Die Würgefeige.

Es beginnt ganz oben. In den Wipfeln der Baumriesen.

Von der Sonne beglänzt, locken die Früchte. Affen und Vögel laben sich. Hier und da fällt Samen der Frucht in den Humusstaub einer Astgabel. So fängt es an.

Die junge Würgefeige *1) treibt Luftwurzeln zum Waldboden. Der Wirtsbaum gibt ihr Halt, es mag Jahrzehnte dauern, am Ende vermodert er unter dem Druck des Würgers. Im Botanischen Garten in Hamburg und Berlin stehen eindrucksvolle Gerüste des Parasiten.

Es beginnt ganz oben. In den Köpfen; denn der Fisch stinkt vom Kopfe her, heißt es an der Waterkant. Alle machen mit beim Verteilen staatlicher Wohltaten. Politiker geben, Bürger nehmen. Die Würgefeige treibt aus.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft treibt es um. Zum Beispiel im Talk bei Moderator Günther Jauch am letzten Sonntag: Sagen sie mir, wo gestrichen werden soll … Bei Sonn- und Feiertagszuschlägen, Kitas, Bildung, Kommunen, Arbeitslosen, Infrastruktur, Pflege, Brücken?

Der Moderator, Herr Jauch, ratlos: Offenbar gibt es keine Grenze für die Ausgaben des Staates. Irgendwo ist immer jemandem gedient, wenn Geld ausgeteilt wird.

„Der Staat sattelt nur drauf“, erläutert Hans-Ulrich Jörges vom Stern-Magazin das Wirken der Würgefeige: „Er sprach von einer ´Monsterkoalition`, die auf gemeinsamen Beutezug gehe und zwar mit einer ´Kaltschnäuzigkeit`, wie er es in seinen 40 Jahren als Journalist kaum erlebt habe.“ *2)

Der Bürger hat zweierlei zur Kenntnis nehmen können. Selbst wenn niemand „Gebt uns mehr!“ ruft, verlasst Euch darauf, dann sagt Frau Kraft, weiter “draufgesattelte“ Staatsausgaben sind gut für die Konjunktur. Ferner ist absehbar, was ab 2017 droht, wenn die Rentenpakete von Frau Nahles zu bezahlen sind, wenn mit der Schuldenbremse im Grundgesetz auch bei den Bundesländern Ernst gemacht werden muss.

Steuern, Sozialabgaben, Gebühren werden erhöht, und nicht nur das, neue Steuern, wie die Vermögenssteuer, werden eingeführt werden. Maut- und Soli-Debatte sind Indizien für Herrn Jörges: Der Staat sattelt nur drauf! „Ohnehin werde das Geld anders investiert als angegeben: Straßen, Brücken, Schulen — ´eine Propagandalüge`.“ *2)

Selbst die EU-Kommission kritisiert das „Rentenpaket“ der Großen Koalition in Deutschland. Die Reform belaste zusätzlich neben der demografischen Überalterung die Nachhaltigkeit des öffentlichen Rentensystems. Es sei geplant, die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu erhöhen. Das werde sich negativ für die verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmer auswirken. *3a) Darüber hinaus sei zu wenig getan worden, um die Steuer- und Abgabenbelastung gerade für geringer verdienende Arbeitnehmer zu reduzieren. *3b)

In Presse und TV wird aus einer Studie der EU-Kommission berichtet: „Demnach zahlt ein alleinstehender Durchschnittsverdiener in Deutschland 49,3 Prozent des Einkommens für Steuern und Sozialabgaben. Das ist fast ein Viertel mehr als im EU-Durchschnitt üblich. Dort liegt die Steuer- und Abgabenquote bei 41,1 Prozent.“ *4) In den USA würde der mit 50 Prozent von Staat und Sozialversicherung belastete deutsche Durchschnittsverdiener als “Sklave“ bemitleidet.

Wer kappt die Würgefeige, wer schützt den Wirtsbaum? Wer vertritt in der Politik den Grundsatz „Erwirtschaften vor dem Verteilen“? Die „Monsterkoalition“ (H.-U. Jörges) im Bundestag? Die Debatte zum Bundeshaushalt 2015 zeigte: Gerade der Opposition von LINKEN und Grünen fielen zu fast jedem Ressortbudget noch zusätzliche Ausgaben ein.

