Name-dropping statt Politikanalyse?

Wenn eine Großprozession bester Namen unter einem Friedens-Banner daherzieht, scheint der Anspruch übermächtig, dass der Bürger dies als feierliche Namensweihe zu verstehen hat.

Wer wollte solchem Aufgebot an friedenspolitischen „Paten“ widersprechen? So missverständlich und fragwürdig der weihevolle Text *1), den drei Betreiber verfasst haben, auch manchem Bürger erscheinen mag.

Die Aufgabe, die sich die angesehenen Frau Antje Vollmer, Herr Walther Stützle und Herr Horst Teltschik mit ihrem Friedensappell *1) aufgeladen hatten, war nahezu unlösbar.

Denn Konflikte werden bekanntlich von Antagonisten, von Gegnern geführt. Was soll man von einem Text halten, der an Frieden appelliert, an Dialog mit einer Kreml-Führung ohne Friedensabsicht? Putin hat oft genug gezeigt, was Wort und Unterschrift seines Landes gegenüber der Ukraine wert sind.

Der Ukraine-Konflikt wird auch in Deutschland sehr gegensätzlich gedeutet und bewertet. Welchen Sinn macht es, die Gegensätze zwischen den Positionen zu übertünchen, die Frage nach der Verantwortlichkeit für die Bedrohung des Friedens in Europa bewusst auszublenden, um die Zahl bedeutender Unterzeichner eines Appells zu maximieren? Name-dropping statt Politikanalyse?

Wen soll ein Appell überzeugen, der sowohl prominenten Verteidigern als auch Gegnern der Kreml-Politik gegen die Ukraine genehm sein soll? *1)

Die deutliche Mehrheit der Deutschen ist für Sanktionen gegen Russland, glaubt aber nicht, dass sie dessen Verhalten ändern. Die deutliche Mehrheit der Deutschen ist dafür, dass der „Ton gegenüber Russland verschärft“ wird, kann aber nachvollziehen, „dass sich Russland vom Westen bedroht sieht.“ *2) In solchem Dilemma sind nicht diffuse Appelle, sondern öffentliche Analyse und Sachinformation geboten.

Am Beginn der Suche nach einer Lösung des Ukraine-Konflikts steht zunächst die Frage: Wer ist der Urheber der Ukraine-Krise?

Nicht die NATO mit ihren vielfältigen Kooperationsangeboten im Rahmen des NATO-Russland-Rates!

Nicht die Europäische Union und Deutschland, die seit vielen Jahren für eine Partnerschaft mit Russland arbeiten!

Nicht die USA und Großbritannien, die vor genau 20 Jahren, am 5. Dezember 1994, auf der Grundlage der KSZE-Schlussakte von Helsinki gemeinsam mit Russland im Budapester Abkommen vereinbarten, die Unabhängigkeit, die Souveränitat und die bestehenden Grenzen der Ukraine anzuerkennen. Und die sich ausdrücklich verpflichteten — USA, Großbritannien und Russland — von jeglicher Drohung oder Gewaltanwendung gegen die Ukraine abzusehen, weil die Ukraine durch Ablieferung ihrer Atomwaffen an Russland auf den Status und die Verteidigungsmacht eines Nuklearstaates verzichtet hatte. *3)

Einzig und allein Präsident Putin hat die Hoffnungen der Menschen in der Ukraine, die Hoffnungen der Europäer und der Amerikaner auf Frieden seit über einem Jahr Stück für Stück zerstört. Durch militärische Intervention in der Ukraine, durch Drohung gegen die baltischen Staaten, durch Druck und Annexion in Moldawien und Georgien.

Und in dieser Lage ist klare Analyse des Handelns, der Ziele und Motive des Konflikturhebers geboten.

