sich nach durchaus erfolgreicher CDU-SPD-Koalition nunmehr mit den Grünen auf eine Juniorpartnerschaft mit der führenden LINKEN einlässt.

… brandmarkt nun „diese“ LINKE im Deutschen Bundestag durch den Fraktionsvorsitzenden Oppermann als unverantwortlich, da Europa-, Euro- und NATO-feindlich.

Für Oppermanns Verdikt zur LINKEN auf Bundesebene scheint jedoch — so müssen wir ihn wohl verstehen — die Tatsache, dass die LINKE in Bundesländern regiert, ganz und gar belanglos. Dies gilt dann auch für den Bundesrat. Durch den Bundesrat — als im Grundgesetz verankertes Gegengewicht zum Bundestag — wirken allerdings die Bundesländer „bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union mit.“ (Artikel 50 Grundgesetz).

Bei Oppermanns Erzählungen über die LINKE in dem dargestellten bundespolitischen Kontext kann der vor einer rot-rot-grünen Bundesregierung bangende Bürger ganz schön durcheinander kommen.

Aber “derzeit“ stehe ja eine rot-grüne Koalition mit “dieser“ LINKEN auf Bundesebene nicht zur Debatte.

Trotz gegenteiliger Rufe aus der mit der „Magdeburger Plattform“ nun fest formierten SPD-Linken. *2) Und obwohl Herr Trittin (MdB, Grüne) an der LINKEN öffentlich nur eins bemängelt: Die wollen gar nicht regieren, die wissen gar nicht, was sie wollen. Will Herr Trittin sagen: LINKE, kommt in die Püschen, dann seid ihr 2017 dabei!?

Herr Gabriel, der SPD-Chef, und Herr Oppermann, der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag, haben sicher nicht die “politische Gelenkigkeit“ (Peer Steinbrück) z. B. von Herrn Trittin, von Frau Ypsilanti, SPD-MdL und Vorsitzende des Petitionsausschusses im Hessischen Landtag, und von Frau Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD).

Die Parteimitglieder der SPD stehen traditionell fest im Glauben zu ihren Vorsitzenden, obwohl sie von der Parteiführung einiges gewohnt sind.

Die Wählerinnen und Wähler der politischen Mitte aber zeigen uns das Ergebnis des Blumenorakels zu ihren politischen Vorlieben: Volkspartei SPD bundesweit bei den Umfragen zwischen 22 und 26 Prozent. *3)

*1) „SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann rechnet nicht damit, dass das rot-rot-grüne Bündnis in Thüringen negative Auswirkungen für die schwarz-rote Regierungskoalition im Bund haben wird … Die Linke im Bund sei in Teilen europafeindlich, kämpfe gegen den Euro und lehne die Nato ab. ´Mit dieser Linken kann man keine verantwortliche Regierungspolitik gestalten`, betonte der SPD-Fraktionschef.“ DTS-Meldung vom 21.11.2014, 13:05 Uhr. Oppermann: Rot-Rot-Grün in Thüringen kein Störfaktor für GroKo.

*2) „Der linke Parteiflügel der SPD hat sich am Wochenende in Magdeburg getroffen, um eine gemeinsame Plattform zu gründen. Bei dem informellen Treffen kam scharfe Kritik am Kurs von SPD-Chef Gabriel auf, der sich um ein stärkeres wirtschaftspolitisches Profil der Partei bemüht.“ SPD-LINKE IN MAGDEBURG. SPD-Linke gründen Plattform. Von Mira Gajevic. Frankfurter Rundschau, 16. November 2014; http://www.fr-online.de/politik/spd-linke-in-magdeburg.

*3) Frau Gajevic (*2) zitiert Johannes Kahrs, MdB, einen profilierten Vertreter des „rechten“ Flügels der SPD zur „Magdeburger Plattform“: „Ich bin ein Anhänger des Spruchs von Helmut Schmidt: Eine Partei ist wie ein Vogel, sie braucht einen linken und einen rechten Flügel, damit sie schlagen kann.“ Und so flattert nun die SPD mit zwei Flügeln, um das desolate Wahlergebnis 2013 zu erklären und die Chancen für 2017 zu beurteilen. Ralf Stegner, linker Flügel, so Frau Gajevic, „ist sicher, viele haben die SPD nicht gewählt, weil sie misstrauisch waren, ob die Partei zum Programm stehen wird. Für den SPD-Chef muss sich die SPD dagegen zur Mitte hin öffnen.“ *2) Konträre Diagnose, konträre Therapie!