Kreml-Foren, Kreml-TV?

„Kreml-TV“, so titulierte gestern Helmut Markwort, Herausgeber des Politikmagazins Focus, am bayerischen Stammtisch die ARD.

Der Liberale Markwort ist für prägnante Formulierungen bekannt. Und meistens ist etwas daran.

Wer die oft apologetischen Beiträge über Putins Zerstörungswerk gegen den Staat Ukraine im deutschen TV und in der deutschen Presselandschaft verfolgt hat, wird sich über Herrn Markwort nicht aufregen.

Den vorläufigen Höhepunkt der „Verständnispolitik“ gegenüber Präsident Putin bot Matthias Platzeck (SPD), angesehener ehemaliger Ministerpräsident Brandenburgs und seit 14. März 2014 zum Vorstandsvorsitzenden des Deutsch-Russischen Forums (DRF) gewählt. Außenminister Steinmeier hielt die Rede zu dem feierlichem Akt.

„Einem Deutsch-Russischen Forum kommt gerade jetzt eine besondere Verantwortung zu, da es darum gehen muss, Brücken des Dialogs zu bauen und aufrecht zu erhalten“, hatte Platzeck in seiner Dankesrede vor der Mitgliederversammlung des DRF gesagt. *1)

Eine Analyse der wortreichen neueren Stellungnahmen Herrn Platzecks führt zu dem Schluss, dass hier ein „Brückenbauer“ zwischen Deutschland und Russland unterwegs ist, für den Brückenbauen, Entspannung, Verständnis, Zugeständnis, Anpassung an „Realitäten“ wertvolle Grundsätze an sich sind. *2)

„Ein Vermittler“, ein „Brückenbauer“, dessen Handeln und Reden gegenüber russischen Partnern die Werte und Prinzipien der Freiheit, der Rechtsstaatlichkeit, des Völkerrechtes, der Unverletzlichkeit der Staatsgrenzen und der Souveränität, z. B. des europäischen Staates Ukraine, anscheinend bewusst hintansetzt.

Die Journalistin Bettina Wacker fragt nach Platzecks Urteil über den innen- wie außenpolitischen „Rückfall Russlands in altsowjetische Kommunikationsstrategien … (und) politische Instrumente im Umgang mit heute unabhängigen Staaten der ehemaligen Sowjetunion (wie) Druck, Drohungen und Erpressung“.

Der DRF-Vorstandsvorsitzende Platzeck antwortet: Es sei „hilfreich, sich die Geschichte und Kommunikationsmechanismen vor Augen zu führen, die aus der Geschichte der ehemaligen Sowjetunion immer noch wirken. Es ist schlicht realitätsfern anzunehmen, dass diese Schatten der Geschichte über Nacht verschwinden.“ *3)

Sehr wahr, zumal der Regisseur Putin dabei ist, diese „Schatten der Geschichte“ im östlichen Europa dramatisch und blutig in Szene zu setzen.

Deshalb „Dialog“, „Austausch“, „Verhandlungen“, „ein Mehr an Zusammenarbeit“ mit Putins Kreml um jeden Preis? Wohl schon, denn „nur“ dadurch, so Platzeck, „können wir in Europa dazu beitragen, dass diese Mechanismen sich über die Jahre abbauen lassen. Dies aber ist eine Arbeit, die nicht in Jahren zu leisten ist — hierzu bedarf es eines langen Prozesses und des Wechsels von Generationen“. *3)

„Wir in Europa“ haben allerdings außer dieser uns von Platzeck gestellten Aufgabe, für die zuerst die dazu unwillige russische Führung zuständig ist, selbst einige „Generationen-Aufgaben“ zu bewältigen.

Ferner mutet uns der realitätsbewusste DRF-Vorsitzende Platzeck anscheinend zu, die von Präsident Putin militärisch und logistisch geschaffenen „Realitäten“ gegen die Ukraine hinzunehmen.