Botschafter Wolfgang Ischinger leistet diese Analyse. Ischinger, der als OSZE-Vertreter weit mehr als jeder der Unterzeichner des Friedens-Aufrufs für eine friedliche Lösung des Ukraine-Konflikts unternommen hat, bilanzierte das Handeln Präsident Putins. Seine Analyse verdient größte Aufmerksamkeit und Verbreitung. *4)

1. „Wir Europäer haben darauf vertraut, dass Institutionen wie die Europäische Union, die NATO, die OSZE und die zahlreichen Partnerschaftsabkommen mit Russland Frieden und Stabilität in Europa gewährleisten könnten. Das war aber angesichts der russischen Entschlossenheit, diese Normen zu ignorieren, nicht der Fall.“

2. Der „Konflikt in der Ukraine (sendet) die Botschaft, dass selbst in der heutigen Zeit Aggression und Annexion von Erfolg gekrönt sein können. Das ist nicht nur eine Katastrophe für die zentralen Grundsätze des Völkerrechts …“

3. „Die sogenannte Putin-Doktrin (stellt) eine weitere Destabilisierungsgefahr für die internationale Ordnung dar – nicht nur in Europa. Der russische Präsident behält sich das Recht vor, im Ausland zum Schutz der russischsprachigen Bevölkerung zu intervenieren – basierend allein auf Moskaus eigener Einschätzung, ob, wann und welcher Art von Schutz diese Bevölkerung bedarf. Stellen Sie sich eine Welt vor, in der alle auf diesem Recht beharren würden. Global gesehen wäre dies eine Katastrophe: Minderheiten, die außerhalb der eigenen Landesgrenzen leben, gibt es schließlich zuhauf.“

4. Uns allen müsse Putins „sogenannte hybride Kriegsführung Sorgen machen, bei der irreguläre Streitkräfte, massive Propaganda in alten und neuen Medien sowie verdeckt operierende Spezialkräfte zum Einsatz kommen, während von offizieller Seite jegliche militärische Beteiligung bestritten wird. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass andere diese Art der Kriegführung nicht genau analysieren und möglicherweise selbst in Betracht ziehen.“

5. Der „Konflikt in der Ukraine (hat) den UN-Sicherheitsrat, dessen Autorität bereits gelitten hatte, weiter geschwächt, weil sich die Mitglieder des Gremiums bis auf weiteres gegenseitig blockieren. Diese Einschränkung unserer kollektiven Handlungsfähigkeit ist äußerst besorgniserregend: Denn welche legitime Alternative gibt es zu den Vereinten Nationen? Wer soll die Stimme der Weltgemeinschaft sein, welche über die grundlegenden Normen unserer Ordnung wacht?“

Friedensappelle sollten sich angesichts der von Ischinger festgestellten Bedrohung und ihres Urhebers zuerst an den Adressaten richten, der die weit überwiegende Verantwortung für den Krieg und die Destabilisierung in unserem östlichen Nachbarschaftsraum trägt. An Präsident Putin, Kreml, Moskau!

Die drei Initiatoren des Aufrufs zum “Dialog mit Russland“ haben ihren Sachverstand zu sehr hintangestellt, um z.B. die folgenden einschlägig als „Vermittler um jeden Preis“ profilierten Persönlichkeiten zu gewinnen: Prof. Dr. Dr. h.c. Margot Käßmann (ehemalige EKD Ratsvorsitzende und Bischöfin), Dr. Andrea von Knoop (Moskau), Prof. Dr. Gabriele Krone-Schmalz (ehemalige Korrespondentin der ARD in Moskau), Dr. h.c. Lothar de Maizière (Ministerpräsident a.D.), Matthias Platzeck (Ministerpräsident a.D.).

Deshalb wirft der Text des „Appells zum Dialog mit Russland“ gerade in Bezug auf die von den Initiatoren nachstehend angesprochenen Adressaten folgende Fragen auf:

Wem müssen denn Nordamerika oder die Europäische Union „Einhalt gebieten“? Welche Regierung des Westens hat das Ziel — Frieden und Sicherheit — so „aus den Augen“ verloren, dass „Irrwege“ drohen? Wieso ist denn bei „Amerikanern, Europäern … der Leitgedanke, Krieg aus ihrem Verhältnis dauerhaft zu verbannen, verloren gegangen“? Was spricht für die Aussage, dass „die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Putin“ nicht anders als durch die „für Russland bedrohlich wirkende Ausdehnung des Westens nach Osten ohne gleichzeitige Vertiefung der Zusammenarbeit mit Moskau“ zu erklären ist? *1) Wohl nur die Behauptungen Putins.