Da platzte das Stichwort FDP in die Runde bei Herrn Jauch. Und als Ministerpräsidentin Kraft ebenso reflexhaft wie hämisch den hart geschlagenen Liberalen nachtrat, reichte es vielleicht nun doch den Sozialliberalen im Lande.

Ja, ein politisches Korrektiv zum vorherrschenden ausgaben- und steuerpolitischen Kurs in Bund und Ländern scheint geboten. Die AfD kommt aus europapolitischen und politisch-kulturellen Gründen nicht in Frage. Warum nicht eine neue Chance für die FDP?

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner hat „klargestellt, dass die Partei sich voll auf die Wiederaufrichtung der Liberalen konzentriere.“ *5) Er wirbt für ein „umfassendes Verständnis von Liberalismus, das sowohl Libertären als auch Sozialliberalen eine politische Heimat biete. Diese Diversität sei die Stärke der FDP … In der politischen Landschaft fehlt eine solche Kraft … auf der einen Seite ein in den Status Quo verliebter ´Einheitsbrei` aus CDU, SPD und Grünen, der nur ans Umverteilen denke, auf der anderen Seite der zornige Protest der Alternative für Deutschland, der jeglichen Gestaltungswillen vermissen lasse.“ *5)

Dieses liberale Selbstverständnis und der von der FDP eingeleitete „Strategieprozess“ für ein Programm mit den Schwerpunkten Wirtschafts- und Bildungspolitik verdient eine Chance.

Dafür braucht es Beharrlichkeit und einen langen Atem. Die FDP hat in der Regierungsarbeit mit den Bundeskanzlern Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Willy Brandt, Helmut Schmidt, Helmut Kohl und Angela Merkel nicht wenige bleibende Verdienste erworben. Auch dieses Bewusstsein sollte den Liberalen zu Beharrlichkeit und einem langen Atem verhelfen.

Mancher Sozialliberale mag sich fragen: Wo bleibt eigentlich die Unterstützung für die jetzt noch wenigen Liberalen durch die Vielen, die der FDP und ihrer langjährigen Politik nicht nur Karrieren im Staatsdienst, sondern auch wirtschaftliche Chancen in den Unternehmen verdankten? Ist im Interesse unserer politischen Kultur, unseres politischen Pluralismus ein deutliches Zeichen zuviel verlangt?

Und wenn Dankesschuld schon nichts wert ist, dann denkt wenigstens an euren Geldbeutel, dem die Mittelstandspartei FDP sicher nicht geschadet hat. Denkt an die Würgefeige, die rechtzeitig gekappt werden muss, bevor es euch ans Eingemachte geht.

*1) Würgefeigen – der schleichende Tod. http://www.faszination-regenwald.de/info-center/pflanzenwelt/wuergefeige.htm.

*2) TV-Kritik „Günther Jauch“. Der Soli ist gekommen, um zu bleiben. Von Sylvie-Sophie Schindler; stern.de, 1. Dezember 2014.

*3) COUNCIL RECOMMENDATION on Germany’s 2014 national reform programme and delivering a Council opinion on Germany’s 2014 stability programme, Brussels, 2.6.2014; http://ec.europa.eu/europe2020/pdf/csr2014/csr2014_germany_en.pdf. *3a) S. Ziffer (10). *3b) S. Ziffer (13).

*4) U.a.: EU-Kommission rügt. Die Deutschen zahlen zu viele Steuern; http://www.n24.de/n24/Nachrichten/Politik/d/5788004/die-deutschen-zahlen-zu-viele-steuern.html, 29.11.2014; ferner: http://www.liberale.de/content/wissing-kritisiert-hohe-steuer-und-abgabenlast, 1.12.2014. Eine geschätzte Kommilitonin hält ein Fünftel als relative Differenz der Abgabenlast des EU-Durchschnitts gegenüber dem problematischen deutschen Wert für zutreffender. Das ist vertretbar, nimmt man die als zu hoch bewertete deutsche Belastungsquote als Referenzgröße.  

*5) FDP Wiederaufbau. Lindner: Der Kurs ist geklärt, 15.09.2014; http://www.liberale.de/content/lindner-der-kurs-ist-geklaert.