Denn gegenüber diesen „Realitäten“ spricht er vor allem von Fehlern des Westens:

Das Vorgehen Putins gegen die Ukraine „hat eine Vorgeschichte und die muss man analysieren, die muss man auch ehrlich und klar analysieren, damit man Schlussfolgerungen ziehen kann und sagen kann, was können wir in der nächsten Zeit tun, um es besser zu machen und die Situation nicht weiter eskalieren zu lassen.“ *4)

Die Fehler des Westens aus Platzecks Sicht:

  • „Wir haben Russlands Einkreisungsangst nicht ernstgenommen“. *4)
  • „Aber machen wir uns nichts vor. Gerade der Konflikt in der Ukraine hat gezeigt: Auch wir sind vor den Gefahren schneller Kommentare und Urteile nicht gefeit.“ *3)
  • „Augenhöhe und Respekt haben die Russen nicht gespürt. Putin auszugrenzen, wie in Brisbane geschehen, sei keine gute Strategie.“ *4)
  • Auch das — in Teilen der SPD kritisierte — „Putin-Bashing“ zeige den Mangel an Respekt: „Wenn Sie heute in Russland mit Menschen sprechen, merken Sie, dass in dem Falle Führung und Volk, wenn man das mal so sagen will, eines Sinnes sind, und das ist eigentlich noch schlimmer, ist noch gefährlicher und macht auch Verhandlungen noch schwieriger.“ *4)
  • „Unser Ansehen zum Beispiel ist im Sturzflug. Wir waren bis vor einem Jahr das angesehenste, Deutschland war das angesehenste Land bei den Russen.“ *4)
  • „Ich frage mich wirklich: Was wollen wir mit der Sanktionspolitik eigentlich am Ende erreichen? Ich komme beruflich aus den Naturwissenschaften. Da ist man ja gewöhnt, nüchtern und immer wieder die Logik zu bemühen und nüchtern anzugehen.“ Will Herr Platzeck unterstellen, die Physikerin Dr.rer.nat Angela Merkel habe solche Gewohnheit aufgegeben? *4)

Nimmt man Herrn Platzecks hier gesammelte Erzählungen, so stellt sich die Frage: Ist Derartiges durch „Rat“ im Deutsch-Russischen Forum inspiriert?

Die über 300 Mitglieder des DRF sind: „Vertreter der Wirtschaft 47%, der Politik 7%, der Medien 7%, der Wissenschaft 12%, freier Berufsgruppen 16% und auf Verbände, Gewerkschaften und nichtstaatliche Organisationen (entfallen) 11% .“ *5)

Über „Ratgeber“ des kürzlich gewählten DRF-Vorsitzenden Platzeck läßt sich vielleicht vermuten: Es könnten „Grenzgänger“ im deutsch-russischen Umfeld der Interessen sein, die einerseits zu den umtriebigsten, andererseits zu den kompetentesten zählen.

Als einflussreichste oder umtriebigste Berater und deutsch-russische Grenzgänger könnten auffallen:

Der ehemalige Bundestagsabgeordnete und Landesgeschäftsführer der niedersächsischen SPD, DRF-Vorstand Heino Wiese, Inhaber der WIESE CONSULT. Bestens in der SPD vernetzt und ein bedeutender Vermittler von Geschäften im eurasischen Wirtschaftsraum.

Frau Dr. Andrea von Knoop, Moskau; Mitglied des Vorstandes des Deutsch-Russisches Forums, Ehrenpräsidentin der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer AHK. Ihre Position haben wir zur Kenntnis zu nehmen: „Das einseitig negative Russlandbild, das fast unisono in den deutschen Medien verbreitet wird, angeheizt von der überheblichen und unangemessenen Russlandschelte einiger Politiker, die sich über diese Nische innenpolitisch zu profilieren trachten, hat inzwischen schädliche Ausmaße für die bilateralen Beziehungen angenommen!“ *6)

Im Kuratorium des DRF finden wir den „Russlandbeauftragten“ im Auswärtigen Amt Dr.h.c. Gernot Erler, MdB (SPD), und Dr.h.c. Lothar de Maiziére (CDU), Ministerpräsident a.D., Vorsitzender des Lenkungsausschusses des Deutsch-Russischen Petersburger Dialogs e.V.. Und vor allem die eindeutig profilierte Journalistin und Autorin Professor Dr. Gabriele Krone-Schmalz. Sie ist nicht nur in der ARD, sondern auch in der russischen Medienlandschaft und Politik bestens vernetzt.

