Bundestag — zur Außenpolitik.

Jeder Leser dieses Blogs kann sicher sein, dass hier nicht auf „Orientierung“ durch Politiker gewartet wird. Schon gar nicht im Sinne der Ministerpräsidentin Kraft: „Wir Politiker sitzen alle in einem Boot … Zuerst verantwortungsvolle Problemanalyse und Lösungen, die tragfähig sind, erarbeiten, erst dann an die Öffentlichkeit gehen, weil wir sonst die Menschen verunsichern.“ *1)

Die Debatte im Bundestag über den Bundeshaushalt 2017 duldete als Teil der gesetzgeberischen Pflicht keinen Aufschub im Kraft`schen Sinne und damit auch keine etwas paternalistische Rücksicht auf angeblich „verunsicherte Menschen“.

Bürger, die im Phönix-TV die Debatte verfolgten, wurden sicher durch die Qualität einiger Beiträge dankenswert orientiert. Dazu gehörte die Rede zum Etat für das Auswärtige Amt von Dr. Norbert Röttgen, MdB, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. *2)

Der „konzeptionelle Anspruch“, den Röttgen für zeitgemäße deutsche und europäische Außenpolitik formulierte, ist der Versuch, die Globalisierung gerecht zu gestalten.

Dabei analysierte Röttgen ein außenpolitisches „Dilemma“.

Krisenhafte oder machtpolitische innerstaatliche Verhältnisse in anderen Ländern können auch auf Deutschland einwirken. Zum Beispiel durch Terror, organisierte Kriminalität, Klimawandel, Flucht und Vertreibung. Gleichzeitig sind jedoch die Handlungsmöglichkeiten gegenüber solchen innerstaatlichen Entwicklungen in anderen Ländern äußerst begrenzt, betont Röttgen: Die „Hybris von Regime-Change-Politik (ist) verflogen, die zum Teil katastrophalen Folgen dieses Politikansatzes … noch lange nicht.“ Dieser Folgerung aus den Irak- und Afghanistan-Interventionen mögen Bürger zustimmen.

Wenn deutsche Außenpolitik dennoch zu fairer Gestaltung der Globalisierung beitragen soll, dann müsse sie versuchen, unsere Werte — Menschenwürde, Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit — in ein globales Regelwerk einzubringen. Diese „Identität“ (Röttgen) deutscher und europäischer Außenpolitik dürfe nicht unseren weltweiten wirtschaftlichen Interessen geopfert werden, schließt der Bürger aus Röttgens Beitrag.

Röttgen illustrierte an derzeit kontroversen Politikbereichen die Konsequenzen außenpolitischer “Globalisierungsgestaltung“ auf der Grundlage europäisch-deutscher „Identität“, d.h. politischer Wertebindung.

Beschränken wir uns hier auf zwei der von Röttgen analysierten Kontroversen.

Erstens: Die in Deutschland massiv betriebene Kampagne gegen die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) könnte den Westen der Möglichkeit berauben, im internationalen Handel zwischen den USA und der Europäischen Union faire Regeln des Welthandels zu vereinbaren und auch für arme Länder durchzusetzen. Mit dem Scheitern von TTIP würde unser Anspruch gefährdet, Globalisierung gerecht zu gestalten.

Röttgen warnt: Die „praktische Alternative zu westlicher Standardsetzung ist chinesische Standardsetzung.“

Zweitens: Beziehungen zu Russland. Unter der Präsidentschaft Putins gelte der brutale Grundsatz „Macht vor Recht!“ Der vielfache Bruch des Völkerrechts bei der Annexion der Krim, bei der militärischen Intervention in der Ostukraine, beim gemeinsamen Bomben mit dem Massenmörder Assad in Syrien — diese für Demokraten verbrecherischen Handlungen zeigen, wohin „Macht vor Recht!“ führen kann. Zu Recht fordert Röttgen, dieses Verhalten weiterhin mit Sanktionen zu belegen.

Wenn schon Verhandlungen mit derartigen Akteuren geführt werden müssen, dann ist „unsere Identität in diese Gespräche einzubringen.“ (Röttgen). An unserer außenpolitischen Wertebindung keinen Zweifel zu lassen und ebenso wenig an unserer Bereitschaft, im Rahmen des NATO-Bündnisses diese Werte zu verteidigen — das sollte der einzige Sinn und die Grundlage dieser Gespräche und Verhandlungen sein.

Röttgen fasst seinen „konzeptionellen Anspruch“ an die Außenpolitik zusammen: „Wir müssen verhandeln, wir müssen zu Übereinkommen, wir müssen zu Regeln kommen. Aber wir dürfen eines nicht tun, nämlich unsere Werte kompromittieren. Das ist die rote Linie. Auf dieser Basis dürfen wir verhandeln.“

Wegen der Qualität dieser außenpolitischen Rede Röttgens ist ihr breite bürgerschaftliche Debatte zu wünschen. Nicht zuletzt zur Orientierung für „diejenigen, deren außenpolitisches Engagement (sich) in Dauerkommentierung von der Seitenlinie erschöpft“ (Außenminister Steinmeier). *3)

*1) Zitiert aus dem „Redebeitrag im Bundesrat von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft zum Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“, 16.10.2015; https://land.nrw/de/media/video/redebeitrag-im-bundesrat-von-ministerpraesidentin-hannelore-kraft-zum.

Kern “progressiver“ Politik ist Respekt vor dem mündigen, selbstverantwortlichen Bürger, dem die Politik wie einem “Kunden“ zu dienen hat. Diese Haltung hat die Modernisierung der Sozialdemokratie geprägt.

*2) 18460 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2016. Dr. Norbert Röttgen.

*3) Steinmeier: Frieden braucht Dialog – auch mit Russland; http://www.vorwaerts.de/artikel/steinmeier-frieden-braucht-dialog-russland. 24.08.2016.