Welche Versäumnisse der Bundesregierung veranlassen die Initiatoren, diese aufzufordern, ihrer „Verantwortung für den Frieden in Europa gerecht zu werden“? Inwiefern haben Bundeskanzlerin Merkel oder Außenminister Steinmeier übersehen, dass das „Sicherheitsbedürfnis der Russen so legitim und ausgeprägt wie das der Deutschen, der Polen, der Balten und der Ukrainer (ist)“? Welchem Mitglied der Bundesregierung oder der westlichen Partnerschaft gilt die Mahnung der Initiatoren: „Wir dürfen Russland nicht aus Europa hinausdrängen. Das wäre unhistorisch, unvernünftig und gefährlich für den Frieden“? *1)

Welchen Abgeordneten des Deutschen Bundestages mangelt es an Bereitschaft, „dem Ernst der Situation gerecht zu werden und aufmerksam auch über die Friedenspflicht der Bundesregierung zu wachen“? Welchen Abgeordneten gilt die Mahnung: „Wer nur Feindbilder aufbaut und mit einseitigen Schuldzuweisungen hantiert, verschärft die Spannungen in einer Zeit, in der die Signale auf Entspannung stehen müssten. Einbinden statt ausschließen muss das Leitmotiv deutscher Politiker sein“? *1)

Schließlich bekommen noch die deutschen Medien zu hören, sie sollten „ihrer Pflicht zur vorurteilsfreien Berichterstattung überzeugender nachkommen als bisher. Leitartikler und Kommentatoren dämonisieren ganze Völker, ohne deren Geschichte ausreichend zu würdigen.“ *1) Welche Qualitätsblätter oder öffentlichen TV-Kanäle dürfen denn von dieser Pauschalverdächtigung ausgenommen werden?

Wenn die Verfasser des „Appells für einen Dialog mit Russland“ das Ziel hatten, ein „politisches Signal“ *1) auszusenden, ging es hinsichtlich der gebotenen Empfänger in die falsche Richtung.

Dieser Aufruf bestätigt Putins Erfolg in seinem „Informationskrieg“: Putin versucht, Europa von den USA abzuspalten, die NATO und die Europäische Union zu spalten, Deutschland und die Bundesregierung zu spalten. Bis hinein in deutsche Parteien und die Organisationen der Zivilgesellschaft sei das Wirken russischer Geheimdienstler zu beobachten; Dr. Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, hat mehrfach darauf hingewiesen. *5)

Der prominent abgesegnete „Appell zum Dialog mit Russland“ könnte vom Kreml als verbreitete Bereitschaft der deutschen Elite „aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien“ *1) missverstanden werden, Putins geopolitischen Zielen entgegenzukommen.

Vor allem faktenbasierte Analyse von Politik, um Frieden in Europa vor der Kreml-Aggression zu sichern, kann kritische Bürger überzeugen. Nicht die imposante Unterschriften-Liste zum diffusen Appell, nicht solche Spielart einer sicherheitspolitischen „Namensweihe“.

*1) UKRAINE-KRISE. „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!“ Roman Herzog, Antje Vollmer, Wim Wenders, Gerhard Schröder und viele weitere fordern in einem Appell zum Dialog mit Russland auf. ZEIT ONLINE dokumentiert den Aufruf. 5. Dezember 2014.

*2) ARD-DeutschlandTREND: Dezember 2014. Aussagen zum Konflikt zwischen der Ukraine und Russland; http://www.infratest-dimap.de/uploads/media/dt1412_bericht.pdf.

*3) Primary Sources. Budapest Memorandums on Security Assurances, 1994. Published December 5, 1994. Council on Foreign Relations, http://www.cfr.org/arms-control-disarmament-and-nonproliferation/budapest-memorandums-security-assurances-1994/p32484.

*4) Wolfgang Ischinger, Monthly Mind Oktober 2014: „Europa, Asien, und der Zerfall der internationalen Ordnung“; https://www.securityconference.de.

*5) DEUTSCHLAND. Verfassungschutz warnt vor russischem Geheimdienst. DW.de; 20.04.2014. Leider habe ich seinerzeit die Tragweite dieser Warnungen, das Ausmaß der Manipulation auch unserer öffentlichen Multiplikatoren durch den russischen Geheimdienst nicht erkannt.