Profunder Sachverstand zeichnet sicher den Forschungsdirektor des DRF, den Russlandexperten Alexander Rahr aus. „Ich freue mich, dass ich viele meiner langjährigen wissenschaftlichen Projekte, u.a. in Russland, jetzt im Rahmen der Zusammenarbeit mit dem Deutsch-Russischen Forum verwirklichen kann“, sagte Rahr zu seiner neuen Aufgabe, in die er Ende 2012 ehrenamtlich berufen wurde. Seitdem verdankt das DRF dem Forschungsdirektor einen eindrucksvollen Fächer verschiedener Veranstaltungsformate. *7)

Herr Rahr wird das „Kamingespräch“ beim russischen Botschafter am 26. August 2014 als einen vorläufigen Höhepunkt seiner Initiativen beim DRF bewerten. Einige Ergebnisse dieser exzellent dokumentierten Veranstaltung seien hervorgehoben: *7)

  • Viele der Teilnehmer betonten, dass die EU durch ihre Sanktionen gegenüber Russland einen Fehler mache.
  • Alle Beteiligten stimmten der These zu, dass es für die Ukraine-Krise keine schnelle Lösung mehr gebe.
  • EU und Russland hätten es im Vorfeld des Konflikts versäumt, der Ukraine die Perspektive zu geben, sich sowohl Richtung EU als auch eurasischer Zollunion zu entwickeln.
  • Vielleicht hätte der Vorschlag des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton, Russland in die NATO zu holen, in den Neunziger Jahren stärker beachtet werden sollen.
  • Die Idee einer östlichen Partnerschaft der EU müsse völlig neu konzipiert werden, weil Russland die jetzige blockiere. Sogar einfache Lösungsvorschläge scheiterten. Zwar wäre die Ukraine zum Waffenstillstand bereit, wenn Russland seine Grenzen für den Nachschub an die Separatisten in der Ostukraine schließen würde. Doch Russland fordere zunächst, den föderalen Status der künftigen Ukraine festzulegen. So unter russischem Druck zu handeln, könne die Ukraine jedoch nicht. Es sei denn, so die russische Seite, die USA würden ihrerseits Druck auf Kiew ausüben.
  • Von deutscher Seite wurde das praktische Scheitern der Vermittlungsgespräche unter Vorsitz von Wolfgang Ischinger kritisiert. Es sei versäumt worden, alle Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen. Auch Vertreter der Separatisten müssten daran teilnehmen. Deutsche Sicherheitsexperten bemängelten, dass in der Krise jegliche „Back Channels“ und alterprobte vertrauensbildende Maßnahmen (die es im Kalten Krieg immer gegeben hatte) abhanden gekommen seien.

Der Vorstandsvorsitzende des DRF, Herr Ministerpräsident a.D. Platzeck, verfügt somit über ein außerordentlich leistungsfähiges Forschungs- und Dialogforum als Instrument für seine Ideen zur Gestaltung der deutsch-russischen Beziehungen.

Und dennoch: Bisher ist den Kommentaren von außenpolitisch Verantwortlichen und Sachverständigen zu entnehmen, dass Platzecks Aussagen *2) zur Ukrainekrise zumindest „deplatziert“ waren – zeitlich, sachlich, politisch.

Abschließend Herrn Markworts Bezeichnung der ARD als „Kreml-TV“ aufgreifend, ist leicht vorstellbar, was er für das Deutsch-Russische Forum in petto hätte: Think Tank? Lobby? Oder Kreml-Forum?

Für außenpolitisch Interessierte ist die Information über die Aktivitäten des DRF unverzichtbar. Und bei der Beobachtung des DRF und der Analyse der dort erarbeiteten Information wird der Rat des Naturwissenschaftlers Matthias Platzeck befolgt: „Nüchtern und immer wieder die Logik zu bemühen“ *4)

Allerdings auf der Grundlage der Werte, die Bundeskanzlerin Merkel in ihrer bedeutenden Rede in Sydney hervorgehoben hatte: Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. *8) Für die deutsche internationale Politik sind dies die entscheidenden Vorgaben und Maßstäbe. Vor jeder „Platzeck-Logik“!

*1) DRF, Pressemitteilung 02/2014. Staffelstabübergabe im Deutsch-Russischen Forum e.V.. Platzeck übernimmt Vorstandsvorsitz BERLIN, 19. März 2014.

*2) In der ZEIT sind einige der Äußerungen Platzecks im Interview mit der Passauer Neuen Presse zu finden:

  • „Die Annexion der Krim muss nachträglich völkerrechtlich geregelt werden, sodass sie für alle hinnehmbar ist“.
  • „Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Dazu gehören finanzielle Leistungen, eine Wiederholung des Referendums unter Kontrolle der OSZE und Weiteres. Das müssen Kiew und Moskau aushandeln“.
  • „Es ist momentan kaum vorstellbar, dass Donezk und Luhansk nach allem, was passiert ist, einfach wieder in den ukrainischen Staatsverband zurückkehren“.
  • „Der Klügere gibt auch mal nach … Was käme denn nach Putin, wenn der russische Präsident weg wäre? Sicher kein proeuropäischer Nachfolger, eher ein noch nationalistischerer Präsident. Wenn Russland als zweitgrößte Nuklearmacht der Welt aber politisch instabil würde, hätte das unabsehbare Folgen. Das wäre brandgefährlich!“
  • „Wir müssen also eine Lösung finden, bei der Putin nicht als Verlierer vom Feld geht.“

UKRAINE-KRISE. Platzeck fordert Anerkennung der Krim-Annexion; 18. November 2014, zeit.de.

*3) Der Vermittler. Interview Bettina Wacker; Nachgefragt I VBKI Spiegel # 236, S. 16/17.

*4) EUROPA UND RUSSLAND. Wir sollten es uns nicht zu leicht machen. Matthias Platzeck im Gespräch mit Friedbert Meurer; http://www.deutschlandfunk.de/europa-und-russland. RS: Der Vorwurf Platzecks, Putin sei in Brisbane ausgegrenzt worden, ist kaum zu verstehen. Geschlagene 4 Stunden soll Bundeskanzlerin Merkel mit Präsident Putin gesprochen, den Präsidenten der EU-Kommission Juncker hinzugezogen haben: Ausgrenzung Putins oder intensiver gesamteuropäischer Dialog??

*5) DRF Website; http://www.deutsch-russisches-forum.de/index.php?id=12

*6) »MEHR VERSTÄNDNIS FÜR DIESES GROSSARTIGE LAND!« GASTBEITRAG VON DR. ANDREA VON KNOOP. WIESE CONSULT, http://www.wiese-consult.com/de/aktuelles/441-frau-von-knoop-fordert-mehr-verstaendnis-fuer-dieses-grossartige-land. Ohne Datum 2013.

*7) DRF, Pressemitteilung 19/2012. Alexander Rahr – neue Aufgaben im Deutsch-Russischen Forum. Und: Kamingespräch vom 26. August 2014; http://www.deutsch-russisches-forum.de/index.php?id=606.

*8) Rede von Bundeskanzlerin Merkel am Lowy Institut für Internationale Politik am 17. November 2014. Datum:17. November 2014. Ort: Sydney; www.bundesregierung.de/…/Rede/2014/…/2014-11-17-merkel-lowy-inst.